In der Schweiz macht ein neues Wort Karriere: twinten. Gemeint ist der Vorgang, Geld von einem Smartphone auf ein anderes zu überweisen. Wer auf diese Weise Beträge twintet, der braucht dazu die App Twint, die inzwischen von 73 Schweizer Banken angeboten wird. Wer das Bezahlprogramm installiert, kann nicht nur Geldbeträge anderen Twint-Nutzern überweisen oder von ihnen einfordern. Sondern auch an Zehntausenden Akzeptanzstellen direkt bezahlen.
Sehr beliebt ist Twint bei Teenagern. Hat ein Schüler in der Mittagspause gerade nicht genügend Cash dabei, twintet er das Geld fürs Sandwich dem Kollegen zurück. Viele Eltern überweisen inzwischen Taschen- und Essensgeld direkt aufs Smartphone ihrer Kinder.
Praktisch ist die App in den Ferien: Wer seine halbwüchsigen Kinder in einem weitläufigen Skigebiet verliert, kann das Geld für die heisse Ovo einfach per App überweisen. Während die Jugendlichen gerne mal das Portemonnaie zu Hause vergessen, tragen sie das Handy stets mit sich. Bei der Schweizer Jugend geniesst die Smartphone-App inzwischen den Status eines Must-have – so wie Instagram, Youtube oder Whatsapp.
Die Online-Bezahllösung ist seit April 2017 operativ auf dem Markt und startet jetzt so richtig durch. Nach Auskunft von Twint-Geschäftsführer Markus Kilb zählt die Bezahllösung «bald 1.2 Millionen registrierte Nutzer». Seit Dezember ist die Nachfrage mit «15 000 Neukunden pro Woche regelrecht explodiert», so Kilb.
Geht es in diesem Tempo weiter, dürften 2019 zwischen 600 000 und 700 000 aktive Nutzer hinzukommen. «Wir sind auf sehr gutem Weg», sagt der Geschäftsführer. Jetzt gehe es darum, die Stabilität des Systems weiter zu erhöhen und die Menge der Bezahlstellen auszubauen. Neu soll Twint auch in Hofläden akzeptiert werden. Dazu hat das Unternehmen in Zusammenarbeit mit dem Bauernverband eine Testphase am Laufen.
Lange sah es düster aus um die App. Das Unternehmen wurde 2014 als Spin-off der Postfinance gegründet. Es stand in direkter Konkurrenz zu Paymit, einer Lösung der Banken und deren Gemeinschaftsunternehmen SIX. Bald einmal wurde klar, dass zwei Lösungen sich nicht durchsetzen würden.
2016 kam es zum Zusammenschluss, wobei sich auf technischer Ebene das Bezahlsystem der Banken (Paymit) durchsetzte. Von Twint blieb die Marke. Ein cleverer Schachzug, wie sich jetzt erweist. Es kommt sehr selten vor, dass ein Markennamen Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch findet und wie im Fall von Twint jetzt die halbe Schweizer Jugend twintet.
Twint musste viel Kritik einstecken. Vor allem in der Fach- und Wirtschaftspresse gab es reichlich Prügel. Die «Handelszeitung» prognostizierte 2017, dass «der Zug für Twint abgefahren» sei. Andere sprachen von einem «Rohrkrepierer». Man war überzeugt, dass nur eine Bezahllösung von wie Apple Pay das Rennen machen würde. Eine Fehleinschätzung. Die Bezahllösungen der Techgiganten Apple oder Samsung fristen in der Schweiz und in vielen Ländern ein Schattendasein. In letzter Zeit sind die Kritiker verstummt.
Einer der Hauptkritikpunkte an Twint lautete stets: Die App funktioniert nur in der Schweiz und sei deshalb eine Insellösung. Die Vorstellung, dass man mit ein und derselben App die eine Fahrt mit der Metro in Paris, ein Pint in Dublin oder eine Mautautobahn in Südafrika bezahlen kann, hat bestimmt ihren Reiz. Doch es ist fraglich, ob sich so eine Welt-App in der Praxis überhaupt umsetzen liesse.
Möglicherweise ist der lokale Bezug der Vorteil von Twint. Denn so lässt sich die Anwendung besser auf die schweizerischen Bedürfnisse anpassen. Zum Beispiel lassen sich auch Kundenkarten von Schweizer Händlern direkt in die App einbinden.
Und neuerdings kann man auch mit Twint die Parkuhr in den Städten Zug, St. Gallen, Rapperswil und Frauenfeld bedienen. In diesem Jahr sollen weitere Städte dazukommen. Den Twint-Kritikern könnte man entgegenhalten, dass auch der Schweizer Franken letztlich eine Insellösung darstellt, dennoch bleibt unser Papiergeld weiterhin sehr beliebt – trotz Digitalisierung.
Und dies dürfte noch eine Weile so bleiben. Wie aus einer Erhebung der Schweizerischen Nationalbank hervorgeht, werden 70 Prozent aller Transaktionen am sogenannten «Point of Sale» weiterhin mit Bargeld getätigt. Je kleiner die Beträge, desto häufiger wird in der Schweiz weiterhin zu Bargeld gegriffen.
So werden Käufe unter 20 Franken zu 80 Prozent mit Bargeld beglichen. Nimmt man jedoch das Gesamttransaktionsvolumen zum Massstab, dann sinkt der Cash-Marktanteil auf 45 Prozent. Die Debitkarten (Maestro/EC-Karten) kommen dann auf knapp 30 Prozent, Kreditkarten auf 10 Prozent.
Ein wesentlicher Grund, warum Twint bei Jugendlichen so verbreitet ist – und Apple oder Samsung Pay nicht –, dürfte darin liegen, dass die App mit einem gewöhnlichen Bankkonto funktioniert. Eine Kreditkarte wie für Apple Pay braucht es nicht. Die allermeisten Jugendlichen haben keine Kreditkarte. Volljährigkeit gilt als Grundvoraussetzungen für den Besitz einer Kreditkarte.
Laut dem Twint-Geschäftsführer Markus Kilb sind es nicht nur die Jungen, die Twint intensiv nutzen. «Es gibt auch immer mehr ältere Twint-Anwender, die beispielsweise beim Jassen gegenseitig Geld hin und her twinten.»
Im laufenden Jahr soll Twint auch bei den SBB eingesetzt werden können. Ende März wird die Bezahl-App in der SBB-App, auf der SBB-Website sowie an den Ticketautomaten für den Billettkauf genutzt werden können. Im Herbst dann auch an den SBB-Schaltern. (aargauerzeitung.ch)