Stadion Schnabelholz in Altach. Nur drei Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt sitzen die Autoren des jüngsten Fussballmärchens. Altach, 6515 Einwohner, führt mit zwölf Punkten nach vier Partien die österreichische Bundesliga an. Mittendrin ein Schweizer, der in der Schweiz bislang kaum Spuren hinterlassen hat.
Wie auch? Dimitri Oberlin hat die Schweiz schon mit 17 aus Mangel an Perspektiven verlassen. Nun spielt er seine zweite Saison in Österreich und ist eben zum Wunderwuzzi erklärt worden. Allein fünf der sieben Altacher Treffer hat der Emporkömmling erzielt. Nur: Wer ist dieser Dimitri Oberlin?
Wie Breel Embolo kommt Oberlin in Kamerun zur Welt. Nachdem die Mutter in die Westschweiz emigriert, lebt Oberlin bei einem Onkel. Mit acht folgt er mit dem jüngeren Bruder Michel. Er tut das ohne Wehmut. «In Afrika haben die meisten Menschen nur ein Ziel: Europa. Nachdem meine Mutter einen Schweizer geheiratet hat, stand für mich die Türe zum Paradies weit offen.»
Oberlin beginnt mit Fussball und weckt schon mit 14 Begehrlichkeiten in der Deutschschweiz. Erst GC, kurz danach will ihn auch der FC Zürich verpflichten. Die Wahl fällt auf den FCZ, weil dieser zu jener Zeit mehr Ausstrahlung hat.
Oberlin disloziert mit 14 nach Zürich. Ohne Familie, ohne Deutschkenntnisse. «Und es steckte auch noch sehr viel Afrika in ihm drin», erinnert sich Albert Hohl, Talentmanager beim FCZ. «Es war schwierig und hat uns viel Aufwand gekostet, Dimitri zu integrieren.»
Marco Bernet, in jener Zeit technischer Direktor beim FCZ, sagt: «Afrikanische Fussballer sind meist kreativ, eigenwillig und unberechenbar. Wir Europäer haben häufig Mühe, einen Zugang zu finden. Bei Dimitri kam dazu, dass viele Einflüsse von aussen auf ihn eingeprasselt sind. Deshalb war es noch schwieriger, einen Zugang zu finden.»
Aber beim FCZ ist man überzeugt, dass sich der Aufwand ausbezahlen wird. Denn es ist unverkennbar, dass Oberlin über Fähigkeiten verfügt, und man bietet ihm schon mit 16 einen Profivertrag an.
Oberlin unterschreibt, obwohl ihm «Dutzende Angebote aus dem Ausland» vorliegen. Das Bekenntnis zum FCZ verknüpft er mit der Erwartung auf baldige Einsätze in der Super League. Doch die Realität sieht anders aus. Oberlin darf lediglich bei den Profis trainieren. Einsätze erhält er indes nicht. Aus seiner Optik wird er mit einem Mix aus Durchhalteparolen und falschen Versprechungen hingehalten.
Deshalb drängt er auf einen Wechsel. Nachdem dieser im Sommer 2015 (zu Salzburg) für einen tiefen siebenstelligen Betrag vollzogen wird, heisst es beim FCZ, Oberlin sei zu ungeduldig. Präsident Ancillo Canepa lässt sich gar zu der Aussage hinreissen, er hätte keine Lust mehr, sich mit hysterischen Müttern herumzuschlagen, «die behaupten, ihre Söhne seien mindestens so gut wie Breel Embolo, und deshalb einen Stammplatz in der ersten Mannschaft fordern». Die verbale Speerspitze sollte wohl den Oberlin-Clan treffen.
Wie hat er's nun mit der Ungeduld? Dimitri Oberlin sitzt hinter der Schnabelholz-Tribüne. Dünne Stimme, Deutsch mit französischen Akzent, er wirkt scheu, aufmerksam, aber nicht so, als sei er auf der Flucht. «So früh ins Ausland zu wechseln, war nicht Plan A. Aber ich wurde beim FCZ ständig auf später vertröstet, und irgendwann habe ich den Glauben verloren, dass ich überhaupt eine richtige Chance erhalte.»
