Und dann ist es so weit. Sind die Denver Nuggets erstmals in ihrer Franchise-Geschichte Champion der NBA. «Es war ein unfassbarer Moment», sagt Jamal Murray nach dem 94:89-Erfolg gegen die Miami Heat. Der 26-Jährige konnte seine Emotionen nicht verbergen: «Alles kam auf einmal hoch. Die Erinnerungen an die Reha nach der Verletzung und auch jene an meine Kindheit, als ich von so einem Moment geträumt hatte.»
Murray war erst zu Beginn dieser Saison von einer anderthalbjährigen Pause nach einem Kreuzbandriss zurückgekehrt. Während der Point Guard seine Leidenszeit Revue passieren liess, hatte ein anderer nur einen Gedanken. Nikola Jokic, der grosse Star und MVP der Finalserie, wollte einfach nur in seine Heimat. Als er hörte, dass die Siegesparade in Denver für den Donnerstag angesetzt war, sagte der Serbe entsetzt: «Nein, ich muss nach Hause gehen.» Am Sonntag würde eines seiner Pferde ein Rennen bestreiten, da wolle er unbedingt dabei sein, wie Jokic erzählte.
Jokić was asked if he's looking forward to the Championship parade.
— Bleacher Report (@BleacherReport) June 13, 2023
"No. I need to go home." 🤣 pic.twitter.com/1ZkPSG6mFe
Und so blieb es am Ende an Trainer Michael Malone, den Erfolg einzuordnen: «Wir haben etwas erreicht, was dieser Verein noch nie geschafft hat. Aber wir sind noch nicht zufrieden und wollen mehr.» Die Denver Nuggets seien von einem Niemand zu einem Emporkömmling geworden, dann zu einem Gewinner, einem Titelkandidaten und nun einem Meister. «Die letzte Stufe nach dem Champion ist eine Dynastie.»
Dass Denver diesen von Pat Riley, dem früheren Trainer und jetzigen Teampräsidenten von Miami, beschriebenen Weg eines NBA-Teams weitergeht, scheint nicht unrealistisch. Der Verein aus Colorado geht als Favorit in die nächste Saison und könnte tatsächlich eine Ära prägen.
Mit Jokic haben die Nuggets den aktuell besten Spieler der NBA in ihren Reihen. Der Center wurde sowohl in der Saison 2020/21 als auch 2021/22 zum «Wertvollsten Spieler» gewählt und hätte den Award in den Augen vieler auch in diesem Jahr verdient gehabt. Für Teamkollege Michael Porter Jr. ist Jokic schon jetzt «einer der besten Basketballer der Geschichte». Dabei ist der 2,11-Meter-Mann erst 28 Jahre alt.
Murray (26) und Porter Jr. (25), welche gemeinsam mit Jokic die sogenannte «Big Three» in Denver bilden, sind gar noch jünger. Ohnehin steht mit Kentavious Caldwell-Pope nur ein Spieler in der Starting Five, der schon 30 Jahre alt ist. So darf Coach Malone hoffen, noch möglichst lange auf seine Leistungsträger zu bauen. Denn neben den vier genannten ist auch der fünfte Starter Aaron Gordon noch mindestens eine weitere Saison an Denver gebunden.
Von den in den Playoffs relevanten Spielern dürfte einzig Bruce Brown nicht zu halten sein. Doch auch hier schafft Jokic Abhilfe. Zwar ist es leichter gesagt als getan, sogenannte 3-and-D-Spieler, die ihre Stärken sowohl im Distanzwurf als auch in der Defensive haben, zu ersetzen. Aber weil der fünffache Allstar seinen Mitspielern dank seiner Übersicht besonders viele freie Würfe ermöglicht, holt er stets das Beste aus dieser Art Spieler heraus. Porter weiss: «Jokic macht es dem Rest von uns einfach.» So trifft beispielsweise Caldwell-Pope den Dreier so hochprozentig wie noch nie in seiner Karriere.
Darin erinnern die Nuggets auch ein wenig an die letzte Dynastie in der NBA: die Golden State Warriors. Die kalifornische Franchise baute den Kern des Teams aus Stephen Curry, Klay Thompson und Draymond Green über den Draft auf. So ist es auch bei Denver mit Jokic, Murray und Porter. Dazu kommt ein starker Trainer, der mit seinem Team gemeinsam gewachsen ist. Bei den Warriors ist es Steve Kerr, in Denver eben Malone. Je stärker der Kern zusammenpasst und -hält, desto einfacher ist es für die Verantwortlichen, rundherum ein funktionierendes Team aufzubauen. Zumal ein Star wie Jokic auch einige erfahrene Spieler, die für eine Titelchance auf etwas Gehalt verzichten, anlocken wird.
Wie gut der Kern in Denver aufgebaut ist, zeigt eine Aussage von Jokic nach dem Gewinn des Titels. «Es ist eine grossartige Gruppe. Wir gewinnen nicht für uns selbst, sondern für den Jungen neben uns.» Obwohl dies wie ein Klischee klingt, nimmt man es dem Superstar ohne Ego ab. Es dürfte tatsächlich das Erfolgsrezept der Nuggets sein. Und Jokic, der nicht in den sozialen Medien aktiv ist, lebt dieses vor wie kein anderer.
In den Playoffs zeigte er mit über 30 Punkten pro Spiel, dass er einer der besten Skorer der NBA sein kann, wenn es sein muss. Doch er ist auch einer der besten Spielmacher und Vorbereiter, was er mit zusätzlich knapp zehn Assists im Schnitt beweist. Gleichzeitig sieht er sich aber nicht zwingend als besten Spieler seines Teams. «Manchmal bin ich das, manchmal aber auch nicht und das ist okay», sagte er vor Beginn der NBA-Finals. Damit ist er aber wohl der Einzige, der das so sieht.
Auch dank dieser Bescheidenheit des Anführers wird Denver in der Western Conference in den nächsten Jahren wohl das Nonplusultra bleiben. Was aber auch an der Unfähigkeit der Konkurrenz liegt. Diese besteht nämlich einerseits aus alternden (LA Lakers und Golden State) oder verletzungsanfälligen Superstars (LA Clippers und Phoenix). Oder sie versinkt andererseits im Chaos (Memphis und Dallas). Auch die aufstrebenden New Orleans und Oklahoma City sind noch lange nicht auf dem Level der Denver Nuggets.
Diese steigerten sich nach einer guten Regular Season mit 53 Siegen aus 82 Spielen noch einmal und setzten mit insgesamt nur vier Niederlagen in den vier Playoffserien ein Statement. Zumal sie in den Playoffs nicht nur die beste Offensive auf den Court brachten, sondern zugleich auch die fünftbeste Defensive. Wer in der nächsten Saison wieder um den Titel konkurrieren will, muss also an Denver vorbei. Denn, wie Trainer Malone gesagt hat: Jokic und Co. wollen mehr. Aber jetzt erstmal nach Hause zum Pferderennen.