Wie die Schweiz immer wieder in den US-Hammer läuft
Die Konsternation stand Karin Keller-Sutter und Guy Parmelin ins Gesicht geschrieben, als sie am letzten Donnerstag vor die Medien traten. Tags zuvor hatte US-Präsident Donald Trump der Welt den Handelskrieg erklärt und Strafzölle auf Importe angekündigt. Besonders hart trifft es die Schweiz, mit einem Zoll von erst 31, dann 32 und jetzt wieder 31 Prozent.
Damit hatte niemand gerechnet. Sie sei «enttäuscht», meinte Bundespräsidentin Keller-Sutter und wirkte vor allem erbost. Trumps Rechnung, auf der sein Zolltarif basiert, ist haarsträubend, er hat mit Logik nichts zu tun. Doch die Schweiz steckt in der Klemme. In Bundesbern hat man es verpasst, einen direkten Draht zu Trumps Umfeld einzurichten.
Nun versucht man, das Versäumte nachzuholen. Wirtschaftsminister Guy Parmelin gelang es am Montag immerhin, mit dem US-Handelsdelegierten Jamieson Greer via Videocall zu sprechen, doch etwas Handfestes schaute dabei offenbar nicht heraus. Es stellt sich ohnehin die Frage, wie viel Einfluss Leute wie Greer im Weissen Haus haben.
Unterwürfiger Brief
Nicht ausbezahlt hat sich auch der unterwürfige Brief des Staatssekretariats für Wirtschaft Seco, in dem geschildert wurde, wie vorbildlich sich die Schweiz etwa verglichen mit der EU verhalte. Dazu gehört die einseitige Abschaffung der Industriezölle. Doch das scheint Donald Trump nicht zu kümmern. Ihm geht es einzig um das Defizit im Warenhandel.
Das Problem beschränkt sich nicht auf die Schweiz. Die ganze Welt hadert mit der willkürlichen und irrationalen Wirtschaftspolitik des US-Präsidenten. Bei uns aber wird seit Jahrzehnten ein idealisiertes bis blauäugiges Verhältnis zur «Sister Republic» USA kultiviert, während wir uns gerne über unsere direkten Nachbarn in Europa empören.
Kollaborateurin der Nazis
Dabei hat uns in den letzten Jahrzehnten kein Land so massiv in den Schwitzkasten genommen wie die USA. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Schweiz von den Alliierten als Kollaborateurin der Nazis angeprangert. Entsprechend isoliert war sie nach der Kapitulation Deutschlands. Ein Ausweg ergab sich mit dem Washingtoner Abkommen von 1946.
Darin verpflichtete sich die Schweiz zur Zahlung von 250 Millionen Franken für den Wiederaufbau Europas. Es war eine Entschädigung dafür, dass die Nationalbank den Nazis Raubgold abgekauft hatte. Insgesamt kam die Schweiz glimpflich davon, dank des Geschicks von Chefunterhändler Walter Stucki. Und weil der Kalte Krieg begonnen hatte.
Das «Schweizer Nummernkonto»
Er verminderte den Druck der USA auf die Schweiz, die sich zum westlichen Lager bekannte. Das betraf auch eine Zusatzvereinbarung, in der sie sich verpflichtete, «mit Wohlwollen» die Frage der nachrichtenlosen Vermögen von Holocaust-Opfern auf Schweizer Banken zu prüfen. Doch diese blockten ab, mit Verweis auf das Bankgeheimnis.
Dieses sorgte in den folgenden Jahren wiederholt für Zoff mit den USA, weil es als Deckmantel für illegale Geschäfte verwendet wurde. Das anonyme «Schweizer Nummernkonto» wurde zum Running Gag in amerikanischen Filmen und TV-Serien. Als das Bankgeheimnis auch für in den USA verbotene Insider-Deals missbraucht wurde, zogen die Amerikaner die Schraube an.
Banken knickten ein
Unter diesem Druck musste die Schweiz das Bankgeheimnis sukzessiv lockern. Mit dem Ende des Kalten Kriegs in den 90er Jahren kehrte zudem die Kontroverse um die nachrichtenlosen Vermögen zurück, mit voller Wucht. Weil die Schweizer Banken weiterhin mauerten, liess der republikanische US-Senator Alfonse D’Amato die Kavallerie aufmarschieren.
Die Schweiz reagierte wütend und fühlte sich von der «Schwesterrepublik» ungerecht behandelt, doch 1998 knickten die Banken ein. In einem Vergleich zahlten sie den Angehörigen der jüdischen Nazi-Opfer 1,25 Milliarden Dollar. Die Amerikaner hatten sich mit ihren «Cowboy-Methoden» durchgesetzt und die Schweizer in die Knie gezwungen.
Kein Zugang zu KI-Chips
Das wiederholte sich beim Dauerbrenner Bankgeheimnis. Es fiel für ausländische Kunden, als der ehemalige UBS-Banker Bradley Birkenfeld als Whistleblower beim Justizministerium in Washington über amerikanische Steuerflüchtlinge auspackte. 2013 unterzeichnete die Schweiz das Abkommen über den automatischen Informationsaustausch in Steuerfragen.
Ein weiteres Problem kam kürzlich hinzu: Beim Zugang zu leistungsstarken KI-Chips wurde die Schweiz von der Biden-Regierung vor ihrem Abgang nicht als «vertrauenswürdige Verbündete» eingestuft. Das Problem ist offenbar die Zusammenarbeit hiesiger Institute mit China (ein Thema für sich). Die Regierung Trump hat daran bislang nichts geändert.
Traum vom Freihandel
Gleichzeitig jedoch träumt die Schweiz seit langer Zeit von einem Freihandelsabkommen mit den USA, ohne dass es auch nur zu ernsthaften Verhandlungen kam. Ein grosses Hindernis bleibt die Landwirtschaft. Im Bericht von Jamieson Greer, den Donald Trump an seiner Medienkonferenz vorzeigte, wird sie explizit als «Aussenhandels-Hindernis» erwähnt.
Es ist ein seltsames Bild: Obwohl die Schweiz immer wieder und oft sehenden Auges in den US-Hammer gelaufen ist, kann sie nicht von der USA-Idealisierung lassen. Gleichzeitig empfinden viele die EU als eine Art Feind. Dabei kam sie der Schweiz trotz Brüskierung durch das Nein zum EWR 1992 immer wieder entgegen, auch bei den Bilateralen III.
KKS an EU-Treffen
Natürlich beherrscht man auch in Brüssel die harte Machtpolitik. Trotzdem ist es ein Fortschritt, dass Karin Keller-Sutter am Freitag in Warschau erstmals an einem informellen Treffen der EU-Finanz- und -Wirtschaftsminister teilnehmen wird. Vielleicht erkennt die Schweiz nun, dass ihre wahren Freunde nicht in Washington sitzen, sondern in Europa.
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