Albert Hohl sagt: «Dimitri wäre bereit gewesen für die Super League. Deshalb haben wir vom Nachwuchs auch Druck gemacht. Doch es ist der Trainer der ersten Mannschaft, der entscheidet.» Der damalige Trainer hiess Urs Meier.
Plan B, der frühe Transfer ins Ausland, scheint aufzugehen. In Salzburg, dank Red-Bull-Millionen der absolute Liga-Krösus, findet er «perfekte Bedingungen vor, die es mir erlauben, mich nur auf Fussball konzentrieren zu können». Oberlin pendelt zwischen dem FC Salzburg (12 Spiele/3 Tore) und dem Farmteam Liefering (15 Spiele/7 Tore) aus der zweiten Bundesliga.
Weil Doublegewinner Salzburg unter anderem mit Munas Dabbur von GC die Offensive verstärkt, droht Oberlin eine weitere Saison in der ungeliebten Rolle als Joker. Also lässt er sich ausleihen. In den äussersten Westen des Landes. Nach Altach. Ein Plan, der wiederum aufgeht.
Oberlin stösst erst eine Woche vor Meisterschaftsstart zu seinem neuen Team. Trotzdem: Das Furioso nimmt seinen Lauf.
Vier Spiele, fünf Tore, Tabellenführung – Oberlin entzückt Österreich. Der Schweizer U21-Nationalspieler sagt: «Wir trainieren gut, haben qualitativ gute Spieler. Deshalb überrascht mich unser Saisonstart nicht wirklich.»
Der Jahrgang 1997, die Position Stürmer, das Talent, das Geburtsland Kamerun, die familiäre Wiedervereinigung in der Schweiz, die Anpassungsprobleme in der Schweiz, das fussballerische Bekenntnis zur Schweiz – dies nur die offensichtlichsten Gemeinsamkeiten zwischen Oberlin und Embolo. Kommt dazu, dass die beiden eng befreundet sind und sich täglich austauschen.
Der Vergleich animiert zu Planspielen. Oberlin mit Embolo in der Nationalmannschaft? Der Hochgelobte hält den Ball flach. «Das wäre eine tolle Sache. Aber darüber haben wir noch nie gesprochen. Schliesslich gibt es in der Nati starke Konkurrenz. Sowieso will ich mich nicht mit Breel vergleichen. Er steht zwei, drei Stufen über mir. Aber der Weg von Breel ist eine gute Motivation für mich.»
Und wohin führt Oberlins Weg? «Wenn die Karriere in geordneten Bahnen läuft, wird Oberlin explodieren. Aber er kann auch durchfallen, wenn man ihn hängen lässt», sagt Marco Bernet. Albert Hohl traut Oberlin schon bald den Sprung in die Nati zu.
Zurück nach Altach. Warum eigentlich Altach? Wegen der Nähe zur Schweiz? «Nein», sagt Oberlin. «Wo ich spiele, ist momentan nicht so wichtig. Hauptsache, ich spiele, entwickle mich weiter und spüre das Vertrauen des Trainers. Das ist hier der Fall. Übrigens war mir gar nicht bewusst, wie nahe Altach an der Grenze liegt.»
Und dann bricht er auf. Über die Grenze. Es ist sein erster Ausflug nach Zürich, seit er vor einem Monat in Altach angekommen ist. Shoppen wolle er. Hohl erzählt, dass Oberlin an jenem Tag im Heerenschürli, dem Trainingsgelände der FCZ-Junioren, auf ein kurzes Hallo vorbeigekommen sei.
Die Saison, wo der FCZ die ganze Zeit lang versuchte irgendeinem vorzutäuschen, man hätte einen Plan.
Zuerst wurden die Jungen (Elvedi, F. Rodriguez, Oberlin) billig verkauft, Stardiva Chikhaoui hatte man auch satt, später wollte man dann doch die "älteren" (Gavranovic, Sadiku, Chermitti, Chiumento) verbannen. Die Idee dahinter hat niemand verstanden und man hat ja gesehen, wohin es geführt hat. Keiner (Canepa, Meier oder Hyypiä) wusste genau was er tat, aber man hat es überzeugt durchgezogen.
Egal Cupsieger!
Schade 😭