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Zölle: Experte äussert sich zu Trumps Zollkrieg

KEYPIX - Us President Donald Trump appears on a television screen at the stock market in Frankfurt, Germany, Wednesday, April 2, 2025. (KEYSTONE/AP Photo/Michael Probst)
Der US-Präsident Donald Trump auf einem Bildschirm an der Frankfurter Börse, 2. April 2025. Bild: keystone
Interview

«Ich würde nicht damit rechnen, dass in drei Jahren alles vorbei ist»

Ist die Ära des Freihandels mit den US-Strafzöllen am Ende? Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann sagt, wieso sie es schon vor Trump war und wovor sich die Schweiz fürchten muss.
08.04.2025, 14:1908.04.2025, 18:21
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Herr Straumann, in den vergangenen Tagen fielen Wörter wie «Zollkrieg» oder «Handelskrieg», um Trumps Strafzölle zu beschreiben. Stimmen Sie diesen Beschreibungen zu?
Tobias Straumann: Ja, Trumps Zollpaket ist eine Kriegserklärung. Nun gilt es aber, abzuwarten, ob die Zölle abgeschwächt werden können.

Welche Auswirkungen haben die Zölle auf die globale Wirtschaft?
Kurzfristig sind die Schäden enorm. Investorinnen und Investoren warten jetzt ab und investieren nicht. Konsumentinnen und Konsumenten in den USA werden wohl noch einkaufen, bevor die Zölle kommen, danach werden sie weniger konsumieren. Ich erwarte, dass es in den USA zu einer Rezession kommt, womöglich auch bei uns. Die grosse Frage ist jetzt, was auf dem Finanzmarkt passiert.

Zur Person
Tobias Straumann ist Professor für Geschichte der Neuzeit und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Zürich. Er forscht unter anderem zur Finanzgeschichte, Wirtschaftskrisen und der politischen Ökonomie der Schweiz.

In den vergangenen Tagen sind die Börsen international eingebrochen. Steht uns eine Weltwirtschaftskrise bevor?
Ich glaube nicht, dass es zu einer Weltwirtschaftskrise kommen wird. Aber: Wenn die Börse weiter einbricht, werden Banken und Anleger irgendwann ihre Anlagen verkaufen müssen, weil sie Liquiditätsprobleme bekommen. Das wäre sehr beunruhigend. Das letzte Mal, dass die Lage an den Börsen so dramatisch war, war im Frühling 2020, während der Coronapandemie. Damals wurde der Welthandel zu einem grossen Teil eingefroren oder ging dramatisch zurück. So weit sind wir noch nicht. Wenn es noch ein paar Tage so weitergeht, dann wird es aber kritisch. Es ist gefährlich, was hier läuft.

«Es ist gefährlich, was hier läuft.»

Die Staatssekretärin Helene Budliger Artieda ist in die USA gereist, um Zollsenkungen für die Schweiz auszuhandeln. Wird sie damit Erfolg haben?
Es ist nicht ganz aussichtslos. Ich glaube aber schon, dass Trump mindestens 20 Prozent Zölle will. Und ich bin auch der Meinung, dass die Demokraten, sollten sie wieder an die Macht kommen, die Zölle nicht einfach senken, sondern daran festhalten werden.

Tobias Straumann, Professor für Wirtschaftsgeschichte
Tobias Straumann ist Experte für Wirtschaftsgeschichte. Er forscht und lehrt an der Uni Zürich.Bild: zvg

Wie kommen Sie darauf?
Trump hat bereits in seiner ersten Amtszeit Zölle erhoben. Die Demokraten unter Joe Biden haben diese anschliessend nicht rückgängig gemacht. Vielleicht würden sie die Zölle für Europa, die Schweiz und befreundete Staaten ein wenig senken. Ich würde aber nicht damit rechnen, dass in drei Jahren alles wieder vorbei ist. Wir müssen uns darauf einstellen, dass es über längere Zeit schwieriger wird, in die USA zu exportieren.

«Ich würde nicht damit rechnen, dass in drei Jahren alles wieder vorbei ist.»

Welche langfristigen Auswirkungen hat Donald Trumps Zollpolitik auf unsere Wirtschaft?
Das ist extrem schwierig einzuschätzen und hängt davon ab, ob es noch Anpassungen geben wird. Ich glaube aber nicht, dass die Zölle zu einer Reindustrialisierung führen, dass also die Produktion im grossen Stil zurück in die USA kommt. Die US-Wirtschaft braucht dafür mehr als nur Zölle. Sie braucht zum Beispiel Fachkräfte. Eine Abschottungspolitik, wie Trump sie betreibt, läuft ausserdem Gefahr, dass sie den Wettbewerb ausschaltet. So oder so glaube ich, dass Trump in einem halben Jahr auch Probleme mit seiner Wählerschaft haben wird. Eine Rezession und steigende Preise schaden einem Präsidenten.

