Herr Hamann, gerade sind die Halbfinals der Champions League vorbei, kein Bundesliga-Team war dabei. Nur Zufall oder war das absehbar?
Didi Hamann: Das ist eine Momentaufnahme, wir hatten ja letztes Jahr zwei deutsche Halbfinalisten und einen Klub im Finale. Aber wirklich überrascht bin ich nicht, weil die Dortmunder in der Liga grosse Probleme haben, oder hatten. Wobei die hatten sie letztes Jahr auch, und da haben sie es immer wieder geschafft, in der Champions League Ausrufezeichen zu setzen. Und die Bayern haben seit Neujahr einfach nicht gut Fussball gespielt, abgesehen von den zwei Leverkusen-Spielen war da sehr viel Stückwerk dabei. Sie sind gegen Inter Mailand verdient ausgeschieden.
Bayern München ist nach einem Jahr Unterbruch wieder Meister geworden. Täuscht der Eindruck, dass die Bayern schon besser waren?
Das würde ich so unterschreiben. Sie haben ordentlich angefangen bis zum Herbst, aber nach der Winterpause waren sehr viele schlechte Spiele dabei. Zu Hause knapp gewonnen, gegen Bochum verloren, das Heimspiel gegen Celtic, über das keiner mehr spricht. Gegen Inter haben sie in Mailand zwar ordentlich gespielt, aber davor das Spiel in Leverkusen, wo sie, glaube ich, kein einziges Mal aufs Tor geschossen haben … Sie haben recht, die Bayern waren mit Sicherheit schon mal besser.
Was muss sich ändern in München?
Es sind sehr viele Spieler schon lange Zeit hier. Ich bin schon der Meinung, dass man jetzt – gerade im Offensivbereich – mal anfangen sollte, frisches Blut reinzubringen. Die Aussenspieler Leroy Sané, Kingsley Coman und Serge Gnabry sind schon lange im Verein und ihre Leistungen sind überschaubar. In fünf Jahren schied man in der Champions League vier Mal im Viertelfinal aus und das ist natürlich nicht der Anspruch.
Der sportlichen Leitung der Bayern wird die Arbeit im Sommer nicht ausgehen.
Drei, vier neue Spieler müssen geholt werden. Das wird natürlich nicht billig, du musst erst mal welche abgeben. Aber eben, es gibt Kandidaten. Der Vertrag von Sané läuft aus. Er war immer wieder mal sehr gut, aber insgesamt war seine Leistung doch über weite Strecken überschaubar und ich wüsste nicht, wieso das besser werden sollte. Aber es muss nicht nur über Transfers gehen. Die Bayern müssen auch Spieler aus der Nachwuchs-Akademie einbauen, anderen Vereinen gelingt das auch. Anscheinend haben sie gerade drei, vier sehr vielversprechende junge Spieler.
Was ist mit der Zentrale?
Joshua Kimmich muss meiner Meinung nach hinten spielen. Ich würde ihn aus der Mitte rausnehmen, weil ich glaube, dass du mit ihm in der Mitte kein grosses Turnier gewinnst. Das hat Thomas Tuchel so gesehen, Julian Nagelsmann ebenso. Vincent Kompany – aus welchen Gründen auch immer – sieht das anders.
Eine neue Ära wird es in München ja nur schon dadurch, dass es für Thomas Müller keinen Platz mehr hat. Verstehen Sie den Entscheid der Bayern, ihm keinen neuen Vertrag mehr anzubieten?
Es ist etwas unglücklich abgelaufen, doch aus sportlicher Sicht verstehe ich den Entscheid. Für die Kommunikation hat sich Max Eberl entschuldigt. Gut, dafür kann sich Müller nichts kaufen. Das war unglücklich, aber so was passiert, auch wenn es nicht passieren sollte, und damit sollte es jetzt auch irgendwann gut sein.
