Die Meldung war an vielen Orten nicht einmal eine Randnotiz wert: Die NHL hat am Samstag entschieden, den aktuellen Gesamtarbeitsvertrag (CBA) mit der Spielervereinigung nicht vorzeitig zu künden.
NHL announces that it will not be exercising its option to reopen the Collective Bargaining Agreement for the 2020-21 season. https://t.co/AFkGXsdZ8x pic.twitter.com/epI2KUVzfR
— NHL Public Relations (@PR_NHL) August 30, 2019
«Es ist unsere Hoffnung, dass eine Periode des Friedens zwischen Gewerkschaft und Liga weiteren Wachstum ermöglicht. Davon profitieren alle: Spieler, Klubs, Businesspartner und am wichtigsten: unsere Fans», liess NHL-Commissioner Gary Bettman den Entscheid kommentieren.
Die Liga hätte bis zum 1. September Zeit gehabt, den aktuellen Gesamtarbeitsvertrag auf den 15. September 2020 zu künden, und damit vorzeitig Verhandlungen über eine neue Version zu lancieren. Doch sie hat darauf verzichtet. Und die Spieler?
Die Gewerkschaft der NHL-Stars hat nun bis zum 15. September ebenfalls die Möglichkeit, den Vertrag vorzeitig zu künden. Ziehen die Spieler im Gegensatz zur Liga diese Option, könnte für die NHL-Saison 2020/2021 ein Lockout drohen. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zu diesem Thema.
Das Collective Bargaining Agreement (CBA) ist der Gesamtarbeitsvertrag der NHL. Die Liga hat diesen erstmals 1967 mit der Spielergewerkschaft (NHL Players' Association oder NHLPA) abgeschlossen. Die neuste Version des CBA wurde 2012/13 überarbeitet und ist zehn Jahre gültig.
Im Vertragsdokument werden diverse Dinge geregelt: Wie die Spielerverträge auszusehen haben und wie Verhandlungen ablaufen müssen. Welche Rechte und Pflichten Spieler bei disziplinarischen Anhörungen haben und auch, wie Renten von NHL-Spielern geregelt sind.
Wer sich das ganze Dokument mal anschauen möchte, kann das hier tun (englisch).
Zu einem Lockout kommt es, wenn der Gesamtarbeitsvertrag ausläuft und sich Liga und Gewerkschaft vor dem Saisonstart nicht auf ein neues Papier einigen können. Dann «schliesst» die Liga die Spieler vom Spielbetrieb aus. Teile der Saison oder auch eine ganze Spielzeit können einem Lockout zum Opfer fallen.
Insgesamt hat die NHL schon drei Lockouts gesehen. Zum letzten Mal war es 2012/13 der Fall, als die Regular Season erst Mitte Januar begann. 2004/05 fiel gar die ganze Saison ins Wasser.
Neben einem Lockout gibt es auch noch die Möglichkeit eines Spielerstreiks. Ein solcher dauert allerdings oft nur einige Tage. Zum letzten Mal streikten die NHL-Spieler 1992 – damals für zehn Tage, in denen 30 Spiele verschoben werden mussten.
Nachdem die NHL sich nun also entschieden hat, nicht vorzeitig aus dem CBA auszusteigen, liegt der Ball Puck nun bei der NHLPA. Die Gewerkschaft hat bis zum 15. September Zeit zu entscheiden, ob sie den Vertrag vorzeitig künden will oder nicht. Entscheidet sie sich dafür, endet das aktuelle CBA am 15. September 2020. Entscheidet sie sich dagegen, läuft es wie vorgesehen nach der Saison 2021/22 aus und wird dann neu verhandelt.
Als Jonathan Toews, Captain der Chicago Blackhawks dieses Jahr gefragt wurde, welche zwei Dinge ihn am aktuellen CBA am meisten stören, sagte er: «A) Escrow und B) Escrow.» Was genau Escrow ist und warum es die Spieler stört, erklären wir dir einen Punkt weiter unten. Aber es ist definitiv die Passage des Vertrags, die den Spielern am wichtigsten ist.
Viele Spieler möchten zudem, dass künftig die Teilnahme an Olympischen Spielen durch den Gesamtarbeitsvertrag garantiert ist. Das dürfte allerdings schwierig werden, weil in diese Frage nicht nur die NHL, sondern auch der Internationale Eishockeyverband und das Internationale Olympische Komitee involviert sind.
Ein Thema, das den Spielern ebenfalls am Herzen liegt, ist die Behandlung nach dem Rücktritt – insbesondere Gesundheitskosten und die Behandlung von Gehirnerschütterungssymptomen, wie Bo Horvat, Spielervertreter der Vancouver Canucks, erklärt.
