Sag das doch deinen Freunden!
So schlimm war es bei einem Heimspiel seit dem 30. Januar 2015 (1:5 gegen Kloten) nie mehr. Dieses 0:4 gegen Gottéron ist nicht nur das miserabelste Spiel seit der Absetzung von Trainer Guy Boucher am 18. November. Es ist die höchste Niederlage, das kläglichste Heimspiel der Saison. Und das nur ein paar Tage nachdem es schien, der SCB sei mehr Titel- als Abstiegsrundenkandidat. Was ist mit dem SC Bern los?
Nach der «Überlebenswoche» mit den drei Partien in Lausanne (4:5 n. P.) und Ambri (4:3 n. V.) und dem Heimspiel gegen Zug (5:2) war eigentlich klar: Der SCB wird die Play-offs erreichen und dort ein gefährlicher Aussenseiter sein.
Die Berner hatten in diesen drei Partien leidenschaftlich gekämpft, sich durch Rückstände nicht irritieren lassen, nie aufgegeben (Ausgleich in Lausanne in der letzten Sekunde) und schliesslich das Spitzenteam Zug überrollt. Sie waren wild, manchmal gar böse. Sie gingen den Gegenspielern unter die Haut. Timo Helbling, Thomas Rüfenacht und Simon Moser liessen – wenigstens nach helvetischen Massstäben – «Goon-Qualitäten» aufblitzen.
Die Berner zelebrierten endlich wieder jenes wuchtige, emotionale, einschüchternde Hockey, das der wahren SCB-Kultur entspricht. Und damit war auch klar: Der ungeliebte Nottrainer Lars Leuenberger ist ein grosser Trainer. Er hat die Mannschaft endlich auf eine solide Basis geführt. Eigentlich müsste über eine Vertragsverlängerung nachgedacht werden.
Und nun 0:4 gegen Gottéron. Leidenschaftslos, harmlos, chancenlos. Timo Helbling, Thomas Rüfenacht und Simon Moser sind nie böse. Der gegnerische Torhüter wird nicht provoziert und auch sonst niemand. Die Zuversicht nach der «Überlebenswoche» war ganz offensichtlich ein Irrtum. Wie kann das sein?
Lars Leuenberger ist nach dem Spiel ratlos – aber nicht überrascht von der enttäuschenden Leistung. «Wir haben diese Woche so trainiert, wie wir jetzt gespielt haben. Ich habe das Training immer wieder unterbrochen und interveniert.» Warum das so war, kann er nicht sagen. «Es gibt nichts schönzureden. Aber ich kann es mir nicht erklären.» Nun gibt er seinen Spielern erst einmal vier Tage frei – und dann beginnt wieder alles von vorne.
Aber warum hat der SCB so miserabel gespielt? Wer als Chronist über den SCB zu berichten hat, schwebt permanent in Gefahr, dass sein nüchternes Urteilsvermögen durch die Emotionen des Tages verfälscht wird. Gerade Heimspiele vor der grössten Zuschauerkulisse Europas verleiten dazu, den SCB wuchtiger, dynamischer und besser einzustufen, als er in Wirklichkeit ist.
Wo also stehen die Berner nach der Pleite gegen Gottéron? Lassen wir uns nicht von den Gefühlen der Enttäuschung im Stadion beeinflussen, die bereits zehn Minuten vor Schluss zu vereinzelten Pfiffen führten.
Machen wir für einmal eine Krisenbetrachtung abseits des Eisfeldes. Der bekannte Krisentheoretiker Steven Fink sieht drei Warnsignale vor der Krise. Erstens spitzt sich eine Situation so zu, dass sie schwer beherrschbar wird. Zweitens werden die Massenmedien argwöhnisch und drittens wird die ordentliche Geschäftsführung beeinträchtigt.
Wenn wir den SC Bern so betrachten, dann sind gleich alle drei Punkte erfüllt. Die Situation hat sich «am Strich» schon seit Wochen so zugespitzt, dass sie für den SCB schwer kontrollierbar wird – was die Konkurrenz macht, wird immer wichtiger. Der Argwohn der Medien ist längst geweckt und der ordentliche Geschäftsablauf, der eigentlich jetzt von den Vorbereitungen auf die kommenden Play-offs geprägt sein müsste, ist beeinträchtigt. Statt mit Play-off-Hockeyfestspielen muss sich SCB-General Marc Lüthi mit Krisenmanagement beschäftigen.
Die Krise selbst definiert der Amerikaner Hermann Kahn als ein Gefühl der Bedrohung, verbunden mit Unsicherheit, Dringlichkeit und Zeitdruck beim Management. Das Problem ist dabei, dass die Entscheidungen oft aufgrund unvollständiger oder verfälschter Informationen in emotionalem Zustand gefällt werden. SCB-Manager Marc Lüthi befindet sich längst in diesem Zustand. Seine Kabinenpredigt mit vorgängigem Türenschletzen nach der Niederlage in Biel vor der «Überlebenswoche» war ein nationales Medienthema.
So gesehen steckt der SCB tatsächlich in einer schweren Krise und ist daher eher Abstiegsrunden- als Titelkandidat. Oder anders gesagt: Die Krise steckt beim SCB im Umfeld und strahlt immer wieder auf die Sportabteilung aus. Oder volkstümlicher gesagt: Der Wurm ist drin. Das Wissen, dass das Verpassen der Play-offs für die Spieler keine Konsequenzen haben wird, die Arroganz, die mit der Überzeugung einhergeht, man sei doch eigentlich viel zu gut für eine Abstiegsrunde, haben ganz offensichtlich dazu geführt, dass die Leidenschaft schon wieder erloschen ist.
Die Pleite gegen Gottéron sorgt nun für unruhige Tage. Denn der SCB wird erst am 21. Februar auswärts gegen die ZSC Lions wieder spielen. Seine Strichgegner werden hingegen schon vorher im Einsatz stehen und es ist möglich, dass sich die Berner nach der Nationalmannschaftspause bei Wiederaufnahme des Spielbetriebes vor den letzten vier Partien auf dem 10. Platz wiederfinden. Die Kloten Flyers können heute in Zug und morgen in Biel sechs Punkte holen – und dann wäre der SCB schon am Sonntagabend unter dem Strich klassiert.
Will Marc Lüthi handeln, dann muss er es in den nächsten Tagen tun. Aber was soll er tun? Sein Handlungsspielraum ist inzwischen begrenzt. Alle klassischen Massnahmen (Trainer- und Ausländerwechsel, Kabinenpredigt) hat er bereits ergriffen. Mit ziemlicher Sicherheit wird er deshalb in den nächsten Tagen höchstens noch einmal ordentlich in der Garderobe toben und hoffen, dass es am Ende doch reicht.
Doch diese Einschätzung ist mit Vorsicht zu konsumieren: Gerade diese Saison lehrt uns, dass beim SCB immer alles anders kommt als erwartet. Aber es ist, wie es ist: Schafft der SCB die Play-offs doch noch, dann ist alles möglich. Der SCB ist von allen «Strichkandidaten» (SCB, Lausanne, Ambri, Kloten) das einzige Team, das in den Play-offs jeden Gegner besiegen kann.
Der Strichkampf ist eigentlich für dieses Bayern München des Hockeys eine Beleidigung. Erst die Play-offs wären dann wieder die sportliche Herausforderung, die dem SCB-Selbstverständnis entspricht. Und daher ist der SCB nach wie vor mindestens so sehr Titel- wie Abstiegsrundenkandidat.