Für einmal können wir unsere Analyse auf ein einziges Tor beschränken. Der Zorn von Biels Trainer Martin Steinegger richtet sich gegen die Schiedsrichter. Im letzten Augenblick kann er sich beherrschen und schmeisst die Trinkflasche, die er schon ergriffen hatte, nicht aufs Eis. Er hatte die Nachprüfung des dritten Treffers der Zürcher verlangt («Coaches Challenge»). Aber die Schiedsrichter bestätigen das 3:2 für die ZSC Lions. Das zehntlängste Spiel unserer Playoff-Geschichte ist zu Ende.
Martin Steineggers Erregung ist verständlich. Die Bieler haben ein Tor kassiert, das an Dramatik und Fragwürdigkeit nicht zu überbieten ist. Wie das berühmte «Wembley-Tor». Der Basler Gottfried Dienst hatte einst beim Final der Fussball-WM am 30. Juli 1966 das Tor der Engländer zum 3:2 in der Verlängerung (101. Minute) gegen Deutschland nach Konsultation von Linienrichter Tofiq Bachmarow gegeben.
Bis heute ist nicht einwandfrei geklärt, ob der von der Latte herunterspringende Ball wirklich hinter der Linie war. Ingenieure und Ingenieurinnen und Bildtechniker und Bildtechnikerinnen sowie sonstige Forschende haben sich mit diesem Tor befasst und es gibt sogar Bücher darüber («Drin oder Linie?»). Aber es gibt keine Gewissheit. England gewann am Ende im Wembley 4:2 und wurde zum bisher einzigen Mal Weltmeister. Die «Süddeutsche Zeitung» forderte unter dem Eindruck dieses Tores am 1. August 1966 im Fussball «Torrichter wie im Eishockey». Inzwischen gibt es im Eishockey keine Torrichter mehr.
Am Mittwochabend geht es in Zürich noch nicht um den Titel. Es ist das dritte Viertelfinalspiel. Aber das 3:2 beendet das Spiel – beim WM-Final ging die Partie bis zur 120. Minute weiter und theoretisch hätten die Deutschen noch ausgleichen können. Biel liegt nun im Viertelfinal schier hoffnungslos 0:3 zurück.
Schicksalsschwer ist also dieses wohl umstrittenste Tor, das es bei uns je in einer Playoff-Verlängerung gegeben hat, halt schon. Was steht im offiziellen Regelbuch? Die Regel 80.3 sagt, dass ein Tor aberkannt wird, «wenn der Puck nach einem Kontakt mit dem Stock eines angreifenden Spielers, der sich über der Höhe der Querlatte befindet, ins Tor gelangt. Entscheidender Faktor ist, wo der Puck mit dem Stock in Berührung kommt».
Die Schiedsrichter haben das Tor auf dem Eis gegeben. Das bedeutet: Sie dürfen den Treffer nur annullieren, wenn sie bei der Nachprüfung auf den laufenden Bildern den Gegenbeweis sehen. Wenn also klar und zweifelsfrei zu erkennen ist, dass der Stock von Yannick Zehnder in den Sekundenbruchteilen der Berührung mit dem Puck höher war als die Querlatte des Bieler Tors. Gibt es nur die leisesten Zweifel, dann müssen sie den Treffer anerkennen. Nach dem Grundsatz: im Zweifel für den Angeklagten (der in diesem Falle der Torschütze ist). Oder etwas polemischer: im Zweifelsfalle für die ZSC Lions.
Die beiden Schiedsrichter Stefan Fonselius und Lukas Kohlmüller haben – anders als damals Gottfried Dienst im Wembley – alle technischen Hilfsmittel zur Verfügung. Sie müssen nicht ihre Linienrichter fragen. Sie können die laufenden Bilder vor- und zurückgespult, angehalten und verlangsamt betrachten. Es gibt sogar Bilder aus verschiedenen Winkeln.
Aber es gibt keine Gewissheit.
Das Problem: Yannick Zehnder steht ja nicht unmittelbar neben dem Tor. Er lenkt den von Patrick Geering geschossenen Puck im Vorbeifahren mit etwas Abstand vom Gehäuse und der Querlatte zum 3:2 ins Bieler Netz ab. Es ist völlig unmöglich, zweifelsfrei zu erkennen, ob er seinen Stock zum Zeitpunkt der Puckberührung tiefer, gleich hoch oder höher als die Querlatte hält.
Wir werden mit ziemlicher Sicherheit noch in hundert Jahren keine absolute Gewissheit haben, ob sein Stock zu hoch war oder eben nicht, ob dieses 3:2 regulär war oder nicht. Gefühlt war Yannick Zehnders Stock zu hoch. Aber eben: nur gefühlt.
Nur gefühlt heisst nicht ganz sicher. Nicht ganz sicher heisst in diesem Fall: Der Treffer zum 3:2 ist gültig. Im Zweifelsfall für die ZSC Lions. Letztlich ein Tatsachenentscheid wie das 3:2 der Engländer. Die Schiedsrichter haben keinen Fehler gemacht, sie haben sich ans Regelbuch gehalten, sie sind frei von Schuld. Ein schwacher Trost für die Bieler.
Biel hat sehr gut gespielt aber es verpasst, die Führungen zu halten oder zumindest das Spiel früher zu entscheiden.
In der Verlängerung das Spiel auf diese Art und Weise zu verlieren ist brutal, insbesondere weil es das vorentscheidende 3:0 in der Serie ist.
Aber seit 2 Jahren wissen wir, dass die ZSC Lions selbst mit einer 3:0 Führung das Ding noch vergeigen können :-))))
Schlussendlich hätte Biel ein zweites Tor schiessen müssen und dafür gab es zuvor genug Möglichkeiten...