Baby stirbt bei OP: Parteien debattieren an Gericht über Ursache
Das Kriminalgericht Luzern hat am Mittwoch zu klären versucht, warum die Operation eines Babys im Kinderspital Luzern tödlich ausging. Zwei Ärzte und eine Ärztin verantworteten sich am ersten Verhandlungstag wegen eines Tötungsdelikts und Körperverletzung.
Die Staatsanwältin sieht einen Fehlentscheid als Grund für den Tod des Säuglings, der Verteidiger eines Beschuldigten sprach von «schicksalhaften Komplikationen», die am 4. November 2021 eingetroffen waren.
Besonders umstritten war die Entscheidung der Beschuldigten, die Operation weiterzuführen, obwohl bereits wenige Minuten nach Einleitung der Narkose Kreislaufinstabilität eintrat und eine Reanimation nötig wurde. Nach der zweiten Narkoseeinleitung waren die Wiederbelebungsmassnahmen erfolglos und das Baby erlitt ein Herz-Kreislaufversagen.
«Summe von Faktoren»
Dies schildert ein Gutachten, das die Staatsanwaltschaft beim Institut für Rechtsmedizin (IRM) der Universität Zürich eingeholt hatte. Zwei Sachverständige, welche das Gutachten mitverfasst hatten, wurden vor Gericht befragt. Zum Abschluss des ersten Verhandlungstages äusserte der erste Verteidiger in seinem Plädoyer seine Zweifel daran und untermauerte seine Sicht mit eigenen Privatgutachten.
Der Verteidiger monierte, es sei nicht klar, woran genau das Baby verstarb. Deshalb könne auch keine Handlung der Beschuldigten als Ursache dafür ausgemacht werden. Stattdessen habe eine «Summe von verschiedenen Faktoren» zum Tod geführt.
Selbst wenn, wie im IRM-Gutachten geschildert, eine durch einen Gendefekt hervorgerufene, allergieartige Reaktion zum Herz-Kreislaufkollaps führte, sei dies nicht abzusehen gewesen. Überdies gehe das Gutachten nicht vom Kenntnisstand zum Zeitpunkt der Operation aus, sondern von den in der Rückschau bekannten Fakten.Ein Abbruch und Aufschub der Operation des Leistenbruchs, der bei schlechter Entwicklung lebensgefährlich werden kann, hätte das Risiko der Behandlung nicht vermindert.
«Ein Verschieben der OP hätte nur mit einem Versterben zu späterem Zeitpunkt geendet», so der Verteidiger.
Er plädierte auf Freispruch seines Klienten, der «mit Umsicht, Wissen und aufrichtigem Bemühen» seinen Beruf ausübe.
Vorgehen während der Operation kritisiert
Die Staatsanwaltschaft und der Vertreter der Hautpklägerschaft, der Eltern des verstorbenen Kindes, argumentierten hingegen, die Beschuldigten hätten ihre Sorgfaltspflicht vor und während der Operation verletzt.
Wie die Staatsanwältin betonte, seien sie insbesondere dem Verdacht auf den erwähnten Gendefekt, dem Williams-Beuren Syndrom (WBS), nicht ausreichend nachgegangen. Dies obwohl jener Verdacht mehrfach dokumentiert gewesen sei. Diese Vorerkrankung erhöhe das Risiko von Herz-Kreislaufschwierigkeiten erheblich.
In seinem Plädoyer kritisierte der Vertreter der Privatklägerschaft die Beurteilung des Zustands des Kindes nach der Reanimation. Die Beschuldigten schätzten diesen als stabil ein. Doch bei einer überstandenen Kreislaufinstabilität eines Säuglings könne niemand sicher wissen, ob er stabil bleibe. Insbesondere, wenn zusätzliche Stressfaktoren hinzukommen würden, etwa eine nächste Narkose. Die Beschuldigten hätten die Operation «völlig unnötigerweise» weitergeführt.
Beschuldigte beantworteten keine FragenDie Staatsanwältin stellte für alle drei die praktisch gleichen Strafanträge. Für eventualvorsätzliche Tötung fordert sie eine Freiheitsstrafe von drei Jahren, davon sechs Monate unbedingt. Damit verbunden ist eine Busse von 10'000 Franken. Die fahrlässige schwere Körperverletzung soll Geldstrafen nach sich ziehen. Der Vertreter der Privatklägerschaft beantragte Schuldsprüche wegen fahrlässiger Tötung. Dafür seien die Beschuldigten «angemessen zu bestrafen».
Die Beschuldigten gaben den Sachverhalt nicht zu und beantworteten vor dem Kriminalgericht keine Fragen. Stattdessen äusserten sie sich in allgemeinen Stellungnahmen. Dabei drückten sie der Familie des verstorbenen Kindes auch ihr Mitgefühl aus. Sie betonten, wie schlimm ein solches Erlebnis für die Eltern sei.
Die Verhandlung wird am Donnerstagvormittag fortgesetzt. Die beiden weiteren Verteidiger werden ihre Plädoyers halten, wobei die Staatsanwaltschaft und die Privatklägerschaft eine Replik abgeben können. (lyn/sda)
