Herkömmliche Zigaretten sind in den letzten Jahren in Verruf geraten. Als krebserregendes Teufelszeug sind sie inzwischen nicht mal mehr für die rebellische Jugend besonders attraktiv. Tabak-Multis sind deshalb bemüht, neue und wie sie sagen «gesündere» Produkte auf den Markt zu bringen. Das Problem dabei: Für solche elektronische Zigaretten fehlt in der Schweiz die Gesetzgebung.
Mit einem neuen Tabakproduktegesetz will Bundesrat Alain Berset den Konsum, Verkauf und das Bewerben von Tabak und E-Zigaretten in der Schweiz einheitlich regeln. Die Vernehmlassungsphase endete im Frühling vor einem Jahr, derzeit wird um die einzelnen Gesetzesartikel gefeilscht. Insbesondere die Interessensvertreter von E-Zigaretten blasen zum Angriff auf die in ihren Augen übertriebene Regulierung im neuen Gesetz. Sie sehen ihre Zukunft in Gefahr. Denn in den letzten Jahren haben sie stark auf die Entwicklung neuer Produkte gesetzt, dank derer es sich laut eigenen Aussagen gesundheitsschonender rauchen lässt.
Nun erhalten sie Unterstützung von unerwarteter Seite. Namhafte Gesundheitsfachleute verlangen einen höheren Nikotingrenzwert bei E-Zigaretten als vom Bundesrat vorgeschlagen, wie der Tages-Anzeiger berichtete. Die Experten wollen, dass der maximal zulässige Nikotinwert von Flüssigkeiten in E-Zigaretten nicht 20 Milligramm pro Milliliter betrage, sondern fünfmal mehr.
Die Verwirrung ist gross. Warum fordern Gesundheitsexperten eine solch massive Erhöhung der Nikotinwerte? Und um welche Produkte geht es bei der neuen Gesetzgebung überhaupt? Sind sie wirklich weniger gesundheitsschädigend, wie von der Tabak-Lobby behauptet?
Was wird geraucht? Eine herkömmliche Zigarette besteht aus einem Tabakerzeugnis, das in Papier gestopft und angezündet wird. Der dabei entstehende Rauch wird durch einen Filter inhaliert.
Wer darf es kaufen? Für Tabakwaren gibt es kein einheitliches Abgabealter in der Schweiz. Die Regulierungen variieren von Kanton zu Kanton. Die meisten Händler verkaufen Tabakwaren nur an über 16-Jährige. Valora, Coop und Denner verkaufen Zigaretten seit Anfang 2019 nur noch an über 18-Jährige.
Was wird geraucht? E-Zigaretten bestehen aus einem Akku, einem elektrischen Heizelement und einer Kartusche, in die ein Liquid gefüllt wird. Wenn der Konsument am Mundstück saugt, wird das Liquid unter Wärmeeinwirkung vernebelt und es entsteht ein Aerosol, das als Dampf inhaliert wird. Es gibt Liquids mit und ohne Nikotin. Im Gegensatz zur herkömmlichen Zigarette findet keine Tabakverbrennung statt.
Die Juul-E-Zigarette sieht aus wie ein längerer USB-Stick. Sie besteht aus einer Batterie, einem eingebauten Apparat zum Erhitzen und einem Einsatz für Kartuschen. Diese enthalten anders als die meisten E-Zigaretten Nikotinsalz anstatt Nikotinflüssigkeit. Der Hersteller sagt, die Salze würden weniger im Hals kratzen und seien darum einfacher zu konsumieren und inhalieren.
Wer darf es kaufen? Seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im April 2018 ist der Verkauf von nikotinhaltigen E-Zigaretten in der Schweiz erlaubt. Ob die Produkte auch an Minderjährige verkauft werden, hängt bis jetzt von der Bereitschaft der einzelnen Verkäufer ab.
Was wird geraucht? Bei einer Heat-Not-Burn-Zigarette wird der Tabak mit einem batteriebetriebenen Heizelement erhitzt, aber nicht verbrannt. Es entsteht ein nikotinhaltiges Gemisch, das inhaliert wird.
Wer darf es kaufen? Weil es sich bei Heat-Not-Burn-Produkten um ein Tabakerzeugnis handelt, wird der Verkauf gleich gehandhabt wie bei herkömmlichen Zigaretten.
