Aus der Tiefe einer Depression hinauf zu den Gipfeln des Wunders: Als viertes Team gewinnt der HC Davos nach einem 0:3-Rückstand eine Playoffserie und spielt ab Freitag den Halbfinal gegen Zug.
Alles, was bis zum 3:0 für die Lakers in diesem Viertelfinal gegolten hat, erweist sich nun als Irrtum. Aber das gehört zur Unberechenbarkeit des Hockeys: Heute das Gegenteil von dem behaupten, was gestern als Wahrheit verkauft worden ist. Ohne dass jemand merkt, dass man die Meinung geändert hat.
Der Sieg der schnelleren, zielstrebigeren und vor allem physisch stärkeren Davoser ist verdient. Ohne Wenn und Aber. Nur ein «Lucky Punch» in der Anfangs- und Schlussphase hätte die Lakers vielleicht retten können. Aber nur vielleicht. Das Torschussverhältnis von 33:17 (19:4 im letzten Drittel) täuscht: Die optische Überlegenheit der Lakers war spielerischer Tand, eine hübsche, nutzlose Sache. Wahrscheinlich spielt auch eine Rolle, dass die Lakers von einer sorgfältig geheim gehaltenen Durchfallwelle heimgesucht worden sind, deren prominentestes Opfer mit Yannick-Lennart Albrecht ein Schlüsselspieler war.
Es ist ein Triumph für den «Gesetzesbrecher» Christian Wohlwend, dessen Amtsenthebung trotz Vertrag bis ins Frühjahr 2023 zur Debatte stand und vielleicht noch immer steht. Auf die Frage, ob nun eine Entlassung des Trainers definitiv vom Tisch sei, sagt HCD-Präsident Gaudenz Domenig: «Wir stehen im Halbfinal und sind für die Champions League qualifiziert. Nun spielen wir erst mal den Halbfinal. Unser Trainer hat einen Vertrag.»
Bedingungsloses Vertrauen in und Begeisterung für den Coach tönen eigentlich anders. Wenig Freude an der Champions League hat allerdings der HCD-Finanzchef. Er muss nun das Budget für nächste Saison korrigieren und wegen der Teilnahme am europäischen Wettbewerb einen zusätzlichen Verlust von mindestens 150'000 Franken vorsehen.
Item, Christian Wohlwend hat entgegen gängigen Verhaltensregeln triumphiert. Er hatte Sandro Aeschlimann so heftig wegen haltbaren Toren in der Öffentlichkeit kritisiert, dass ihm vorübergehend ein internes Interview-Verbot auferlegt worden ist. Als Gesetz gilt nämlich: Kein Coach, der bei Sinnen ist, kritisiert seinen Torhüter. Vielleicht ist das ein Irrtum und künftig gehört der heftige Goalie-Tadel zum Repertoire jedes Coaches. Seit der ärgsten Trainerschelte in der Geschichte unserer Playoffs (seit 1986) hält Sandro Aeschlimann alles, was gehalten werden muss.
Vielleicht geht nun das Abkanzeln des Schlussmannes als «Wolwonisierung» und neues Erfolgsrezept in die Geschichte ein. In zehn Jahren weiss dann niemand mehr, warum das Herunterputzen eines Goalies so genannt wird. Aber weiss denn jemand noch, warum der New Yorker Börsenindex Dow-Jones heisst? Weil er von Charles Dow (1851–1902) und Edward Jones (1856–1920), den Gründern des berühmten Wall Street Journals, im Jahre 1884 erfunden worden ist.
Die Härte, die der HCD im vierten Spiel vorübergehend ausgepackt hatte (und die Magnus Nygren drei Spielsperren einbrachte), als in der vierten Partie das Aus drohte, gilt als destruktiv. Christian Wohlwend geriet als «gefährlicher» Coach wegen «Anheizen» der Spieler in die Kritik.
