Schweiz
Luftfahrt

Wegen Klimadebatte: Swiss droht mit massivem Streckenabbau

Die Swiss hat im Mai nicht nur mehr Passagiere transportiert, sondern dafür auch mehr Flüge durchgeführt. (Archiv)
Heute fliegt die Swiss 24 Langstreckenziele an.Bild: KEYSTONE

Wegen Klimadebatte: Swiss droht mit massivem Streckenabbau

Die Fluggesellschaft Swiss warnt in einem Polit-Schreiben vor den möglichen Folgen der Klimadebatte.
20.06.2019, 04:4520.06.2019, 07:01
Benjamin Weinmann / ch media
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Bis vor einigen Jahren gehörten Drohungen aus dem Hause Swiss fast schon zur Tagesordnung. Zu hohe Lohnforderungen der Piloten, zu teure Gebühren des Flughafens Zürich, zu strikte Regulierungen von Bern – der einstige Chef Harry Hohmeister warnte stets vor den Folgen. Nicht selten endete dies in der Drohung, Zürich den Rücken zu kehren. Intern erhielt der Norddeutsche den Spitznamen «Drohmeister».

Unter seinem Nachfolger Thomas Klühr, seit 2016 an Bord, ist es ruhiger geworden. Wohl auch, weil die Swiss dank modernen Flugzeugen Rekordergebnisse präsentieren kann und keine grossen Gewerkschaftskämpfe austragen muss.

CEO Thomas Kluehr spricht an der Bilanzmedienkonferenz der Swiss International Air Lines, aufgenommen am Donnerstag, 16. Maerz 2017 in Kloten Zuerich. (KEYSTONE/Ennio Leanza)

Thomas Kluehr, CEO Swiss ...
Swiss-CEO Thomas Klühr.Bild: KEYSTONE

Zu beklagen gibt es höchstens die Verspätungen in Kloten und den Fluglotsenmangel in Europa. Doch nun ist die Swiss mit einer neuen Herausforderung konfrontiert. In der Klimadebatte ist die Aviatik wegen ihrer Treibhausgas-Emissionen zum Sündenbock erkoren worden. Im Zuge davon drohen stärkere Betriebseinschränkungen und eine CO2-Besteuerung der Flugtickets.

Bye-bye Tokyo und San Francisco?

Nun schlägt die Swiss wieder härtere Töne an. In ihrem neusten Lobbying-Magazin, das sie regelmässig an Politiker und Interessensvertreter verschickt, betont sie die Bedeutung des Drehkreuzes Zürich für die heimische Volkswirtschaft.

Dabei zeichnet die Airline ein Bild eines äusserst fragilen Systems, eines Kartenhauses, das zusammenzubrechen drohe: «In der aktuellen Debatte, wie der Luftverkehr in Bezug auf den Klimawandel in die Pflicht genommen werden soll, geistern Konzepte herum, die als direkte Angriffe auf den Drehkreuzbetrieb zu werten sind.»

Dieser sei schon heute am Limit und drohe aus dem Gleichgewicht zu geraten. «Jede weitere Verschlechterung könnte das Fass zum Überlaufen bringen.»

ZU DEN GESCHAEFTSZAHLEN 2013 DER FLUGGESELLSCHAFT SWISS STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES THEMENBILD ZUR VERFUEGUNG - Eine Kundin kauft bei der Fluggesellschaft swiss am Flughafen in Zuerich ein Flugticket, ...
Für Ziele wie Tokyo, San Francisco, Boston, Delhi oder Montreal hätte 2018 die lokale Nachfrage hingegen nicht genügt.Bild: KEYSTONE

Die Logik hinter dem Drehkreuz- oder Hub-Modell: Weil die lokale Nachfrage nicht ausreicht, um ein grosses Langstrecken-Netz zu betreiben, braucht die Swiss Kurzstreckenflüge. Diese liefern die Umsteigepassagiere aus dem Ausland für die nötige Auslastung auf der Langstrecke. Ohne Kurzstrecke keine Langstrecke – und umgekehrt, so das Argument der Swiss.

Kleine Ursachen mit grosser Wirkung

Heute fliegt die Swiss 24 Langstreckenziele an. «Gäbe es kein Drehkreuz, würde die lokale Nachfrage ausreichen, um maximal fünf Langstreckendestinationen zu bedienen», heisst es im Artikel. Heisst indirekt, dass 19 Langstrecken bedroht wären.

Vor einem Jahr, noch vor den weltweiten Klimastreiks, listete die Swiss vor einem Fachpublikum die fünf wichtigsten Langstreckenziele auf: New York, Tel Aviv, Dubai, Bangkok und Singapur.

Für Ziele wie Tokyo, San Francisco, Boston, Delhi oder Montreal hätte 2018 die lokale Nachfrage hingegen nicht genügt. Eine Swiss-Sprecherin will die Berechnung dafür nicht im Detail darlegen. «Es handelt sich hierbei aber sicherlich um seit Jahren sehr beliebte Swiss-Destinationen.»

Auf Nachfrage bekräftigt die Swiss ihre Drohung aus ihrem Polit-Magazin. Das Drehkreuz in Zürich sei ein optimal abgestimmtes System. «Kleine Ursachen können grosse Wirkung haben.» Denn das Swiss-Netzwerk funktioniere aufgrund von Skaleneffekten.

