Nur die beiden Kleinparteien GLP und BDP stehen praktisch vorbehaltlos hinter dem Rahmenabkommen, das der Bundesrat mit der EU ausgehandelt hat. Die Wirtschaftsverbände Economiesuisse und der Arbeitgeberverband begrüssen es, die Gewerkschaften lehnen es hingegen rundum ab. Auch im Bundesrat findet der Vertrag mit Brüssel, der die Übernahme von EU-Recht durch die Schweiz regelt, keine Mehrheit.
Doch wie beurteilen unabhängige Experten das Rahmenabkommen? Tragen ihre Ausführungen dazu bei, dem Stand heute zum Scheitern verurteilten Vertrag neues Leben einzuhauchen? Gestern lud die aussenpolitische Kommission des Nationalrats vier Juristen, einen ehemaligen Diplomaten und einen Wirtschaftsfachmann zu einer live übertragenen Anhörung.
Die Idee: Die Nationalräte löchern die Experten mit Fragen, damit sie das komplexe Thema nicht nur den Politikern, sondern auch den zugeschalteten Bürgern erörtern können.
Eines vorweg: Das Sprichwort «Zwei Juristen haben drei Meinungen» passt gut zur dreistündigen Veranstaltung.
Christa Tobler (Universität Basel) und Matthias Oesch (Universität Zürich), beides Professoren für Europarecht, stehen dem Abkommen tendenziell wohlwollend gegenüber. Dezidiert dafür, so lassen sich jedenfalls ihre Ausführungen interpretieren, ist deren Freiburger Kollegin Astrid Epiney. Carl Baudenbacher hingegen, ehemaliger Präsident des Efta-Gerichtshofes, lehnt es klipp und klar und mit markanten Worten ab. Im gleichen Boot rudert der frühere Diplomat Paul Widmer, der an der Universität St. Gallen als Lehrbeauftragter für internationale Beziehungen wirkt.
Marc Bros de Puechredon vom Wirtschaftsforschungsinstitut BAK Basel betonte derweil, das grosse Problem bei anhaltendem Schwebezustand in den Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU sei die Unsicherheit.
Bei einem Wegfall der bestehenden bilateralen Verträge drohten wirtschaftliche Einbussen. BAK Basel hat berechnet, dass das Bruttoinlandprodukt pro Kopf um 3400 Franken pro Jahr sinken würde. Er befürchtet eine geringere Wettbewerbsfähigkeit, sinkende Investitionen und weniger Wohlstand.
Der Rahmenvertrag sieht vor, dass die Schweiz EU-Recht dynamisch übernehmen muss. Doch was, wenn sich die Schweiz und Brüssel dabei nicht einigen können?
Ein Knackpunkt ist die Streitbeilegung. Wenn es um EU-Recht geht, muss das paritätisch zusammengesetzte Schiedsgericht den Europäischen Gerichtshof (EuGH) einbeziehen und seinen Entscheid gestützt auf dessen Auslegung fällen. Für Carl Baudenbacher ist klar: «Wenn die EU den EuGH anrufen kann, ist sie faktisch die Aufsichtsbehörde über die gemeinsamen Verträge.» Mit dem Schiedsgericht sei die EU der Schweiz nicht entgegengekommen, vielmehr habe sie eine einseitige Abhängigkeit vom EuGH geschaffen.
Paul Widmer wittert im Schiedsgericht eine Gefahr für die direkte Demokratie. Der Bundesrat könne zwar dem Volk sagen, es habe bei der Übernahme von EU-Recht das letzte Wort. Wenn es aber nicht im Sinne Brüssels entscheide, «dann schwebt das Damoklesschwert der Vertragskündigung über der Schweiz». Mit anderen Worten: Wenn der EU ein Abstimmungsergebnis nicht passt, kann sie Strafmassnahmen beschliessen – auch wenn der offizielle Begriff «Ausgleichsmassnahmen» freundlich tönt.
Astrid Epiney hingegen argumentierte, mit dem Schiedsgericht sei das Verfahren zur Streitbeilegung klar geregelt. Das schaffe Rechtssicherheit. Und wahrscheinlich komme das Schiedsgerichtsverfahren nur selten zum Tragen. Matthias Oesch ergänzte, die Schweiz erhalte bei der dynamischen Rechtsübernahme wesentliche Mitspracherechte. Und Christa Tobler hielt fest, dass die Verhandlungsparteien nie alles erreichen würden, was sie sich wünschten.
Umstritten war zudem, ob die EU der Schweiz die Unionsbürgerrichtlinie aufzwingen kann, obwohl sie nicht im Abkommen steht, und ob das Abkommen die hohen Löhne in der Schweiz gefährde.
Was bleibt von der öffentlichen Anhörung? Ein ebenso treffendes wie banales Fazit zog der St. Galler FDPNationalrat Walter Müller: «Wenn sich die Experten widersprechen, dann müssen wir letztlich politisch entscheiden.» (aargauerzeitung.ch)