Wer hätte gedacht, dass Xamax nach dem 0:4 zu Hause gegen Aarau den Abstieg aus der Super League noch verhindern kann? Wer hätte gedacht, dass Manchester United, bis zur 90. Minute im Rückstand, den Champions-League-Final 1999 noch dreht und die Partie mit zwei Treffern in zwei Minuten entscheidet? Oder Watford 2013. Im Playoff-Halbfinal um den Aufstieg in die Premier League liegt das Team 2:1 vorne (Hinspiel 0:1) – alles deutet auf eine Verlängerung hin. Doch in der 95. Minute gibt es einen Penalty für Leicester. Der Torhüter pariert und nur 18 Sekunden erzielt Watford das 3:1.
Es gibt etliche dieser verrückten Geschichten im Sport, die derart schwer zu erklären sind, dass man meist nur ein Wort dafür findet: Wunder.
Auch die Schweizer Handballer brauchen heute (18.15 Uhr) so etwas wie ein Wunder, um die Hauptrunde zu erreichen. Entweder einen Sieg mit acht Toren Differenz gegen Slowenien. Notabene ein Team, das seit Jahren zur erweiterten Weltspitze gehört. Oder, die Schweiz muss mehr Punkte holen als Gastgeber Schweden in der anschliessenden Partie gegen Polen. Die Wahrscheinlichkeit ist klein, dass es die Schweiz in die Hauptrunde schafft. Trotzdem ist der Glaube an das Wunder vorhanden. Denn auch die Schweizer Handballer haben schon Ausserordentliches in ihrer Karriere erlebt.
«Es war im März 2018. Champions-League-Achtelfinal. Wir haben das Hinspiel zu Hause 28:25 gewonnen. Trotzdem reisten wir als Aussenseiter nach Barcelona. Plötzlich waren wir mit sieben Toren im Rückstand. Und das in der vollbesetzen Halle mit diesen heissblütigen Fans. Selbst zehn Minuten vor Schluss lagen wir noch sechs Tore zurück. Ich durfte durchspielen und es hat mich unglaublich stolz gemacht, dass wir noch bis auf zwei Tore rangekommen sind und damit den Einzug in den Viertelfinal geschafft haben.
Der Schlüssel zum Erfolg in Barcelona? Irgendwann begannen wir befreit zu spielen. Irgendwann fokussierten wir nicht mehr aufs Resultat. Wir sagten uns: Unser Job ist es nicht zu rechnen, sondern alles reinzuhauen, was in uns drin steckt. Wir haben wie kleine Buben gespielt, bei denen der Spass im Vordergrund steht. Ich meine, wir haben den schönsten Job der Welt, konnten unser Hobby zum Beruf machen. Dessen soll man sich bei aller Ernsthaftigkeit, bei allem Resultatdruck, stets bewusst sein.
In Serbien, wo meine Wurzeln liegen, sagt man sich: Der Ball ist rund. Es kann am Dienstag alles probieren. Wenn uns die Slowenen nur ein kleines bisschen unterschätzen, werden wir das ausnutzen. Wir sind nun im Turnier angekommen. Beim 31:24 gegen Polen haben wir befreit aufgespielt. Das war das Schweizer Team, das ich kenne.»
«Ich erinnere mich sehr gerne an den Sieg im Cupfinal von 2019. Jedes Team der Schweiz, das gegen die Kadetten antritt, ist von vornherein Aussenseiter. Kam dazu, dass uns mit Rubin und von Deschwanden zwei Nationalspieler vor der Saison verlassen haben. Da hat kaum jemand auch nur einen Rappen auf uns gesetzt. Wir hatten quasi keine Chance und haben sie genutzt. Vor allem, weil wir als Mannschaft über uns hinaus gewachsen sind. Das Gefühl nach einem solchen Exploit ist unbeschreiblich.
Am Dienstag erwartet uns eine Aufgabe, die hundert Mal schwieriger ist als jene im Cupfinal 2019. Es wäre naiv, wenn wir uns vornehmen, wir schlagen die Slowenen mit acht Toren. Ziel muss es sein, dass wir so zusammenhalten, wie wir es schon immer getan haben. Wir haben echt ein super Team. Ich freue mich jeden Morgen, dass ich mit all den Jungs frühstücken darf. Mit diesem Feeling müssen wir gegen Slowenien auf den Platz. Und dann kann sehr viel möglich sein. Man kann Wunder im Sport nicht erzwingen. Man muss schauen, dass man irgendwie in den Flow kommt.»
«Das war 2016. Europacup mit Pfadi Winterthur. Auswärts in Saint-Raphaël. Wir waren der klare Aussenseiter. Und wir waren auch etwas nervös, weil diese Bühne doch eher ungewohnt für uns war. Wir sind dann sehr schlecht ins Spiel gestartet. Wir lagen bei Halbzeit 7:17 zurück. Eigentlich war das Spiel verloren. Trotzdem haben wir die Hoffnung nicht verloren. Und so gelang uns eine unglaubliche Aufholjagd. Wahnsinn! Wir hätten sogar nochgewinnen können. Bei 28:28 hatten wir die letzte Chance des Spiels. Solche Erlebnisse setzen unbeschreibliche Emotionen frei.
Nun, es ist der Charakter und die Mentalität unserer Nati, die mich für das Spiel gegen Slowenien zuversichtlich stimmt. Es tönt vielleicht etwas abgedroschen: Aber bei uns geht wirklich jeder für den andern durchs Feuer.
«Erst kürzlich im Dezember, ist uns mit Wetzlar eine Sensation geglückt. Wir haben in Kiel gewonnen. Das ist nicht irgendeine Mannschaft, sondern europäisches Top-Level. Die Heimspiele immer ausverkauft. 10'000 Zuschauer in der Halle.
Als Bundesliga-Mittelfeldklub wie wir einer sind, fährst du im Wissen nach Kiel, dass die Erfolgs-Chancen bei maximal zehn Prozent liegen. Und wir haben nicht irgendwie gewonnen, sondern mit sieben Toren Differenz. Ich weiss nicht, ob das je einer anderen Bundesliga-Mannschaft gelungen ist. Um Exploits zu landen, braucht es den Glauben in die eigenen Fähigkeiten. Diesen werden wir gegen Slowenien auf die Platte bringen.»