Die Reaktion der amerikanischen Waffenlobby nach Amokläufen wie diese Woche in Florida ist immer die gleiche: «Thoughts and Prayers». Der Ausdruck beinhaltet zwei Botschaften. Erstens: In «Gedanken und Gebeten» sind wir bei den Opfern. Zweitens: Mehr als Beileid gibts nicht.
Eine Verschärfung der Waffengesetze steht ausser Diskussion. Das Milliardengeschäft mit Gewehren, Pistolen und Munition muss weitergehen. Und mittendrin ist auch die Schweiz mit ihrem Rüstungskonzern Ruag, dessen Aktien zu 100 Prozent der Eidgenossenschaft gehören.
Recherchen zeigen: Das Unternehmen hat mit seiner amerikanischen Tochterfirma Ammotec USA nur dreieinhalb Monate nach dem schlimmsten Amoklauf der US-Geschichte an der Waffenmesse Shot Show in Las Vegas teilgenommen. Zehn Fahrminuten vom Gelände des Mandalay Bay Hotel entfernt, das Anfang Oktober 2017 weltberühmt wurde.
Aus dem 32. Stock des Hotels erschoss der 64-jährige Stephen Paddock 58 Menschen und verletzte 851 Personen zum Teil schwer. Nie zuvor hat ein Einzeltäter in den USA mehr Menschen umgebracht. Die Opfer waren für ein Country-Festival nach Las Vegas gereist.
Für die Ruag geht es nach dem Amoklauf weiter wie bisher. Im Sands Expo and Convention Center, vier Kilometer Luftlinie vom Tatort, hat die Munitionsherstellerin Ruag Ammotec USA Ende Januar während knapp einer Woche Verkaufsgespräche mit Geschäftskunden geführt.
64'000 Besucher nahmen an der Waffenmesse teil. Auf die Frage, ob das Unternehmen erwogen habe, aus Pietätsgründen auf eine Teilnahme an der Shot Show zu verzichten, schreibt die Pressestelle: «Nein.»
Ein Blick in den Geschäftsbericht erklärt warum. Die Ruag verdiente 2016 mit ihrer Munitionssparte 385 Millionen Franken. Sie betont: Bei den Vereinigten Staaten handle es sich um «den grössten Munitionsmarkt der Welt».
Die Umsätze sind aber seit dem Amtsantritt von Präsident Donald Trump unter Druck: Nur wenn sich Gewehr- und Pistolenbesitzer fürchten, dass die Regierung die Gesetze verschärft, kaufen sie besonders viel ein. Der waffenfreundliche Trump ist laut dem Ruag-Jahresbericht schlecht für den Absatz: Das US-Geschäft dürfte «vor dem Hintergrund des Regierungswechsels schwieriger werden». Auf viel Verständnis stösst sie damit nicht.
In Bundesbern sorgt der Auftritt des Schweizer Rüstungsherstellers in Las Vegas für Kopfschütteln. Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) spricht von «einem Hohn für die Opfer». Es sei absolut fragwürdig, wenn ein staatliches Unternehmen so kurz nach einem Amoklauf in unmittelbarer Nähe des Tatorts an einer Waffenmesse teilnehme, sagt GSoA-Sekretär Lewin Lempert.
Der Konzern werde «je länger, desto skrupelloser» in wirtschaftsethischen Fragen. Als weitere Beispiele nennt Lempert die Eröffnung eines Ruag-Büros im Nahen Osten oder die Expansion der Munitionssparte nach Brasilien, «einem Land mit extrem vielen Schusswaffentoten».
Auch Beat Flach, Nationalrat und Sicherheitspolitiker der Grünliberalen Partei, stellt die «ethische Grundausrichtung» der Ruag infrage. Der Konzern hätte sich seiner Meinung nach überlegen müssen, auf die Teilnahme an der Waffenmesse zu verzichten. SP-Nationalrat Cédric Wermuth bezeichnet das Verhalten der Ruag als «unglaublich unsensibel».
Ähnlich äussern sich einige bürgerliche Politiker. Mit Namen hinstehen will allerdings keiner von ihnen. Etli- che werfen aber die Frage auf: Wie sehr soll sich die Ruag mit ihren internationalen Tochtergesellschaften in Bereichen wie dem US-Munitionsgeschäft bewegen, die nur wenig mit den sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz zu tun haben?
Im Parlament mehren sich die Stimmen, die einen Verkauf aller Ruag- Gesellschaften ohne Bezug zur Schweiz anstreben. Die Geschäftsprüfungskommissionen werden dieses Szenario voraussichtlich Anfang Sommer in einem Bericht zur Diskussion stellen.
Die Ruag selber hätte kaum etwas gegen eine teilweise oder vollständige Privatisierung: Ihr Führungspersonal beklagte sich in der Vergangenheit wiederholt über die hohen Anforderungen, welche das Unternehmen wegen seines Status als Staatsbetrieb beim Waffenexport zur erfüllen habe.
Vorerst bleibt alles beim Alten. Bundesrätin Doris Leuthard, die 2017 als Bundespräsidentin den Opfern von Las Vegas im Namen der Schweiz ihr Beileid aussprach, teilt auf Anfrage mit: «Die Schiesserei von Las Vegas ist nach wie vor abscheulich. Die Angehörigen der Opfer und die Überlebenden lei- den immer noch. Wie diese verurteile ich auch alle anderen Taten, die auf den missbräuchlichen Waffengebrauch zurückzuführen sind.» Für weitere Fragen sei das Verteidigungsdepartement zu kontaktieren. Dort heisst es brüsk: Man bedaure und verurteile «jeglichen Missbrauch» einer Waffe. «Thoughts and Prayers». Auch in der Schweiz.