Es gäbe für die NHLPA also durchaus Gründe, die Verhandlungen über einen neuen Gesamtarbeitsvertrag vorzeitig zu starten.
Escrow ist der grosse Dorn im Auge der NHL-Spieler. Und doch scheint es momentan eine unumgängliche Notwendigkeit zu sein. Das aktuelle CBA schreibt nämlich vor, dass jegliches «hockey related revenue» – also Geld, das die Teams durch Tickets, TV-Verträge, Gastronomie etc. einnehmen – zwischen Spielern (durch die Löhne) und Teambesitzern halbiert wird.
Klingt in der Theorie einfach, ist in der Praxis aber etwas komplizierter. Denn die Spielerlöhne sind jedes Jahr eine fixe Summe. Die Einnahmen der Teams variieren aber von Jahr zu Jahr, insbesondere jene der kanadischen Teams, die zusätzlich noch vom Wechselkurs zum US-Dollar abhängig sind. Und da kommt Escrow ins Spiel.
Damit die Spieler mit ihren Löhnen nicht einen zu grossen Teil des Kuchens erhalten, wandert jedes Jahr ein gewisser Teil der Spielerlöhne (meistens sind es mehr als 10 Prozent) auf einen Escrow-Fonds einer Drittpartei.
Die NHL bestimmt, welchen Prozentsatz die Spieler abgeben müssen, indem sie die Gesamteinkünfte der Teams prognostiziert. Ende Saison, wenn die Teameinnahmen definitiv feststehen, wird das aufgesparte Escrow-Geld an Spieler und Teambesitzer verteilt, sodass die 50:50-Vorgabe erfüllt wird. Bleiben die Einkünfte der Teams unter den Erwartungen, erhalten die Besitzer die Mehrheit des Geldes, um dieses Loch zu stopfen. Sind die Einkünfte höher als erwartet, erhalten die Spieler ihr Geld wieder zurück.
Man kann also verstehen, warum die Spieler das nicht mögen. Ihre Verträge sind durch dieses System gar nicht das wert, was auf dem Papier steht. Zudem geben sie durch Steuern und Agentenhonorare schon andernorts einen beträchtlichen Teil ihres Salärs ab.
«Ich weiss nicht, ob wir Escrow komplett abschaffen, das müssen wir noch herausfinden. Aber wir sollten es zumindest einschränken oder mehr Kontrolle darüber haben, damit wir wissen, was uns erwartet. Das wäre unser Ziel», sagt Cory Schneider von den New Jersey Devils. NHL-Commissioner Gary Bettman sieht Escrow dagegen als «Funktion des Salary Caps» und sagt, dass es noch teurer wird, wenn die Löhne weiter wachsen.
Selbstverständlich wollen weder Liga noch Spieler einen Lockout und versuchen deshalb, eine Einigung zu finden, bevor ein Ausfall der Saison droht. Die erste Frage, die es zu beantworten gilt, ist: Wird die NHLPA die Option ziehen, den aktuellen Gesamtarbeitsvertrag bereits auf nächsten Sommer zu künden?
Momentan scheint die Tendenz eher in Richtung eines Neins zu gehen. Klar, das kann sich noch ändern. Die Spieler können sich bis zum 15. September beraten. Doch es ist derzeit hauptsächlich eine Image-Frage. Die Liga hat gesagt, dass sie (noch) keinen Lockout will. Nun könnten die Spieler bei den Fans zu den Buhmännern werden. Multimillionäre, die noch mehr Geld wollen – das würde bei vielen zahlenden Fans auf wenig Verständnis stossen.
Selbst wenn sich die Gewerkschaft entscheidet, den Gesamtarbeitsvertrag doch vorzeitig auslaufen zu lassen, ist ein Lockout alles andere als sicher – aus diversen Gründen. Bald gibt es für die NHL in den USA einen neuen, milliardenschweren TV-Vertrag. Der verliert aber an Wert, sollte es demnächst zu einem Lockout kommen.
Ein weiterer Faktor ist die bevorstehende Expansion nach Seattle. Ein Lockout, bevor die neue Franchise im Sommer 2021 zur Liga stösst, wäre extrem schlechte Werbung. Zudem hätten die beiden Parteien ab dem 15. September mehr als ein Jahr Zeit, einen neuen Gesamtarbeitsvertrag auszuhandeln. Da sollte es eigentlich möglich sein, noch vor der Saison 2020/21 eine Einigung zu finden. Deshalb scheint ein Lockout im nächsten Herbst derzeit eher unwahrscheinlich.