Experte bestätigt Risiko

Und wenn diese wegen Betriebsbeschränkungen oder Abgaben nicht mehr wirken, sei relativ rasch die Wirtschaftlichkeit des gesamten Drehkreuzes bedroht. «Ein grösserer Streckenabbau wäre die Folge.» Laut der Sprecherin wäre der Abbau nicht graduell. Heisst: Wird ein kritischer Punkt erreicht, fallen gleich mehrere Flüge weg.

Ist dieses Szenario realistisch? Andreas Wittmer, Leiter des Center for Aviation Competence an der Universität St. Gallen, erachtet das Risiko als gross, «dass plötzlich das ganze System infrage gestellt ist und Langstreckenflüge stark abgebaut würden.»

In diesem Fall könnte die Swiss-Eigentümerin Lufthansa die Langstreckenflüge von Zürich an ihre Drehkreuze in Wien, München oder Frankfurt verlagern. «Das wäre das Worst-Case-Szenario. Die Swiss würde dann theoretisch nur noch Kurzstreckenflüge zu diesen Hubs durchführen, was ihre langfristige Daseinsberechtigung als Marke infrage stellen würde», sagt der Aviatik-Experte.

«Entscheid für Lufthansa-Gewinn»

Auch der Flughafen Zürich nimmt die Warnungen offenbar ernst. Im kantonalen Flughafenbericht heisst es, dass man die Konzernstrategie der Lufthansa-Gruppe und deren Auswirkungen auf den Hub Zürich laufend analysiere. Sollte sich die Lufthansa-Gruppe von Kloten zurückziehen, bestünde ein entsprechender Massnahmenplan, um neue Airlines für die Übernahme von Direktverbindungen zu gewinnen.

Vorerst würde die Schweiz laut Aviatik-Experte Wittmer aber die direkte Anbindung zu vielen Ländern verlieren. «Dies wäre nicht nur staatspolitisch bedenklich, sondern hätte auch grosse wirtschaftliche Folgen. Viele Firmen dürften sich dann zweimal überlegen, ob sie am Standort Schweiz festhalten würden.» Dabei sei sich die Wissenschaft einig darüber, dass Drehkreuze eine positive Wirkung auf lokale Volkswirtschaften haben.

Dennoch hat Wittmer gewisse Bedenken. Die Frage, wie viele Langstreckenflüge übrig blieben aufgrund der lokalen Nachfrage, sei sehr theoretisch und kaum mit einer genauen Zahl zu beziffern. Und inwiefern ist die Drohung eine Folge der Übernahme der Swiss durch die Lufthansa, die aufgrund ihrer Grösse Alternativen zu Zürich hat? «Die Swissair hätte nicht damit drohen können, nach München oder Wien abzuwandern», sagt Wittmer. «Doch auch ihr Geschäftsmodell wäre ohne das Drehkreuz massiv infrage gestellt gewesen.»

Thomas Hardegger, SP-Nationalrat und ehemaliger Präsident der Flughafengemeinde Rümlang, nimmt die Drohkulisse weniger ernst. Er sieht das Problem in der Eigentümerschaft der Lufthansa: «Der Entscheid, mit grossen Boeing-777-Flugzeugen ab Zürich so viele Langstreckenziele anzufliegen, wird in Frankfurt gefällt. Das ist kein Entscheid für die Schweizer Volkswirtschaft, sondern für die Gewinnzahlen der Lufthansa.»

Hardegger glaubt nicht, dass das Hub-System in Gefahr ist, oder dass Grosskonzerne abwandern würden. Es gebe nebst den direkten Verkehrsanbindungen noch andere wichtige Standortfaktoren für internationale Firmen.

Der Bund fordere zwar die Anbindung der Schweiz nur an die wichtigsten Auslandmetropolen. «Aber es müssen ja nicht unbedingt 24 sein. Zehn oder zwölf würden auch reichen. Einmal Umsteigen ist zumutbar.» Und die vielen Umsteigepassagiere brächten der hiesigen Wirtschaft keine Wertschöpfung, sondern bloss mehr Verkehr. (bzbasel.ch)

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252 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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atomschlaf
20.06.2019 06:37registriert Juli 2015
Das ist keine "Drohung" sondern simple ökonomische Realität.
Ohne Hub lässt sich nur noch eine Handvoll Langstreckendestinationen wirtschaftlich betreiben.
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nib
20.06.2019 06:35registriert Mai 2016
Schlussendlich wird einfach die Kapazitätsgrenze des Flughafen später erreicht. Statt den 71% Wachstum bis 2040 (Bundesamt für Raumentwicklung) nur 35%? In Zürich ist schon heute kaum ein Flug pünktlich, aber das scheint nur die Passagiere zu stören.
Wird Zeit, dass ein Umdenken in der Mobilität stattfindet.
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CaptainLonestarr
20.06.2019 05:31registriert Dezember 2016
Ich kann weniger Fliegern in Kloten nur positives abgewinnen. Weniger Lärm, weniger Kerosin, weniger Umweltverschmutzung.
Ich wäre auch mit Zürich als Provinzflughafen glücklich. Natürlich ist es schade wenn Arbeitsplätze verloren gehen. Aber so läufts halt.
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