«Kurzfristig wird es für einzelne Branchen brutal. Mittelfristig werden sich auch diese Wirtschaftszweige mit den Zöllen arrangieren.»

Schauen wir auf die Schweiz und auf Europa. Welche Konsequenzen drohen uns hier, sollten die USA ihre Zölle nicht massiv senken?
Die Zölle bringen natürlich die gesamte Exportindustrie in Bedrängnis, ausser die Pharmaindustrie, wenn sie weiterhin von den Zöllen ausgenommen bleibt. Besonders hart wird es jene Branchen treffen, die nicht so hohe Margen, also Gewinnspannen, haben: zum Beispiel Uhrenmarken, die Massenuhren produzieren, oder die Maschinenindustrie. Kurzfristig wird das für einzelne Branchen und Unternehmen brutal. Mittelfristig werden sich auch diese Wirtschaftszweige mit den Zöllen arrangieren.

Ist es wahrscheinlich, dass sich die Schweiz nun neue Handelspartner sucht oder sich wirtschaftlich der EU annähert?
Ersteres macht die Schweiz ohnehin bereits. Letztes Jahr hat sie ein Freihandelsabkommen mit Indien abgeschlossen und auch mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten steht die Schweiz im Gespräch für ein Abkommen, also mit Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Es ist möglich, dass mit den neuen Zöllen der Druck wächst, das Mercosur-Abkommen abzuschliessen. Ich sehe aber nicht, dass die Zölle einen Einfluss auf die Handelsbeziehungen mit der EU haben könnten, da die Verhandlungen bereits abgeschlossen sind.

epa12012812 People march during a protest against President Trump and his policies in Los Angeles, California, USA, 05 April 2025. Protests took place across the country against the US president on 05 ...
Proteste in Los Angeles, Kalifornien, gegen Präsident Trump, am 5. April 2025. Bild: keystone

Der US-amerikanische Ökonom Kenneth Rogoff hat Trumps Zollpaket mit einer Atombombe verglichen, die Trump auf den Welthandel abgeworfen habe. Wie würden Sie das beschreiben, was sich seither auf den Weltmärkten abspielt?
Die Analogie der Atombombe finde ich übertrieben. Danach wäre ja alles kaputt. Das sehe ich anders. Das Leben geht weiter. Aber: Es ist die grösste Zollerhöhung der Geschichte, die mir bekannt ist. Der Entscheid ist eine Zäsur, das ist ganz klar.

«Es ist die grösste Zollerhöhung der Geschichte, die mir bekannt ist.»

Befinden wir uns nun in einer neuen Ära? Hat Trump mit seiner Aktion das Ende des globalen Freihandels eingeläutet?
Nein, diese Ära ist schon früher angebrochen. Spätestens mit der ersten Wahl Donald Trumps und dem Brexit zeigte sich: Die Zeit des sich immer weiter ausbreitenden Freihandels ist vorbei. Bereits an der Konferenz der Welthandelsorganisation in Seattle 1999 wurde klar, dass die Liberalisierung des Welthandels blockiert ist. Die Schwellenländer wehrten sich gegen das Diktat der Industrieländer. Ausserdem gab es damals von links grosse Demonstrationen. Trumps Zollentscheid ist höchstens eine neue Eskalationsstufe in dieser Entwicklung.

«Die Zeit des sich immer weiter ausbreitenden Freihandels ist vorbei.»

Trumps Strafzölle auf Importprodukte sind also eine Konsequenz auf die wirtschaftliche Liberalisierung der vorhergehenden Jahrzehnte?
Ich glaube schon, dass man die Zölle als Teil einer längerfristigen Gegenbewegung zur Liberalisierung und Globalisierung verstehen muss. In den 90er-Jahren haben sich westliche Staaten sehr schnell liberalisiert, auch im Finanzsektor. Das war wie ein Big Bang. Die westlichen Mächte hätten bei der Globalisierung vorsichtiger sein sollen.

Dann hätte Trumps Zollentscheid nicht stattgefunden?
Ein Blick in die Geschichte zeigt: Wenn Staaten mit der Globalisierung zu schnell vorwärtsmachen, riskieren sie, dass sich in der Bevölkerung und in der Politik eine starke Gegenbewegung formiert. Der Backlash ist dann viel grösser, als er sein müsste, weil man zu stark und zu schnell liberalisiert hat. Trumps Zölle sind ein Beispiel für einen solchen Backlash. Dabei waren die Zeichen da, dass man zu schnell vorwärtsging und Staaten ihre Steuerungsfähigkeit verloren haben. Das zeigte die Finanzkrise 2008. Aber auch der Brexit war meiner Meinung nach eine Antwort auf die rasche Globalisierung und Personenfreizügigkeit.

