700 statt 20'000 Franken: So viel Geld sparte der Thurgauer Kantonsrat Daniel Frischknecht, weil er sein Medikament gegen Hepatitis C aus Australien bezog. Damit war seine Behandlung fast 30 Mal günstiger als in der Schweiz.
«Das ist doch Geschäftemacherei. Ich kann nicht verstehen, dass das Bundesamt für Gesundheit diese Praxis der Pharmaindustrie schützt», sagte Frischknecht zur Nachrichtenagentur SDA. Auch die watson-User können den riesigen Preisunterschied nicht verstehen.
Der Fall von Kantonsrat Frischknecht ist nur einer von vielen. In der Schweiz sind laut Schätzungen etwa 80'000 Personen mit dem Hepatitis-Virus infiziert. Doch warum bezahlen Patienten hierzulande so viel mehr als in Australien?
Das liegt unter anderem daran, dass in Australien eine Hepatitis-Behandlung vom Staat mitgetragen wird. 2016 hat das Land versprochen, 740 Millionen Franken aufzuwenden, um Hepatitis C vollkommen auszurotten. Seither werden in Australien Patienten bereits in frühen Stadien behandelt.
Je mehr Patienten mit dem Medikament behandelt werden, desto stärker sinkt der Preis der einzelnen Tablette. Weil die absoluten Fallzahlen in der Schweiz sehr viel kleiner Ausfallen, ist das Medikament auch viel teurer. Aber auch hier übernehmen die Krankenkassen bei einigen Hepatitis-C-Medikamenten seit Oktober 2017 die Kosten.
Dies bestätigte vor zwei Jahren auch André Lüscher, Geschäftsführer des Hepatitis-Medikamenten-Herstellers Gilead Schweiz, gegenüber der «Schweiz am Sonntag»: «Ist das BAG bereit, Hepatitis C in der Schweiz zu eliminieren und allen Patienten Zugang zu gewähren, bewegt sich auch der Preis.»
Doch damit lässt sich der Preisunterschied nur im Fall des Hepatitis-C-Medikamentes erklären. Die Unterschiede bei anderen Produkten wie vielen Krebs-Medikamenten ist damit aber nicht erklärt.
Die Schweizer NGO Public Eye beschäftigt sich seit längerem mit dem Problem. «Die Pharmafirmen missbrauchen das Patentrecht, um ihre Profite zu maximieren. Dank der intransparenten Forschungskosten können die Unternehmen den Behörden quasi die Preise diktieren», sagt Oliver Classen, Mediensprecher von Public Eye, zu watson.
Zudem würden die Medikamentenpreise häufig aus den USA übernommen. «Durch ihr extrem starkes Lobbying in der US-Politik erreichen die Pharmaunternehmen überrissene Medikamentenpreise in anderen lukrativen Industrieländern.»
Deshalb will Public Eye, dass der Bundesrat das im Schweizer Patentgesetz verankerte Instrument der Zwangslizenz prüft und gegebenenfalls auch einsetzt. Damit könnte laut dem NGO der Schutz auf patentierte Wirkstoffe vorübergehend aufgehoben werden, um im öffentlichen Interesse günstigere Generika zu produzieren und so den Zugang der ganzen Bevölkerung zum bestmöglichen Heilmittel zu gewährleisten.
Die Pharmaunternehmen hingegen verteidigen die hohen Preise mit der kostspieligen Forschung und Entwicklung von neuen Wirkstoffen. Auch die Schweizer Krankenkassen ziehen ähnliche Schlüsse.
«Wenn man den Patentschutz grundsätzlich infrage stellt, könnte das die Erforschung neuer Medikamente gefährden», sagte Andreas Schiesser, zuständig für Arzneimitteltarife beim Verband Curafutura, kürzlich in der «Schweiz am Wochenende».
Dieses Argument will Classen nicht gelten lassen: «Die Pharmakonzerne fahren jedes Jahr exorbitante Gewinne ein. Von solchen Margen können andere Branchen nur träumen.»
Tatsächlich wiesen die Pharmafirmen 2017 laut Interpharma im Medikamentenbereich weltweit einen Gewinn von 164 Milliarden Franken aus. Wobei hier die Reinvestition von rund 114 Milliarden Franken in Entwicklung und Forschung bereits abgezogen sind.
Deshalb findet Public Eye den gezielten Einsatz von Zwangslizenzen angemessen. «Zumal die Pharmaunternehmen am Erlös der fürs Volkswohl lizensierten Generika beteiligt würden», sagt Classen.
Laut einem Public-Eye-Bericht ist dieses seit Mitte der 90er-Jahre verfügbare politische Instrument unter anderem in Thailand schon erfolgreich eingesetzt worden. Der Staat hat dort so über 350 Millionen Dollar Gesundheitskosten gespart und zusätzlich 85'000 Patienten die Nutzung lebensnotweniger Medikamente ermöglicht.
Die Schweizer Regierung reagiert bislang verhalten auf parlamentarische Vorstösse in diese Richtung. Darum hat die NGO jetzt eine Sammelbeschwerde mit über 33’000 Unterschriften eingereicht. Sie hat zum Ziel, «dass der Bundesrat mit der Zwangslizenz der nächsten Zugangsbeschränkung zuvorkommt, so die Gesundheitskosten senkt und einer Zweiklassenmedizin vorbeugt», erklärt Classen.
«Zuerst wollen wir aber, dass der Bundesrat die Zwangslizenzen überhaupt als rechtsgültige politische Massnahme anerkennt», sagt Classen. In einem zweiten Schritt soll der Bundesrat dieses «Heilmittel gegen kranke Medikamentenpreise» auch einsetzen.