Wenn die Verzweiflung am grössten ist, wenden sich Väter an ihn: Oliver Hunziker, Präsident des Dachverbands für gemeinsame Elternschaft, begleitet Männer durch ihre vielleicht schwerste Zeit. An ihn gelangen Fälle, die aussichtslos scheinen. Männer, die nach einer Trennung am Leben ihrer Kinder teilhaben wollen, aber nicht dürfen. Sie möchten Väter sein, kein Wochenend-Besuch.
Eigentlich hätte vieles einfacher werden sollen. Am 1. Januar 2017 trat das neue Unterhaltsrecht in Kraft. Und damit ein neues Modell: die alternierende Obhut. Kinder können zu gleichen Teilen bei ihren Eltern wohnen, beispielsweise zwei Wochen bei der Mutter, dann zwei beim Vater. Das Interesse ist riesig. «80 Prozent der Anfragen an uns betreffen mittlerweile die alternierende Obhut», sagt Hunziker. «Viele Väter wünschen sich dieses Modell.»
Doch die Realität ist eine andere. Trotz Reform sind Männer bei einer Trennung oft die Verlierer und werden zu machtlosen Zahlvätern degradiert. Vielen gelinge es nicht, die geteilte Obhut zu erhalten, obwohl dies am besten für das Kind sei, schreibt die «NZZ am Sonntag». Im Zweifel wird der Mutter die Betreuung und dem Vater die Arbeit zugeteilt. Es gab Fälle, in denen der Mann vor der Trennung die Kinder zu 50 oder mehr Prozent betreut hat. Trotzdem erhielt die Mutter die Obhut – und der Mann musste ein 100-Prozent-Arbeitspensum beginnen, um den Unterhalt zahlen zu können.
Der Dachverband der Männer- und Väterorganisationen, Männer.ch, wird deshalb am Samstag eine Resolution verabschieden. Der Verband fordert, die geteilte Obhut mehrheitlich umzusetzen. Und die Väter dürfen hoffen. Wie das Bundesgericht bestätigt, wird demnächst ein Urteil gefällt, welches das Leben von Tausenden Trennungskindern prägen wird: «Am Bundesgericht sind mehrere Verfahren zum neuen Unterhaltsrecht hängig», heisst es auf Anfrage.
Die Entscheidungen würden verschiedene Fragen des neuen Unterhaltsrechts behandeln. Zu den wichtigsten Punkten zählen:
Wie hoch ist das Betreuungsgeld? Der Betreuungsunterhalt wird je nach Kanton unterschiedlich berechnet. Einige gehen von Pauschalen aus, andere berechnen die Lebenskosten und in seltenen Fällen wird ein fixer Anteil des Einkommens als Unterhalt festgelegt. Bei gleichem Betreuungs- und Arbeitspensum müsste gemäss Väterorganisationen das Betreuungsgeld beiden Elternteilen zugutekommen. Heute sollen Männer oft den gesamten Unterhalt finanzieren. Der Verband Männer.ch spricht von «absurd hohen Ausgleichszahlungen». Hinzu kommt: Seit 2017 müssen auch unverheiratete Väter nicht nur für ihre Kinder, sondern auch für die Mutter zahlen. Das Modell ist weitgehend unbestritten, wie hoch die Beiträge ausfallen sollen, allerdings nicht.
Ab wann sollen Eltern wieder arbeiten? Besonders umstritten ist die sogenannte 10/16-Regel, die in vielen Kantonen angewandt wird. Sie besagt, dass der betreuende Elternteil erst ab dem 10. Geburtstag des Kindes wieder arbeiten muss – und Vollzeit erst ab dem 16. Altersjahr. Oliver Hunziker vom Dachverband für gemeinsame Elternschaft sieht darin Nachteile. Es sei niemandem geholfen, wenn man sich zehn Jahre aus dem Arbeitsmarkt verabschiede. Für Hunziker ist es am sinnvollsten, wenn der betreuende Elternteil spätestens mit der Einschulung des Kindes wieder einer Arbeit nachgeht.
Ist das Wechselmodell das beste fürs Kind? Bisher gibt es keine Zahlen dazu, wie oft sich Paare nach der Trennung für die alternierende Obhut entscheiden oder wie häufig Gerichte sie festlegen. Andere Länder wie Frankreich oder Belgien haben das Modell zum Standard erklärt. Der Bundesrat möchte das nicht, wie er in einem im Dezember verfassten Bericht schreibt. Die Regierung pocht aber darauf, dass die alternierende Obhut jeweils geprüft wird, mit der Frage: Was ist das Beste fürs Kind?
Wie viele verzweifelte Väter sich künftig an Oliver Hunziker wenden, hängt nun vom Bundesgericht ab. Das Urteil wird in den kommenden Monaten erwartet.
(aargauerzeitung.ch)