Schweiz
Justiz

Asyl-Urteile werden von Parteizugehörigkeit beeinflusst

Unparteiische Richter? Wie das Parteibuch Asylurteile beeinflusst

Richter sollen unabhängig und – vor allem – unparteiisch in ihrer Urteilsfindung sein. Wie eine Analyse des Tages-Anzeiger zeigt, ist dies bei Beschwerden von Asylsuchenden nicht immer der Fall. 
10.10.2016, 11:0010.10.2016, 13:44
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Wird ein Asylgesuch abgelehnt, heisst das für den Gesuchssteller nicht, dass er die Schweiz verlassen muss. Seine Möglichkeit: eine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht einreichen. 

Unabhängig, welcher Partei sie angehören, sind die Asylrichter sehr streng, wie eine Analyse des Tages-Anzeigers zeigt: 84% aller 29'263 seit 2007 eingegangenen Beschwerden wurden abgelehnt. Trotzdem gibt es zwischen den rund 44 Richtern, (ehemalige miteinbezogen) signifikante Unterschiede, wie mit Asylbeschwerden umgegangen wird. Genauer: Behandelt ein Richter, der einer linken Partei angehört, eine Beschwerde, wird ihr dreimal eher stattgegeben, als wenn ein Kollege einer bürgerlichen Partei den Fall beurteilt.

Der Basler Fulvio Haefeli, in Anwaltskreisen als «Schreckrichter» bekannt, gehört zu den härtesten Richtern am Bundesverwaltungsgericht in St.Gallen. Nur gerade jede zehnte Beschwerde kommt beim SVP-Richter durch. «Das Resultat der Datenanalyse überrascht mich überhaupt nicht», sagt Anwalt Peter Niederöst gegenüber dem Tages-Anzeiger. «Fulvio Haefeli ist als Schreckrichter bekannt. Er sieht sich als politische Speerspitze, die möglichst viele Fälle möglichst schnell ablehnen will.» 

Aussicht auf mehr Erfolg haben Asylsuchende, wenn die eingereichte Beschwerde bei der Grünen-Politikerin Contessina Theis landet. Fast jede dritte Beschwerde (28,3%) wird von der Zürcherin gutgeheissen. Immer noch streng – im Gegensatz zu den 9,9% angenommener Beschwerden bei Haefeli jedoch ein markanter Unterschied. 

Haefeli und Thies sind die Extrembeispiele. Nichtsdestotrotz zeigen die Zahlen, wie stark die Parteizugehörigkeit die Beurteilung der Beschwerde-Fälle beeinflusst.

Durchschnitt der Gutheissungsquote nach Parteibuch der Richter

Bundesverwaltungsgericht Statistik Entscheid nach Parteibuch
quelle: tages anzeiger/bild: watson

Das Bundesverwaltungsgericht wollte die Zahlen der Analyse nicht kommentieren, distanzierte sich jedoch davon, dass die unterschiedlichen Quoten auf das Parteibuch der Richter zurückzuführen seien. 

Dass Richter trotz der berufsbedingten Unabhängigkeit und Neutralität oftmals einer Partei zugehörig sind, liegt am aktuellen Wahlsystem am Bundesverwaltungsgericht. Zwar müssen zukünftige Bundesrichterinnen und Bundesrichter nicht zwingend einer Partei angehören, jedoch erhöht eine Zugehörigkeit die Wahlchancen stark, denn: Die Vereinigte Bundesversammlung, welche die Richter wählt, versucht freie Richterpositionen gemäss der Sitzverteilung im Parlament zu besetzen. Die Schlussfolgerung, dass parteitreue Anwärter dementsprechend eher bevorzugt werden, liegt also auf der Hand. 

(gin)

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25 Kommentare
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Angelo C.
10.10.2016 11:34registriert Oktober 2014
Also über solche Erkenntnisse wundern sich nur die Weltfremden, denn wie im Artikel richtig umschrieben, urteilen links/grüne Richter meist eher zugunsten von asylrechtlichen Einsprachen als bürgerliche, was politisch und menschlich absolut systemimmanent ist.

Wer also von völlig unbefleckter, gradliniger Beurteilung ohne Einbringung eigener Betrachtungsweisen ausgeht (was ja eigentlich in einem Rechtsstaat Standard sein sollte - sollte, sag' ich...) ist ein naiver Pinsel 😊!

Wobei zu bemerken ist, dass sich z.B. das BundesverwaltungsgerIcht aus div. Parteizugehörigen zusammensetzt.
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DonPedro
10.10.2016 12:12registriert April 2016
Auch Richter sind Menschen mit einem sozialen Hintergrund, einem Zivilisationsprozess, einer Erziehung, Ausbildung, Weiterbildung und einer Zugehörigkeit oder Sympathie für eine politische Partei
Dies alles beeinflusst natürlich die Urteilsfindung und das Bemühen nach Objektivität und Gerechtigkeit.
Solange die Parteizugehörigkeit eines Richterkandidaten fast ein "Muss" ist, wird sich da nicht viel ändern, auch wenn ein Kollegialgericht einen gewissen Ausgleich schafft!
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John Smith (2)
10.10.2016 12:07registriert März 2016
Der Titel ist reisserisch. Oder naiv. Oder beides.

Unsere Gesetze enthalten viele «offene» Formulierungen. Das ist bewusst so, damit der Richter im Einzelfall angemessenen Spielraum hat. Es ist klar, dass die Weltanschauung eines Richters in die Auslegung einfliesst – und zwar in allen Gerichtsurteilen, nicht nur im Asylwesen, sondern auch im Mietrecht, im Arbeitsrecht etc. Wann ist z.B. eine Kündigung «angemessen», «zumutbar» «eine Härte» etc. Das hat mit dem Parteibuch nur insofern etwas zu tun, als dass der Richter jener Partei beitreten wird, die seinen Anschauungen am nächsten kommt.
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