Die Schweiz kann den seit zwei Jahren ausstehenden Kohäsionsbeitrag in Höhe von 1,3 Milliarden Franken an die EU auszahlen. Die beiden Räte haben am Donnerstag entschieden, die entsprechenden Rahmenkredite ohne neue Bedingungen freizugeben.
Zwei Stunden debattierten die Ständerätinnen und Ständeräte am Vormittag über die Vorlage. Der Nationalrat stritt am Abend während anderthalb Stunden. Am Ende war das Verdikt deutlich: Mit 131 zu 55 Stimmen bei einer Enthaltung (Nationalrat) und 30 zu 9 Stimmen (Ständerat) stimmten die zwei Parlamentskammern am gleichen Tag der Freigabe der Kohäsionsmilliarde zu. Der Bundesrat kann nun entsprechend handeln.
Die Räte hatten den zweiten Schweizer Beitrag an die östlichen EU-Mitgliedstaaten in Höhe von 1,3 Milliarden Franken bereits im Jahr 2019 im Grundsatz verabschiedet. Das Parlament entschied dabei aber, dass die Gelder erst gesprochen werden sollen, wenn die EU keine diskriminierenden Massnahmen gegenüber der Schweiz erlässt. Das bezog sich insbesondere auf die von der EU Ende Juni 2019 nicht verlängerte Anerkennung der Börsenäquivalenz. Die EU machte seither keinen Schritt auf die Schweiz zu.
Trotzdem will das Parlament in der Beziehung zu ihrem wichtigsten Handelspartner nun «ein neues Kapitel aufschlagen», wie es Eric Nussbaumer (SP/BL) im Namen der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats (APK-N) ausdrückte. Eine Seite müsse mit der Deeskalation beginnen.
«Die gegenseitige Blockadepolitik hat auf keiner Seite die gewünschten Ziele erreicht, deshalb müssen wir sie beenden», sagte Ständerat Matthias Michel (FDP/ZG) im Namen der APK-S. Ständerätin Andrea Gmür-Schönenberger (Mitte/LU) konstatierte, dass die Hauptdossiers mit der EU praktisch ausnahmslos blockiert seien.
Die Kohäsionszahlungen seien geschuldet, gab ihr Rats- und Parteikollege Pirmin Bischof (Mitte/SO) zu bedenken. Die Schweiz gehöre zu den Ländern, die am meisten vom europäischen Binnenmarkt profitierten, erklärte Roland Fischer (LU) für die Grünliberalen.
Es könne zwar niemand versprechen, dass die EU nach der Freigabe der Gelder einen Schritt auf die Schweiz zukomme, gab Ständerat Daniel Jositsch (SP/ZH) zu. Klar sei aber: «Ohne Freigabe werden wir definitiv nichts erreichen.»
Unter dem Strich warben die Befürworter der Freigabe für ein «pragmatisches Ja» zur Vorlage. Nun müsse auch die EU Zugeständnisse machen. Viele verbinden mit der Freigabe der Gelder die Hoffnung, dass Brüssel danach bereit ist, der Schweiz bei der Forschungszusammenarbeit entgegenzukommen. Im Sommer stufte die EU die Schweiz beim EU-Forschungsprogramm Horizon Europe bis auf weiteres nur noch als nicht assoziierter Drittstaat ein.
«Hoffnung ist in der Politik ein schlechter Ratgeber», konterte Thomas Minder (parteilos/SH), der sich im Ständerat im Namen der Kommissionsminderheit gegen die Vorlage starkmachte. Er bezeichnete die bedingungslose Freigabe der Gelder als «falsch und grobfahrlässig».
Der Tessiner Ständerat und SVP-Präsident Marco Chiesa kritisierte die «kolonialistische Politik» der EU. Parteikollege Roger Köppel (ZH) sprach im Nationalrat von einer «offenkundig erpresserischen Schwitzkastenmentalität» der Union. «Ein Dialog ohne Vertrauensbasis ist zum Scheitern verurteilt», konstatierte Jakob Stark (SVP/TG).
Die Gegner der Vorlage im Parlament – neben der SVP auch einzelne Vertreterinnen und Vertreter der Mitte – monierten weiter, dass die Freigabe im Eilzugtempo erfolgte. «Wir wären gut beraten, auch die Stimmung in der Bevölkerung miteinzubeziehen», sagte Ständerat Minder. Ihm ging wie der ganzen SVP-Fraktion gegen den Strich, dass gegen den Parlamentsentscheid kein Referendum ergriffen werden kann.
Sämtliche Änderungs-, Rückweisungs- und Nichteintretensanträge der SVP scheiterten schliesslich deutlich.
Aussenminister Ignazio Cassis stand im Namen des Bundesrats für eine rasche Deblockierung der Gelder ein. «Wir müssen den Blick nun nach vorne richten.» Der Bundesrat wolle auch ohne das institutionelle Abkommen eine zuverlässige und engagierte Partnerin der EU bleiben.
Cassis machte jedoch klar:
Es gelte nun aber, ein Zeichen zu setzen.
Die Zeit bei der Kohäsionsmilliarde dränge, sagte Cassis weiter. So könnten Verpflichtungen auf der Grundlage des Rahmenkredits Kohäsion nur bis Dezember 2024 eingegangen werden. Für eine ordnungsgemässe Verteilung der Gelder brauche es sorgfältige Vorbereitungsarbeiten, die erfahrungsgemäss mindestens drei Jahre dauerten.
Das Parlament stellte der Regierung im Lauf der Debatte kein gutes Zeugnis aus. Es fehle ihr noch immer an einer europapolitischen Strategie. «Die Schweizer Europapolitik gleicht einem Scherbenhaufen», sagte Sibel Arslan (Grüne/BS). Elisabeth Schneider-Schneiter (Mitte/BL) kritisierte die «Hauruckübung».
Zur raschen Freigabe der Gelder an die EU kommt es nun, weil die Räte der Vorlage ohne Differenzen zustimmten – und auf eine neue Verknüpfung der Kohäsionsbeiträge mit weiteren Dossiers verzichteten.
Zwar hatte die Mehrheit der APK-N im Vorfeld der Beratungen entschieden, dass Verpflichtungen erst eingegangen werden sollen, nachdem der Bundesrat die Finanzierungsbotschaft zur Teilnahme der Schweiz an Erasmus plus vorgelegt hat. Am Donnerstagvormittag stimmte der Nationalrat dann aber einer Motion mit diesem Anliegen zu. Die Bedingung wurde in der Folge aus der Vorlage über die Kohäsionsmilliarde gestrichen. Damit war der Weg für eine rasche Deblockierung der Gelder frei.
Die Schweiz kann deshalb in den nächsten Jahren Entwicklungsprojekte in dreizehn EU-Ländern mit 1,1 Milliarden Franken unterstützen. Weitere 200 Millionen Franken sind für Projekte im Bereich Migration und Asyl in einzelnen EU-Staaten vorgesehen. (jaw/sda)