Robert Mayer ist beides: ein formidabler Torhüter und ein talentierter Schauspieler. Am Donnerstagabend ist er in Biel beides. Vielleicht werden wir im Rückblick auf diesen Final erkennen, dass seine Kombination aus Talent und Hollywood im Final eine zentrale Rolle gespielt hat.
In der 31. Minute annullieren die beiden Headschiedsrichter den 2:2-Ausgleich von Etienne Froidevaux. Zuerst wird der Treffer anerkannt. Servettes Cheftrainer Jan Cadieux verlangt eine Nachkontrolle auf dem Video. Und siehe da: Das Tor wird zurückgenommen. Es bleibt beim 1:2. Weil Biels Stürmer Mike Künzle Goalie Robert Mayer kurz vorher im Torraum aus dem Gleichgewicht gebracht hat.
Die TV-Bilder sind eindeutig. Biels Stürmer hat Robert Mayer berührt. Die Regeln lassen keine andere Entscheidung als die Annullation des Tores zu. Hier die entscheidenden Passagen aus dem Regelbuch:
«Wenn ein angreifender Spieler den Torraum betritt und durch seine Aktionen die Fähigkeit des Torhüters, sein Tor zu verteidigen, beeinträchtigt und ein Tor erzielt wird, wird das Tor nicht anerkannt. Ein zufälliger Kontakt mit einem Torhüter ist erlaubt und daraus resultierende Tore sind gültig, solange dieser Kontakt ausserhalb des Torraums stattfindet, vorausgesetzt, der angreifende Spieler hat eine angemessene Anstrengung unternommen, um diesen Kontakt zu vermeiden.»
❌Der vermeintliche 2:2-Ausgleichstreffer des EHC Biel wird wegen Torhüter-Behinderung aberkannt. Das Bieler Publikum konnte den Entscheid logischerweise nicht wahrhaben. Was denkst du?#PlayoffsUndSuschtNüt I #IchbinFan pic.twitter.com/xwmMtvwOuZ
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Der Kontakt – auch wenn er zufällig war – fand im Torraum statt und Mike Künzle hätte diesen Kontakt vermeiden können. Er ist nicht von einem Gegenspieler in den Torraum geschubst worden und hätte das verbotene Terrain in der gleichen Richtung verlassen können, in der er ihn betreten hat.
Was die Zuschauenden so aufbringt: Robert Mayer lässt sich theatralisch fallen. Das ist offensichtlich. Hebt aber die Regel nicht auf, die eine Nichtanerkennung des Tores vorschreibt. Der einzige Fehlentscheid der Schiedsrichter: Sie haben es unterlassen, Servettes Torhüter wegen einer Schwalbe zu bestrafen.
Womit wir kalauern können: Eine Schwalbe macht zwar keinen Sommer. Aber sie verhindert ein wichtiges, wahrscheinlich entscheidendes Tor der Bieler. Die Frage ist polemisch. Aber berechtigt: Wird sich am Ende herausstellen, dass der Titelkampf auch durch Robert Mayers Schwalbe entschieden worden ist? Der Zorn der Bieler ist verständlich. Und so fliegen halt ein paar Gegenstände aufs Eis. Emotionen.
Es ist, wie es ist. Statt 2:2 steht es bei «Halbzeit» weiterhin 1:2. Den Bielern gelingt zwar im Schlussdrittel im Powerplay der Ausgleich zum 2:2 (49:33 Min.). Sie kassieren aber 59 Sekunden später das alles entscheidende 2:3. Ausgerechnet durch Marc-Antoine Pouliot (37). Durch den Mann, der beim späten Ausgleich auf der Strafbank sass. Es ist sein zweiter Treffer in diesem Spiel. Der eingebürgerte Kanadier stürmte einst fünfeinhalb Jahre für Biel. Er ist mit einer Bielerin verheiratet und Servettes Antwort auf Damien Brunner. Gleich alt. Die gleichen schnellen Hände. Die gleiche Spielintelligenz. Aber mit hölzernen Füssen.
🛑Letzter Halt Robert Mayer! Was für ein Save von Genfs Torhüter! Nach 20 Minuten steht es im vierten Finalduell zwischen Biel & Genf 1:1.#PlayoffsUndSuschtNüt I #IchbinFan I @officialGSHC pic.twitter.com/jhQnDeDiR7
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Hätte das 2:2 in der 31. Minute gezählt, wäre das 2:2 in der 50. Minute bereits das 3:2 gewesen. Dann wäre das 2:3 durch Marc-Antoine Pouliot nicht gefallen. Biel hätte gewonnen und könnte nun nach einem Sieg am Samstag in Genf Meister werden. Viel Drama und viel zu viel «hätte», «wäre» und «könnte».
Auch bei Servette gibt es einen Schiri-Aufreger. In der 17. Minute wird Verteidiger-Haudegen Marco Maurer, der raue Mann, der neben Verteidigungsminister Henrik Tömernes nach hinten absichert, unter die Dusche geschickt. Ohne dass er vorher auf der Strafbank Platz nehmen, ohne dass seine Mannschaft deshalb in Unterzahl spielen muss.
Was ist passiert? Ein harmloses Gerangel vor dem Gehäuse der Genfer ist bereits vorbei. Die Spieler fahren vom Ort des Geschehens weg. Da beleidigt Marco Maurer einen Linienrichter verbal so heftig (was er gesagt hat, ist noch nicht bekannt), dass er gleich in die Kabine geschickt wird. Nur bei einer saftigen Beleidigung gibt es eine so schwere Bestrafung. Er ist für die nächste Partie am Samstag in Genf gesperrt. Er mochte nach dem Spiel, im Kabinengang schon frisch geduscht, gebürstet und gekämmt, nicht Stellung nehmen. «Ich sage gar nichts mehr.»
Was ist der rein hockeytechnische Grund für Biels Niederlage? Die Entscheidung ist in erster Linie den Zufälligkeiten geschuldet, die diesem unberechenbaren Spiel auf rutschiger Unterlage innewohnen.
Die Bieler hatten genug Torchancen, um die Partie zu gewinnen. Servette allerdings auch. Die Genfer dominierten erneut. Mit 32:21 Torschüssen. Wichtig war, dass Servette genug Energie und Selbstvertrauen hatte, um den Anfangsschock (0:1 im Rückstand, Marco Maurer vom Spiel ausgeschlossen) wegzustecken und ins Spiel zurückzukehren.
Je länger der Final dauert, desto mehr Drama. Desto eher unterlaufen auch den Titanen Fehler. Die taktische Stabilität geht verloren und das Spiel wird vollends unberechenbar. Im Halbfinal gegen die ZSC Lions machen die Bieler aus 20 Powerplay-Minuten 6 Tore. Das Powerplay ist ihre ganz grosse Stärke. Nun haben sie im Final während 19:26 Minuten einen einzigen Treffer im Powerplay herausgeholt und am Donnerstag gar ein Tor in Überzahl kassiert (zum 1:2). Das Powerplay ist im Final Biels grösste Schwäche.
Playoff-Final heisst: Die Wahrheit von gestern ist der Irrtum von heute und vielleicht das Wunder von morgen. Im Final würfeln die Hockey-Götter.
Wir waren gestern schlicht nicht bereit. Wir waren fahrig. Wir waren unkonzentriert. Wir waren nicht im Flow. Es war nicht unser Abend. Wir waren nicht gut genug.
Kann es geben. Weiter gehts.