Wenn Sie Thomas Müller wären: Weltmeister, jeden Titel gewonnen – würde Sie noch etwas Neues reizen oder würden Sie sagen: «Ach komm, ich lasse es, ich gehe als die Bayern-Legende»?
Als die geht er ja so oder so, egal ob er nun noch in Amerika spielt oder nicht. Er ist ein sehr familiärer Mensch, der hier verwurzelt ist, mit der Familie, mit seinem Gestüt, mit seinen Pferden. Man kann ihm, glaube ich, keine Ratschläge geben, das muss er alleine entscheiden. Mein Gefühl sagt mir, dass er aufhört.
Es gibt Gerüchte, wonach Torjäger Harry Kane zurück nach England wechselt. Würden Sie ihn verstehen?
Ich kann es mir nicht vorstellen. Ich weiss nicht, ob die Londoner Vereine in Frage kommen, sie sind ja grosse Rivalen von Tottenham. Aus eigener Erfahrung habe ich zudem mitbekommen, dass Londoner nicht so gerne in den Norden wechseln, deshalb kann ich mir etwa einen Transfer zu Manchester United eher weniger vorstellen. Mich würde es wundern, wenn an den Gerüchten etwas dran ist, und ich gehe schwer davon aus, dass Kane nächste Saison noch hier in München ist.
Sicher weiter dabei ist der 39-jährige Manuel Neuer, vielleicht wird es seine letzte Saison. Was muss auf der Torhüter-Position gehen in München?
Ich glaube, der Plan ist, dass man Jonas Urbig reinstellt. Er hat das bisher ordentlich gemacht, Fehler muss man jungen Spielern zugestehen. Es heisst, dass er nächste Saison einige Partien erhält und dann muss man schauen, wie er sich schlägt und Entscheidungen treffen. Alexander Nübel steht immer noch auf der Gehaltsliste, aber er ist schon lange verliehen und ob er nochmals für Bayern spielt, wage ich zu bezweifeln. Der Plan scheint im Moment zu sein, es mit Urbig durchzuziehen.
In der Schweiz trägt man Ihnen die Kritik an Yann Sommer in München immer noch nach. Soeben hat er Inter Mailand in den Champions-League-Final gehext. Beurteilen Sie ihn mittlerweile anders?
Absolut. Ich kann eine Situation immer nur zu dem Zeitpunkt bewerten, an dem ich etwas sage. Es war damals vor zwei Jahren eine sehr unruhige Zeit bei Bayern München. Es war viel los im Verein, was Auswirkungen auf die Mannschaft hatte, und das ist etwas, das gerade dem Torhüter nicht hilft. Sommer hat dann teils nicht gut gehalten. Ich war mit meiner Kritik ja nicht alleine.
Diese Einschätzungen haben ihn vielleicht auch angestachelt.
Kritik ist ja eigentlich etwas Positives. Sie bedeutet, dass ich denke, dass er es besser kann, als er es gezeigt hat. Das Schlimmste ist ja, wenn du schlecht hältst und keiner was sagt. Das heisst, dass du es nicht besser kannst. Da muss ich sagen: Was Sommer in den letzten beiden Jahren gemacht hat, zwei Mal die wenigsten Gegentore zu erhalten, Meister zu werden, in den Champions-League-Final einzuziehen – das zeugt von Charakter, von Willenskraft und ist für mich die Reaktion eines Champions.
Es zeigt sich erneut: Im Fussball ist vieles oft eine Momentaufnahme.
Sommer hat es vielen Leuten gezeigt, auch mir. Wie er gehalten hat, gegen die Bayern und auch jetzt wieder gegen Barcelona, war sensationell. Wir sprechen immer von Leadern, von Charakterköpfen, und da hat er in den letzten beiden Jahren gezeigt, aus welchem Holz er geschnitzt ist und dass er einer der Besten ist.
Bekommen Sie als TV-Experte eigentlich auch Mails oder Anrufe von Spielern oder deren Beratern, wenn Sie sich kritisch über sie äussern?
