24 Tonnen Männlichkeit. Wer kennt sie nicht, die drei Eidgenossen aus Kalkstein, die der Legende nach mit dem Rütlischwur die Gründung der Eidgenossenschaft besiegelt haben: Werner Stauffacher, Walter Fürst und Arnold von Melchtal dominieren die Eingangshalle des Bundeshauses. Eingerahmt auf einem Sockel bilden sie die Kulisse für viele Fotos. Frisch gewählte Bundesräte mit ihren Familien, Besuchergruppen, ausländische Staatsgäste: Alle lassen sie sich vor den drei Eidgenossen ablichten. Und kein Tagesschau-Beitrag zur Bundespolitik kommt ohne sie aus. Die drei Eidgenossen prägen unser Bild vom Bundeshaus – und der Politik.
Judith Stamm, die ehemalige CVP-Politikerin und Kämpferin für die Gleichstellung, hätte diesen drei Eidgenossen gerne eine Blumengirlande umgehängt, um die einschüchternde Atmosphäre in der Eingangshalle in eine freundliche umzuwandeln. Der Plan scheiterte, weil sie dafür eine Leiter gebraucht hätte. Stamm zog 1983 in den Nationalrat ein. Noch Jahrzehnte später erzählte sie in den Erinnerungen an ihren ersten Tag im Bundeshaus von den furchteinflössenden drei Eidgenossen, die sie fast erschlagen hätten.
Fabienne Amlinger, Historikerin an der Universität Bern, hat mit vielen der Politikpionierinnen gesprochen. Und sie sagt, fast alle hätten ungefragt über die Wirkung und den Charakter des Parlamentsgebäudes gesprochen. Die Gesellschaft lasse sich ohne Blick auf die Räume, in denen Frauen sich aufhalten oder von denen sie ausgeschlossen sind, nicht verstehen, sagt Amlinger. Für sie bleibt das Bundeshaus ein Manifest aus einer frauenlosen Zeit. Die Frauen haben sich 1971 zwar den Zugang erkämpft, doch das Parlamentsgebäude schreibe das männliche Narrativ fort.
«Reissen wir das Bundeshaus ab!», sagt deshalb Fabienne Amlinger. Natürlich: Das ist eine Utopie und beschwichtigend fügt die Historikerin an, dass ihr das Bundeshaus gefällt. Die schon aus der Ferne gut sichtbare grüngoldig schimmernde Kuppel etwa. Doch das Gebäude löse bei ihr auch Beklemmung aus. Sie hält es für realitätsfremd, da es die Vielfalt unserer Gesellschaft in keiner Weise abbildet.
Das Bundeshaus wurde vielfach erforscht, vor allem aus kulturhistorischer Perspektive. Auch die wechselvolle Geschichte der Drei-Eidgenossen-Skultpur – sie waren bei der Einweihung des Bundeshauses 1902 noch gar nicht da – wurde bis ins letzte Detail ausgeleuchtet.
Amlinger ist die erste Forscherin, die das Bundeshaus durch die Genderbrille betrachtet. Das Fazit ist ernüchternd: «Das Bundeshaus wurde von Männern für Männer gebaut.»
Das zeigt sich an praktischen Dingen wie den Toiletten. Während 15 Jahren mussten sich die Politikerinnen, die 1971 erstmals ins Bundeshaus einzogen, mit einer einzigen Toilette begnügen. Die gemäss der damaligen CVP-Nationalrätin Rosmarie Dormann mehr einem Putzraum als einer Toilette glich. Und noch heute, so hielt das Bundesamt für Bauten und Logistik letztes Jahr fest, gebe es im ganzen Bundeshaus noch immer zu wenig Frauentoiletten.
Die männliche Prägung zeigt sich vor allem aber auch an der Gestaltung des Parlamentsgebäudes. Die drei Eidgenossen werden von vier imposanten Landsknechten bewacht; in Lebensgrösse aus Bronze, bewaffnet mit Lanze, Hellebarde sowie einem Schwert. Im Ständeratssaal prangt ein Bild einer Landsgemeinde – die Funktion der Frauen beschränkt sich darauf, Wein einzuschenken. «Was hat diese Landsgemeinde mit der heutigen Schweiz zu tun? Dieses Geschichtsverständnis finde ich als Historikerin problematisch», sagt Amlinger. Vor dieser Kulisse würden dann Gleichstellungsthemen behandelt wie Elternzeit oder Strafnormen gegen Sexismus. Amlinger will nicht von einer Zumutung sprechen, das Unverständnis ist aber spürbar. «Dieses Wandbild wäre im Landesmuseum besser aufgehoben.»
Wer genau hinschaut, findet auch im Bundeshaus Frauen – auffällig oft als engelhafte Wesen. Doch die einzige mit Namen bekannte Frau ist die Stauffacherin. Sie überwacht – wie Wilhelm Tell – den Nationalratssaal. Sie gilt als die Ideengeberin des Rütlischwurs, während ihr Mann zur Tat schritt. Und so hält Amlinger fest, steht auch die Stauffacherin letztlich für dieses traditionelle Frauenbild, das so lange den Ausschluss der Frauen aus der Politik legitimierte. Nämlich, dass Frauen auch ohne politische Rechte Einfluss nehmen können.
1971 bekamen die Frauen das Stimmrecht. Diese grundlegende Änderung der politischen Ordnung der Schweiz findet im Bundeshaus kaum Niederschlag. «Die Bedeutung der mit der Einführung des Frauenstimmrechts vollzogenen Veränderung prallte an den steinernen Mauern ab», schreibt Amlinger in ihrem Buch «Unerhört» über die Politikpionierinnen der Schweiz. Im Ständeratssaal hängen Plaketten mit goldenen Jahreszahlen, die wichtige verfassungsrechtliche Daten zeigen wie die Gründung des Bundesstaates (1848), den Pfaffenbrief (1370) oder den Sempacherbrief (1393). Zum Jahrtausendwechsel kam die Zahl 1999 dazu – sie steht für die Totalrevision der Bundesverfassung. Erst 20 Jahre später fand das Jahr 1971 Eingang in den Ständeratssaal.
Das Bundeshaus soll identitätsstiftend sein. Interessant ist denn auch, dass beim Bau an viele Schweizer Tugenden gedacht worden ist. Amlinger zählt auf: «Dreissig Gesteinssorten aus allen Landesgegenden wurden für den Bau verwendet, diverse Berufsstände sind abgebildet, alle Kantone und Landesteile sind repräsentiert, mehrere Dutzend Schweizer Künstler konnten sich verewigen.» Übergangen wurde hingegen die weibliche Bevölkerung: «Das architektonische Wahrzeichen der Politik zeichnet sich durch die Abwesenheit von Frauen aus», so Amlinger. Das Parlamentsgebäude konserviere mit seinem fast schon musealen Charakter Erinnerungen und Zeugnisse einer Zeit, in der Frauen wenig zu sagen hatten – schon gar nicht in der Politik.
Alliance f will das ändern. Mit einem Kunstwettbewerb für Frauenkunst im Bundeshaus – und entsprechenden parlamentarischen Vorstössen. Weil es in der Politik eben auch um Sichtbarkeit geht. Frauen müssen sich Raum verschaffen. Kunst von Künstlerinnen ist keine Revolution, wie es der Abriss des Bundeshauses wäre. Aber ein ziemlich schweizerischer Ansatz.