Schweiz
Zürich

Plakat an der Zürcher Langstrasse sorgt für eine Kontroverse

Die Werbung von Electrolux hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack.
Die Werbung von Electrolux hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack.bild: watson

Diese Electrolux-Werbung an der Langstrasse kommt gar nicht gut an

An der Langstrasse hängt ein Werbeplakat der Firma Electrolux. Es hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack.
17.05.2023, 09:5217.05.2023, 12:32
Lea Oetiker
Lea Oetiker
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Wenn man an der Langstrasse durch die Unterführung Richtung Limmatplatz läuft, prangt da eine riesige Werbewand.

Seit neustem hängt dort ein Plakat der Firma Electrolux, einem Produzenten von Haushaltsgeräten sowohl für den Privathaushalt als auch für grössere Institutionen.

Im ersten Moment ist das Werbeplakat nichts Besonderes: Ein Foto von einem Pärchen, welches sich in einer Küche Essen zubereitet. Sie wirken glücklich. Doch dann fällt der Blick auf den Spruch auf dem Plakat:

«A de Langstrass Appetit hole isch ok. Aber gässe wird dihei.»

Dieser Spruch hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack.

Ausgerechnet an der Langstrasse, dem bekanntesten Rotlichtviertel der Schweiz, hängt ein Werbeplakat mit dieser Botschaft.

Die Langstrasse, wie man sie kennt

Aber es geht nicht nur um die käufliche Liebe. Am Wochenende treffen an der Langstrasse Menschen aus dem ganzen Land aufeinander und feiern in hippen Bars oder coolen Clubs. Für das leibliche Wohl sorgen 24-Stunden-Shops und Essensstände, die sich aneinanderreihen.

Auf diesen Aspekt der Langstrasse beziehe sich auch die Werbung, so der Mediensprecher von Electrolux gegenüber watson:

«Unser Spruch bezieht sich auf die volkstümliche Redewendung, dass es in Ordnung sei, im Ausgang zu schäkern, aber keinesfalls mehr. In Anspielung darauf bezieht sich unsere Werbung auf das Essen: Trotz breitem Angebot an Speiserestaurants schmeckt es zu Hause immer am besten.»

Doch nicht nur für die Partys ist die Langstrasse berühmt, sondern eben auch für das berüchtigte Rotlichtmilieu. Das Sexgewerbe ist und bleibt ein fester Bestandteil der Langstrasse. Obwohl hier eigentlich gar nicht angeschafft werden darf, hat sich das Geschäft gehalten. Und die Realität der Frauen, welche Sexarbeit leisten, ist oft grausam.

Eine leuchtende Frauenreklame des Roland Kinos, aufgenommen am Donnerstag, 14. November 2013 in Zuerich. (KEYSTONE/Ennio Leanza)
Eine leuchtende Reklame.Bild: KEYSTONE

Peter Widmer, Gründer des gemeinnützigen Heartwings Vereins, setzt sich seit über 15 Jahren für Frauen in der Prostitution ein. Zum Plakat sagt er:

«Uns ist der Appetit vergangen. Das multikulturelle Essen schmeckt fein im Langstrassenumfeld. Doch das Rotlichtmilieu hier ist nicht appetitanregend. Sondern eher das Gegenteil.»

«Zuckerbrot oder Peitsche»

Heartwings hat schon einiges erlebt und gesehen. Widmer meint: «Das Party-Bild ist verankert. Schaut man hinter die Kulissen, sieht man Gewalt, Selbstmord, Selbstverletzung, Drogen und finanzielle Abhängigkeit. Es ist ein System, welches Frauen ausnützt.»

Wie viele Frauen freiwillig Sexarbeit leisten, kann Widmer nicht sagen: «Die Geschichte beginnt oft im Kindesalter. In ihrer armutsbetroffenen Heimat werden die Frauen fügig gemacht und mit 18 kommen sie in die Schweiz. So viele Jahre Missbrauch machen einen kaputt. Fragt man die Frauen also, ob sie sich freiwillig prostituieren, sagen sie meistens ‹ja›». Die Frauen hätten zwei Möglichkeiten: Mitmachen oder Konsequenzen, «entweder Zuckerbrot oder Peitsche», so Widmer.

«I have a Dream»

Im Büro von Heartwings steht eine riesige Wand. Mit grossen Buchstaben steht dort: «I have a Dream», «Ich habe einen Traum».

Heartwings Zürich: I have a dream – an dieser Wand können Sexarbeiterinnen ihre Träume aufschreiben
Die Träume von Sexarbeiterinnen.bild: heartwings verein

«Hier können die Frauen ihre Träume niederschreiben», sagt Jael Schwendimann zu watson. Auch sie arbeitet für den Heartwings Verein. Der Verein begleitet Frauen, die sich eine Veränderung wünschen, in eine neue berufliche Perspektive.

«Ich habe meinen Traum zum Beruf gemacht», würden laut Schwendimann viele Frauen in der Öffentlichkeit sagen. Aber die Realität sei anders. «Aufschreiben tun sie: Ich will Mami werden oder eine Lehre abschliessen. Wieder eine andere schreibt, dass sie ein Kinderheim aufmachen möchte», so Schwendimann. Und noch eine andere schreibt: «Eine Stimme sein für alle schwachen Frauen da draussen.»

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224 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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höckli
17.05.2023 10:11registriert Juni 2020
Ich musste schmunzeln. Die Aufregung ist künstlich.
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fredo0417
17.05.2023 10:00registriert März 2023
Top. Ich finds gelungen
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thefred
17.05.2023 09:56registriert Juni 2016
So gut! Bisschen Humor darf sein.
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