Am 1. August kämpft in Rio de Janeiro die amerikanische MMA-Titelträgerin Ronda Rousey gegen Bethe Correia um die UFC-Bantam-Weltmeisterschaft. Weniger fachkundige Leute werden angesichts dieser Namen mit den Schultern zucken, Mixed-Martial-Arts-Fans hingegen frohlocken – und die Sportchronisten? Sie werden in den Geschichtsbüchern ein neues Kapitel aufschlagen: Zum ersten Mal in der Geschichte des kommerziellen Sports ist das absolute Aushängeschild einer Sportart, welche von beiden Geschlechtern professionell ausgeübt wird, eine Frau.
Im Fussball, im Tennis, im Golf und auch im Hallendrachenfliegen: Der grösste Star, die Lichtgestalt, die Ikone der Branche ist stets ein Mann. Diese Regel galt bisher als in Stein gemeisselt. Daran konnten auch klingende Namen wie Steffi Graf, Jackie Joyner-Kersee oder Nadia Comaneci (Kunstturnen) nichts ändern.
Darauf, dass ausgerechnet im Mixed Martial Arts (MMA) dieser alte Zopf abgeschnitten werden würde, deutete bis vor Kurzem noch gar nichts hin: Als Dana White, Präsident des wichtigsten und grössten Mixed-Martial-Arts-Verbandes UFC, im Jahre 2011 gefragt wurde, wann er Frauen in seinen Kampfkäfigen dulden würde, kam seine Antwort postwendend: «Nie!»
Etwa zur selben Zeit an einem anderen Ort: Eine gewisse Ronda Rousey entschied sich nach drei Blitz-Siegen bei den Amateuren zu den Profis zu wechseln. Ihre Gegnerinnen hatte sie jeweils in weniger als einer Minute erledigt. Zuvor hatte die Bronzemedaillen-Gewinnerin im Judo der Olympischen Spiele von Peking 2008 als Kellnerin in ihrer Bar einen Zusammenschnitt von MMA-Kämpfen gesehen und gedacht, dass dies vielleicht eine Chance für sie wäre, sich aus der postolympischen Tristesse zu kämpfen.
Denn was zu einem «Zwischenjahr mit Party» hätte werden sollen, wurde zum kompletten Absturz. Wie Rousey in ihrer Biographie «My Fight / Your Fight» beschreibt, musste sie phasenweise im Auto übernachten, weil sie sich keine Wohnung leisten konnte. Frühstück bedeutete eine Zigarette und ein Vodka-Espresso. Ausserdem war da noch die Vorliebe für Gras und Schmerzmittel – das gesamte Paket also.
Doch Ronda Rousey ist eine geborene Kämpferin – bereits ihre ersten Stunden auf dieser Welt wurden zum Todeskampf gegen die Nabelschnur, die sich um ihren Hals gewickelt hatte. Rousey erlitt einen Sauerstoffmangel, der ihr Hirn nachhaltig beschädigte – vollständige Sätze sprach sie erst mit sechs Jahren.
Sie sei ein «Sleeper», pflegte ihr Vater sie jeweils aufzubauen, wenn die sprachlose Ronda sich wieder einmal nicht ausdrücken konnte und deshalb einen Wutanfall kriegte: In ihr würden Talente schlummern, die sich erst später zeigen würden.
Ihr Vater sollte Recht behalten. Nur leider durfte er das Erwachen seiner Tochter nicht miterleben. Ron erholte sich nie mehr von einem tragischen Schlittelunfall bei dem er sich den Rücken brach. Er beendete bereits todgeweiht und nach langer leidenszeit sein Leben, als Ronda acht Jahre alt war. «Danach war nichts mehr, wie vorher», beschreibt Rousey den tragischen Moment, «danach war niemand der Familie, wie vorher.»
Rousey versucht heute dieser Tragödie ihr bestes abzugewinnen: «Ohne Rons Tod wäre meine Mutter nicht ihrem zweiten Ehemann begegnet, wir wären nicht zurück nach Kalifornien gezogen, ich hätte keine jüngere Schwester, ich hätte nie mit Judo begonnen. Wer weiss, was aus meinem Leben geworden wäre. Ich wäre sicher nicht hier.»
«Hier», das ist auf dem unangefochtenen MMA-Thron. Und Rouseys Kampfrekord beweist, dass sie diesen nicht nur einfach wegen ihrer blonden Haaren eroberte:
Küzlich wurde Ronda Rousey vom Business Insider zur «dominantesten lebenden weiblichen Athletin» gewählt und auch der zu Beginn zaghafte Dana White sagt: «Sie ist ein Game Changer. Sie ist einer der grössten MMA-Stars, wenn nicht der grösste.»
Doch weshalb schaffte ausgerechnet Ronda Rousey als erste Frau zum absoluten Superstar einer Sportart zu avancieren, welche auch und sogar vor allem von Männern ausgeübt wird? Dafür sprechen einige Gründe.
Auch wenn es sicherlich der Hauptverdienst von Ronda Rousey selbst ist, ihrer Dominanz, ihrer Gesamterscheinung, dass sie als erste Frau in der Geschichte eine gemischte Sportart dominiert, wird es auch geholfen haben, dass MMA eine junge Sportart ist. Weshalb?
Alteingesessene Organisationen tun sich schwer mit Neuem. Netflix wurde nicht von Filmverleihern gegründet, sondern von einem Softwareentwickler. Spotify wurde ebenfalls nicht von der Musikindustrie ins Leben gerufen und auch die besten Elektroautos stammen nicht von der alteingesessenen Autoindustrie, sondern von Tesla.
Genau so verhält es sich mit der Frauenpower und dem Sport. Die meist von grauen Herren dominierten Verbände sind zu starr und eingerostet um einer neuen Stossrichtung eine echte Chance zu geben. Leider.
Übrigens: Weisst du, weshalb Dana White noch vor wenigen Jahren so vehement gegen Frauen im Ring war? Er sei traumatisiert worden, als er zugesehen habe, wie ein Biest von einer Frau gegen eine Kämpferin antrat, die aussah, als habe sie vielleicht einmal ein paar Zumba-Klassen besucht.
Es sei einer der einseitigsten und übelsten Kämpfe gewesen, die er je gesehen habe, berichtet der UFC-Präsident. Er habe sich geschworen so etwas nicht zuzulassen.
Dana White hat in einem Punkt Wort gehalten: Optische Ungleichheiten gibt es bei den Frauen in der UFC tatsächlich kaum. Dass die Kämpfe dadurch ausgeglichener wurden, stimmt hingegen nicht. Wenigstens, wenn Ronda Rousey im Oktagon steht.