Ja.
«Es ist sehr wahrscheinlich, dass es anders kommt, als wir es erwarten.» Das sagt Oliver Strijbis. Er ist Professor für Politikwissenschaft an der Franklin University Switzerland in Lugano.
Er meint damit die Umfragen und die von ihm miterarbeitete Wahlbörse, durch die «wir uns in einer falschen Sicherheit wähnen». Heisst? «Wir glauben genau zu wissen, wer gewinnt und wer verliert. Dabei tappen wir in der Schweiz vor Wahlen im Dunkeln.» Gerade verglichen mit Ländern wie etwa den USA. «Es gibt bei uns einfach zu wenige Umfragen, als dass diese verlässliche Vorhersagen machen könnten.»
Weiter sagt er:
Der Teufel steckt also im Detail der vorausgesagten Wahlprozente. Nun denn, auf geht's, analysieren wir die Details.
Seit Einführung der Proporzwahl 1919 hat keine Partei diese Marke geknackt. 2015 ritzte die SVP daran, sie konnte sich auf 29,4 Prozent steigern. Vor vier Jahren dann wiederum verlor sie und kam noch auf 25,6 Prozent.
Und heute? «Höchstwahrscheinlich schafft die SVP die 30-Prozent-Marke nicht», sagt Professor Strijbis.
Dies aus drei Gründen: «Erstens müssten sowohl die Umfragen wie auch die Wahlbörse weit danebenliegen, was hier unwahrscheinlich ist.» Zweitens deute nichts auf eine überdurchschnittliche Wahlbeteiligung hin, im Gegenteil, kein Lager habe stark mobilisieren können. «Um 30 Prozent zu erreichen, bräuchte die SVP aber eine übermässige Mobilisierung.»
Drittens wurde das Thema Migration doch nicht zum grossen Thema – von einem solchen thematischen Selbstläufer hätte die SVP am meisten profitieren können.
«Es sieht so aus», sagt Professor Strijbis. Es seien «tatsächlich überraschend viele Menschen» an jene Klimademonstration gegangen, trotzdem habe das Lager der Klimabewegung Mühe, über die links-grüne Anhängerschaft hinaus zu mobilisieren.
Das habe mit der Polarisierung zu tun. Vor vier Jahren sei es allen Parteien leichtgefallen, Lippenbekenntnisse für den Kampf gegen den Klimawandel abzugeben. Inzwischen gehe es darum, spezifische Massnahmen umzusetzen. «Und das wiederum geht nicht», so Strijbis, «ohne dass es weh tut».
Die Gegenmobilisierung von rechts und der gehässige Diskurs gegen die Klimakleber tue das Übrige, so Strijbis. Zudem kehrten viele Wechselwähler, die vor vier Jahren grün einlegten, zur SP zurück.
«Die Chance liegt bei 50 zu 50», sagt Strijbis. Laut Umfragen lägen die beiden Parteien zu nahe zusammen für eine seriöse Aussage.
Der dritte Platz wäre für die Mitte eine Sensation. Erst 2021 fusionierte die davor serbelnde CVP mit der ebenfalls serbelnden BDP zur Mitte. Die Fusion und der neue Name war die richtige Entscheidung, glaubt man den Umfragen.
Für die FDP dagegen wäre der Abstieg auf Platz 4 bitter. Es wäre ein weiterer Verlust der einst stolzen Gründerin des Schweizerischen Bundesstaates von 1848. Die FDP machte mit 15,1% Wähleranteil 2019 das bisher schlechteste Ergebnis - wird es nun nochmals unterboten?
Dazu Strijbis: «Von Spenden kann man nicht auf die Mobilisierung schliessen.» Der Millionen-Coup der SP zeige aber, wie professionell das Campaigning der Partei sei. Die SP habe zudem verstanden, dass sie auch auf Kleinspenden setzen müsse.
Für Strijbis liegt das an unserer direkten Demokratie, wodurch «die Wahlen bei uns nicht so wichtig sind». Er erläutert: «Ob ich wählen gehe oder nicht, die Schweiz wird nicht über Nacht eine andere Nation. Dieser Gedanke dürfte viele Personen vom Wählen abhalten.» Auch wenn das natürlich schade sei. Zudem fehlte das eine Thema, das mobilisiert hätte.
Immerhin:
«Seit des Aufstiegs der SVP in den 1990ern verzeichnen wir keinen Rückgang der Wahlbeteiligung mehr», sagt Strijbis. Dies, weil die SVP polarisiere und mobilisiere.
Strijbis' Prognose: «Die Wahlbeteiligung wird tiefer sein als letztes Mal.»