Die Schweiz und Grossbritannien haben ein ähnliches Problem: Beide haben ein Abkommen mit der EU verhandelt, das weit davon entfernt ist, im eigenen Land eine Mehrheit zu finden. Was für die Briten die Frage des sogenannten Backstop ist, also die Garantie einer unsichtbaren Grenze in Nordirland, ist für die Schweiz die Personenfreizügigkeit.
Genauer: die Aufweichung der flankierenden Massnahmen zum Lohnschutz und die drohende Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie. Sie stellen die roten Linien dar, die einen Abschluss des Rahmenabkommens verhindern. Nachverhandlungen über diese Punkte, das machte die EU mehrmals klar, kommen nicht infrage. Die Schweiz müsse sich entscheiden. Gegenüber den Briten tönt es gleich.
So auch am Mittwoch, am Tag nach der Ablehnung des Brexit-Deals im britischen Parlament. Er nehme das Ergebnis mit Bedauern zur Kenntnis, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Die Briten sollten nun «so rasch wie möglich» sagen, wie es weitergehen soll. Juncker: «Die Zeit ist fast abgelaufen.»
EU-Chefverhandler Michel Barnier bezeichnete das Austrittsabkommen bei einer Sonderdebatte im EU-Parlament einmal mehr als den «bestmöglichen Kompromiss». Die Gründe für die Ablehnung im britischen Parlament seien sehr unterschiedlich, sogar widersprüchlich gewesen, so Barnier. Er verwies damit auf die Tatsache, dass der Deal sowohl von einem Teil der Regierungspartei als auch von der linken Labour-Opposition abgelehnt wurde. An jene Labour-Abgeordneten, die gegen den Deal stimmten, weil er ihnen einen zu harten Bruch mit der EU herbeiführt, signalisierte Barnier Offenheit. Eine ambitioniertere Partnerschaft, die über ein einfaches Freihandelsabkommen hinausgehe, sei jederzeit möglich. Dazu müsste Grossbritannien aber seine roten Linien revidieren, sprich die Personenfreizügigkeit und die Regeln des Binnenmarkts akzeptieren.
Klar ist aber auch: Für eine sehr weiche Brexit-Variante gibt es im britischen Parlament keine Mehrheit. Auf der anderen Seite würden sich die Brexit-Hardliner auch bei Zugeständnissen wie der zeitlichen Beschränkung des Backstop auf zum Beispiel fünf oder zehn Jahre kaum besänftigen lassen. Die Briten, so scheint es, wissen einfach nicht, was sie wollen.
Angesichts dessen deutet vieles darauf hin, dass der auf den 29. März angesetzte Brexit verschoben werden könnte. Die Rede ist von drei Monaten bis Ende Juni, um zusätzliche Gespräche zu führen. Es sei weiterhin «unsere absolute Priorität», dass es zu einem geordneten EU-Austritt des Vereinigten Königreichs komme, so Michel Barnier am Mittwoch.
Die EU signalisiert Grossbritannien also eine gewisse Gesprächsbereitschaft. Was bedeutet das für die Schweiz und das Rahmenabkommen? «Das ist alles Spekulation und Kaffeesatzlesen», meinte Bundespräsident Ueli Maurer am Mittwoch auf eine entsprechende Frage. Kürzlich hatte er angekündigt, dass er mit der EU Nachverhandlungen über das Rahmenabkommen führen wolle. EU-Kommissar Johannes Hahn erklärte Nachverhandlungen hingegen für ausgeschlossen.
Zentral seien für den Bundesrat nun die anstehenden Konsultationen mit den Parteien und weiteren Organisationen, sagte Maurer am Mittwoch. Man wolle herausfinden, welches die wichtigsten Bedürfnisse seien (siehe Kasten unten). Und dann nochmals das Gespräch mit der EU suchen.
Auch Staatssekretär Roberto Balzaretti betonte, die Entwicklungen in Grossbritannien solle man nicht überbewerten. «Wir müssen schauen, was für ein Abkommen wir auf dem Tisch haben, und uns damit auseinandersetzen.» Die EU habe zwar betont, der Text sei endgültig. EU-Kommissar Hahn habe aber auch gesagt, die Tür für Verhandlungen sei zwar zu, aber nicht abgeschlossen.
Elisabeth Schneider-Schneiter, Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission, sieht gewisse Parallelen. «Die Schweiz und Grossbritannien sind in einer vertrackten Situation», sagt die CVP-Nationalrätin. Das mit der EU ausgehandelte Abkommen sei im Inland nicht mehrheitsfähig, ein Ausstieg aus den bilateralen Verträgen aber auch nicht. Beim Rahmenabkommen könnten Nachverhandlungen zu einer besseren Akzeptanz im Inland führen, sagt Schneider-Schneiter. So müsse etwa die Unionsbürgerschaft explizit ausgeschlossen werden können, und für die flankierenden Massnahmen brauche es mehrheitsfähige Lösungen.
Aussenpolitikerin Christa Markwalder wertet es positiv, dass die EU Grossbritannien ein gewisses Entgegenkommen signalisiert. Die Schweiz sei aber in einer anderen Situation. «Grossbritannien befindet sich in Scheidungsverhandlungen mit der EU, wir versuchen, unser Konkubinat zu regeln. Von den allfälligen Kollateralschäden der Scheidung wollen wir nicht betroffen sein», sagt die FDP-Nationalrätin. Darum konzentriere sich die Schweiz besser auf die eigenen Verhandlungen, statt auf die Briten zu fokussieren. Das Rahmenabkommen, wie es jetzt vorliege, enthalte Rechte und Pflichten, bringe der Schweiz aber auch viele Vorteile. Komme es zu Neuverhandlungen, könnte auch die EU neue Forderungen aufbringen, gibt Markwalder zu bedenken. «Diese Risikoabwägung müssen wir machen.» (aargauerzeitung.ch)