«Die westlichen Mächte hätten bei der Globalisierung vorsichtiger sein sollen.»

Gleichzeitig sind am Wochenende in den USA Hunderttausende gegen Trumps Zollpolitik auf die Strasse gegangen.
Natürlich sind nicht alle gegen die Globalisierung, aber zu viele gehören zu den Verlierern. Als China in die Welthandelsorganisation eingetreten ist, hat die US-amerikanische Industrie enorm gelitten. Zwar ist das der normale Strukturwandel, dass die Industrie in den reichen OECD-Ländern abnimmt. Das ist auch bei uns so, das ist keine Katastrophe. Das Problem in den USA war aber die Geschwindigkeit, mit der eine Fabrik nach der anderen zugemacht hat. Und wenn 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung sich fragen, welchen Mehrwert sie von der Globalisierung haben, reicht das, um den politischen Diskurs und Wahlen zu beeinflussen.

DETROIT, USA - JUNE 9, 2015: The Fisher Body Plant is now shut down and covered in graffiti but was used in automotive manufacturing until 1984. The building was designed by Albert Kahn in 1919.
Eine stillgelegte Fabrik in Detroit, die bis 1984 der Automobilherstellung diente, aufgenommen 2015.Bild: Shutterstock

Ist Trump nicht gerade Teil einer Wirtschaftselite, die diese Liberalisierung und Globalisierung vorangetrieben hat?
Politische Programme sind nie konsequent. Trump steht zwar für eine Deregulierung im Land selbst, zum Beispiel für Steuersenkungen. Protektionistisch ist er aber seit 40 Jahren. Trump ist fixiert darauf, dass die ganze Welt die amerikanische Wirtschaft und die amerikanischen Bürgerinnen und Bürger ausnimmt.

Sie sind Wirtschaftshistoriker. Was kann die Schweiz in der heutigen Situation aus der Geschichte lernen?
Die Schweizer Wirtschaft war immer sehr breit aufgestellt. Als Deutschland und Frankreich im 19. Jahrhundert ihre Zölle anhoben, reagierte die Schweiz, indem sie mehr Güter nach Asien, Nord- und Südamerika exportierte. Diese Strategie fährt die Schweiz auch jetzt. Sie ist mit allen im Gespräch und versucht, wirtschaftlich so diversifiziert wie möglich zu bleiben. Wenn es an einem Ort Probleme gibt, ist die Schweizer Wirtschaft weniger verwundbar.

Sind die Zölle also kein Grund zur Sorge für die Schweiz?
Ich würde das so sehen, ja. Wenn die Pharmaindustrie in die Zölle eingeschlossen würde, wäre das zwar schwierig, aber auch mit dem würde die Schweiz mittelfristig zurechtkommen. Falls es aber tatsächlich zu einer Weltwirtschaftskrise kommen sollte, dann wäre es auch für die Schweiz katastrophal.

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Die ganze Liste: Diese Zölle verteilt Trump
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72 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Dr. Atomi
08.04.2025 14:54registriert Juli 2024
Wenn ein Überidiot sagt, lasst es uns versuchen vertraut mir, ihr werdet alle reich werden.
Dann klingt das in meinen Ohren wie ein Schlangenölverkäufer und Zaubertrank Anbieter.
Nur was hier gerade passiert ist brandgefährlich.
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_kokolorix
08.04.2025 15:40registriert Januar 2015
Wieso glauben eigentlich alle, dass trump mit diesen Zöllen wirtschaftlich etwas bewegen will?
Ich persönlich glaube, es geht hier einzig und allein darum, Macht auszuüben. Die Betonung dieser Strafzölle liegt in der Strafe. trump bestraft alle, ausser russland. Wenn man wirtschaftlich etwas bewegen will, dann straft man nicht völlig unbedeutende Länder wie Leshoto, oder die McDonald Inseln mit absurden Zöllen, das tut man, weil man Spass am Strafen an sich hat.
Das Beängstigende dabei ist, was tut trump als nächstes, wenn der Spass an den Zöllen sich abgenutzt hat?
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Chalbsbratwurst
08.04.2025 16:44registriert Juli 2020
Gutes Interview. Mal jemand der es realistisch sieht und nicht gleich in Panik verfällt und Worst-Case-Szenarien prophezeit.

Trozdem merkt man auch bei ihm das er nicht wirklich weiss was jetzt genau passieren wird da es ja, wie er auch sagt, solch gigantische Zollerhöhungen noch gar nie gegeben hat.
Das selbe Gefühl hatte ich auch beim Lesen anderer Experten-Meinungen.

Keiner weiss was jetzt genau passiert.
Das führt auch zu dieser grossen Verunsicherung.
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