Das gibt es selten. Einmal hat mich ein Berater angerufen, da ging es um einen Schweizer Spieler, der mir unterstellte, ich würde eine Kampagne gegen ihn fahren. Dabei geht es mir immer um die Sache. Ich bin unabhängig und Kritik ist nie persönlich. Im Netz gibt es natürlich Beschimpfungen und Beleidigungen, aber da stehe ich drüber.
Spannung verspricht im Bundesliga-Endspurt der Kampf um einen Champions-League-Platz zwischen dem überraschenden Freiburg und Dortmund, das die Saison noch retten kann. Wen sehen Sie da vorne?
Die Freiburger spielen am Wochenende in Kiel, die Dortmunder müssen bei Leverkusen ran, für das es um nichts mehr geht. Die Freiburger spielen eine fantastische Saison, aber ich tendiere in dieser Frage zum BVB.
Dann wäre es für Borussia Dortmund doch noch eine erfolgreiche Saison, obwohl es lange nach einer grossen Enttäuschung aussah. Wo setzt man da bei der Analyse am besten an?
Die Mannschaft ist besser als das, was sie in dieser Saison gezeigt hat. Ich habe immer gesagt, dass ich der Meinung bin, dass die Mannschaft eine starke Hand braucht und die hat sie jetzt mit Niko Kovac. Er lobt zum richtigen Zeitpunkt, spricht aber auch Sachen an, die nicht gehen, und er macht vor Namen keinen Halt. Er scheint die absolute Unterstützung der Vereinsführung zu haben, was unheimlich wichtig ist. Ein erster Schritt zur Besserung wurde also bereits getan. So viel müssen sie vielleicht gar nicht machen.
Aus der Ferne erhält man oft den Eindruck, dass auf Dortmunds Führung das Sprichwort «Zu viele Köche verderben den Brei» zutrifft.
Es war über lange Jahre so, dass ein Spieler zur Führungsetage ging, wenn er Probleme hatte. Das untergräbt die Autorität des Trainers, und ich glaube, das haben sie gut in den Griff gekriegt.
Aus Schweizer Sicht interessiert der Blick von aussen auf Granit Xhaka, unseren Nationalmannschafts-Kapitän. Wie beurteilen Sie seine Spielzeit mit Bayer Leverkusen?
Sie hatten halt zu viele Unentschieden in der Liga und das Ausscheiden im Pokal-Halbfinal gegen Bielefeld war bitter, wenn auch verdient. Xhaka spielt wieder eine sehr gute Saison. Ich habe ihn schon bei Arsenal oft gesehen, da hatte er manchmal Undiszipliniertheiten dabei, die einiges kaputt gemacht haben. Seit er in Leverkusen spielt, muss ich sagen: Besser geht es kaum. Er ist nicht nur ein sehr guter Fussballer, er führt auch und macht Mitspieler besser.
Zum Abschluss der Blick in den Tabellenkeller: Vermutlich gehen Bochum runter und Kiel oder Heidenheim, womöglich werden sie durch den Hamburger SV und den 1. FC Köln ersetzt. Bei allem Respekt: Gefühlt besteht die halbe Bundesliga aus Teams wie Augsburg und Mainz. Wie wichtig ist es für die Liga, solche Grossklubs wie den HSV oder Köln zu haben?
Es ist so, wie es ist. Es verbietet dem HSV, Köln, Hertha BSC und Schalke ja keiner, dass sie aufsteigen. Und wenn sie es mit einem grösseren Etat und mit 50'000 oder 60'000 Fans jede Woche im Stadion nicht schaffen, vor Kiel oder Darmstadt oder Heidenheim zu sein, dann spielen sie halt weiterhin in der 2. Liga. Wer aufsteigt, hat es sich verdient, ich bin da wirklich neutral und freue mich für jeden, der hochkommt. Nach 34 Spieltagen geht es nicht um Glück und Pech, da steigen die Besten auf und das waren zuletzt halt oft nicht die Traditionsvereine.
Besonders Didi Hamann redet viel!