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Wieso unser Olympia-Kolumnist in Rio oft an Karl Marx denkt, obwohl er nie ein Linker war
Nein, ich habe auf dem langen Hinflug nicht Karl Marx gelesen. Seine Werke sind viel zu langweilig. Sie gehören zu den langweiligsten Büchern, die je gedruckt worden sind. Ich war in jungen Jahren auch nie im linken Untergrund. Und doch muss ich in Rio de Janeiro hin und wieder an Karl Marx denken.
Der deutsche Kapitalismuskritiker und Polemiker hätte hier bei Olympia Antworten auf viele Fragen gefunden, die ihn zeitlebens umgetrieben haben. Beispielsweise auf die Frage, warum die Reichen immer reicher werden.
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Frondienst wie im Mittelalter
Das IOC ist ein global operierender Milliarden-Konzern mit Sitz in Lausanne und verdient sein Geld mit den Olympischen Spielen. Das ist keine Kritik. Bloss eine sachliche Feststellung. Diese Geldmaschine funktioniert, weil mehr 50'000 Menschen herbei eilen, um bei den Spielen unentgeltlich zu arbeiten und so den Reichtum des IOC zu mehren.
Aus aller Welt sind Frauen und Männer auch nach Rio gekommen, um olympischen Frondienst zu leisten. Frondienst war einst im Mittelalter eine Leistung der Bauern für den Grund- oder Leibherrn. Mit der Entwicklung der Geldwirtschaft sind die Frondienste durch bezahlte Arbeit abgelöst worden.
Das IOC hat den Frondienst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im grossen Stil wiedereingeführt. Es wäre möglich, alle, die in Rio zum Gelingen der Spiele beitragen, zu bezahlen. Das IOC würde immer noch viel Geld verdienen. Aber es muss eben oben immer mehr und unten weniger sein.
Zwei Wochen lang auf einem Parkplatz Autos einweisen
Die freiwilligen Helferinnen und Helfer müssen einen Schulabschluss haben, mindestens 18 Jahre alt sein und sich für mindestens zehn Tage zur Verfügung stellen. Sie arbeiten nicht nur gratis. Sie reisen auch auf eigene Kosten an und die Unterkunft müssen sie selber organisieren und bezahlen. Aber anders als die Bauern im Mittelalter ist es zumindest nicht vorgeschrieben auch noch Werkzeug und Pferde mitzubringen.
Drei T-Shirts, zwei Hosen, ein Paar Schuhe, eine Tasche und Verpflegung während des Einsatzes – das ist alles, was sie bekommen. Viele opfern ihre Ferien für die olympische Erfahrung. Die olympischen Fronarbeiterinnen und -Arbeiter dürfen zwar wünschen, was sie tun möchten. Aber am Ende des Tages werden sie eingeteilt, so wie einst die Bauern von ihren Guts- und Leibherren. Es kann sein, dass jemand die ganzen Spiele damit verbringt, irgendwo auf einem Parkplatz Autos einzuweisen.
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Die Magie der olympischen Idee
Ich frage immer mal wieder einen der  freundlichen Helfer oder eine der  freundlichen und charmanten  Helferinnen, was die Motivation sei. Die  Antwort ist stets die gleiche. Aus  Freude. Um ein Teil der olympischen  Familie zu sein. Um dabei zu sein. Die  Magie der olympischen Idee.
Karl Marx würde polemisieren, das sei  nichts anderes als Ausbeutung der  Werktätigen mit Hilfe der Ideologie mit  den fünf bunten Ringen. So etwas wage  ich natürlich nicht zu sagen und ich  entschuldige mich, dass ich auch nur an  so etwas gedacht habe. Sonst kommt doch noch jemand auf den  Gedanken, ich hätte auf dem Hinflug  Karl Marx gelesen oder sei ein linker  Aktivist gewesen.