Wie schädlich sind E-Zigaretten und «Heat-not-Burn»-Produkte wirklich? Obwohl die Hersteller dieser Produkte gerne etwas anderes behaupten, ist die Antwort auf diese Frage weiterhin unklar, denn: Unabhängige Langzeitstudien gibt es keine. Gemäss einem Bericht der Stiftung «Sucht Schweiz» sind die gesundheitlichen Auswirkungen durch erhitzte Tabakprodukte noch nicht bekannt. Klar sei allerdings, dass sie eine starke Nikotinabhängigkeit verursachen.
Herr Kaelin, sind E-Zigaretten und «Heat-Not-Burn»-Produkte weniger schädlich als herkömmliche Tabakzigaretten?
Rainer M. Kaelin: Das ist nicht erwiesen. Zwar verbrennen E-Zigaretten keinen Tabak, dafür aber andere Stoffe. Oft spricht man im Zusammenhang mit diesen Produkten von einem «Dampf», der entsteht. Eigentlich ist es aber ein Aerosol, das inhaliert wird. Und genau da liegt das Problem. Es gibt keine Langzeitstudien über die Auswirkungen dieser Stoffe, die beim Rauchen von E-Zigaretten eingeatmet werden. Ein Beispiel: Juul und Co. werben mit natürlichen Aromen wie beispielsweise Vanille. Wenn man mit Vanillepulver einen Kuchen bäckt, weiss man, wie heiss der Ofen wird und was mit der Substanz passiert. Das ist bei E-Zigaretten anders. Es ist nicht klar, ob die Aromen tatsächlich nur 280 Grad erhitzt werden und wie sie reagieren, wenn sie höheren Temperaturen ausgesetzt werden, was mit höheren Batteriespannungen erreicht wird. Die Geräte sind nicht standardisiert und werden individuell von den «Dampfern» manipuliert.
E-Zigaretten sind also alles andere als gesund?
Alles was Nikotin enthält, ist nicht gesund. Aber das grösste Problem ist, dass die Wissenschaft, abgesehen von der Suchtwirkung, zu wenig über die Schädlichkeit auf das Zellwachstum weiss. Bei der herkömmlichen Tabakzigarette hat man erst 50 Jahre nach der Erfindung herausgefunden, in welchem Ausmass sie schädlich ist für unseren Körper.
Die E-Zigarette wird auch als Ausstiegsmittel aus dem Rauchen gehandelt. Eine vertretbare Methode?
Der Körper eines Rauchers will einen möglichst rasch ansteigenden Nikotinspiegel, um den Belohnungseffekt im Hirn auszulösen. Bei einer herkömmlichen Tabakzigarette steigt der Nikotinspiegel viel schneller und stärker an, als bei E-Zigaretten. Ich vermute, dass neue Geräte wie Juul einen sehr ähnlichen Effekt hervorrufen. Es ist daher logisch, dass E-Zigaretten dabei behilflich sein können, um von der Tabakabhängigkeit loszukommen. Die Menschen bleiben aber nikotinsüchtig. Wie sehr das auf die Jahre hinaus schadet, ist zurzeit nicht absehbar. Ausserdem bleibt bei bestehender Nikotinabhängigkeit der Rückfall in das Tabakrauchen ein Risiko, das, solange Werbung erlaubt bleibt, nicht zu unterschätzen ist.
Das heisst, eine Erhöhung des Nikotingehalts für E-Zigaretten würde dem Raucherhirn eine schnellere Nikotinzufuhr ermöglichen?
Richtig. Trotzdem bleibt diese Forderung sehr heikel.
Warum?
Wenn nicht die richtigen Massnahmen beschlossen werden, ist die Erhöhung des Nikotingehalts für E-Zigaretten extrem fahrlässig, denn dies bedeutet die Banalisierung von Nikotin. Kommt es dazu, braucht es unbedingt ein absolutes Werbeverbot von E-Zigaretten, für Erwachsene und Kinder. Wenn E-Zigaretten mit erhöhtem Nikotingehalt als Ersatz für herkömmliche Zigaretten dienen sollen, sollten diese ähnlich wie Methadon behandelt werden. Methadon dient zur Entwöhnung von Heroinsüchtigen. Niemand käme auf die Idee, Methadon zu bewerben. Nikotin und E-Zigaretten dürfen auf keinen Fall banalisiert werden.