Und siehe da: Der Stürmer Kristian Pospisil (25), in Peking olympischer Bronze-Held mit der Slowakei, kommt für den gesperrten schwedischen Verteidigungsminister ins Team. Es ist die Wende in diesem Viertelfinal. Er hat in den drei letzten Partien jedes Mal gepunktet. Im 5. Spiel in Rapperswil-Jona gar mit dem Siegestreffer in der Verlängerung und im 7. Spiel mit zwei Assists. Ob der unerwartete Umschwung auch mit Magnus Nygren geglückt wäre? Wir wollen nicht grübeln.
Logisch wäre nun, wenn Davos am Freitag in Zug erneut mit Kristian Pospisil antritt und Magnus Nygren, der nach Absitzen der drei Sperren wieder eingesetzt werden darf, auf die Tribüne verbannt. Aber Verteidiger Dominik Egli ist angeschlagen. Deshalb wird voraussichtlich Magnus Nygren ins Team zurückkehren.
Hat dieser HCD gegen Titelverteidiger Zug eine Chance? Der HCD ist Rekordmeister (31 Titel, der letzte 2015). Grosse Siege gehören zur DNA dieser Organisation. Wahrscheinlich weiss kein Feldspieler so gut wie HCD-Captain Andres Ambühl (39, Meister 2002, 2005, 2007, 2009 und 2015 mit Davos und 2012 mit dem ZSC), wie man Meisterschaften gewinnt. Es ist kein Zufall, dass nun der HCD das einzige Team ist, das zweimal in den Playoffs eine Serie nach einem 0:3-Rückstand gewonnen hat. Das ist die Warnung an die Zuger (erst zwei Meisterschaften), die als Titelverteidiger theoretisch himmelhohe Favoriten sind.
HCD-Präsident Gaudenz Domenig hat jedenfalls ein klares Ziel: «Wir wollen Meister werden.» Bevor wir nun den HCD-Vorsitzenden für Selbstüberschätzung oder gar fehlenden Respekt vor Zug kritisieren, müssen wir noch einen weiteren Satz von ihm zitieren: «Es ist einfach so, dass wir uns jedes Jahr den Titel zum Ziel setzen. Sonst macht es ja keinen Sinn, sich an einer Meisterschaft zu beteiligen …» Wo er recht hat, da hat er recht. Anders war es noch zu den herrlichen HCD-Zeiten von Arno Del Curto. Der Kult-Meistertrainer war ein Tiefstapler, für den selbst in den Jahren der Titelverteidigung bereits die Qualifikation für die Playoffs als Wunder galt.
Die Lakers, die in der höchsten Liga in ihrer ganzen Geschichte immer Aussenseiter waren, haben nun erfahren, wie schwierig es ist, nach einer wundersamen Qualifikation als Favorit in den Playoffs hohe Erwartungen zu erfüllen.
Für das Scheitern gibt es keine Sündenböcke. Höchstens mit Marco Lehmann (verpasste im 5. Spiel die endgültige Entscheidung, als Davos den Torhüter durch einen 6. Feldspieler ersetzt hatte) einen tragischen Helden. Nun sind die Lakers nach ihrem dramatischen Untergang das neue, das zweite Biel: «Schönwetterkönige» zwischen September und März, Bettler ab Frühlingsanfang. Dramatisch und spektakulär verlieren und Scheitern als Teil der Klubkultur. Bei Biel in den Playoffs seit dem Wiederaufstieg von 2008. Bei den Lakers seit gestern Abend.
Aber Hand aufs Herz: Was ist schon eine kurze, heftige Playoff-Party im Frühjahr gegen glückliche sechs Qualifikations-Monate von September bis März? Eben. Biel lebt so seit Jahren glücklich und auch die Lakers sind glücklich. Eigentlich sollten die Lakers und Biel nun in einem Final den «Meister der Herzen» ausspielen. Vielleicht macht ja Fleurop als Sponsor mit.
Freuen wir uns auf ebenso hart umkämpfte aber faire und spannende Halbfinals.