Es ist überhaupt nicht sicher, ob der FC Sion nun ein Titelkandidat wird und es ist auch nicht sicher, ob das überhaupt die Idee ist. Die Verpflichtung von Mario Balotelli am Mittwoch für ein paar läppische Millionen (groben Schätzungen zufolge soll der Italiener zwischen zwei und vier Millionen gekostet haben) folgt nicht der Logik von Leistung und Kompetenz. Als verzweifelt rationale, utilitaristisch geprägte Wesen denken wir sofort an die Tore, die «Super Mario» schiessen wird. Aber die Ziele von Christian Constantin sind nicht die gleichen.
Um es etwas krass zu formulieren: Der überfüllte Kader des FC Sion brauchte keinen weiteren «Ballot» (französisch für Dummkopf). Der Alltag des Präsidenten, vielleicht. Sehr wahrscheinlich sogar. Christian Constantin hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass es für ihn ein orgastisches Vergnügen sein kann, «Probleme anzugehen», wie er uns einmal (um uns davon abzuhalten, ihm Probleme zu bereiten) in einer SMS mitten in der Nacht schrieb.
Dieser Mann tickt nicht wie wir. So ist er unersetzlich geworden. So, dass wir ihn eines Tages für all die Dinge vermissen werden, derentwegen wir ihn entweder geliebt oder gehasst haben. Und genau deshalb kann der Transfer von Mario Balotelli nicht durch das Prisma der Strategie und der Vernunft analysiert werden. Er ist nicht die Wahl eines Präsidenten. Er ist der letzte Akt eines Kaisers.
Seit einigen Monaten scheint Christian Constantin die Walliser auf einen baldigen Verkauf des FC Sion für eine symbolische Summe vorzubereiten. Er gibt sich nicht einmal mehr die Mühe, seine Müdigkeit angesichts mittelmässiger und langweiliger Saisons ohne wirkliche Probleme, ohne Prozesse oder Proteste (oder Progress) zu verbergen.
In vielerlei Hinsicht scheint die Ankunft von Mario Balotelli diese Art von Ruhe zu stören, indem sie Extravaganzen und Unvorhergesehenes mit sich bringt. Von allen Akquisitionen, die «CC» im Fussball und in der Immobilienbranche, einschliesslich seines Ferrari-Händlers, getätigt hat, ist dies wohl die verrückteste. Die illustrativste und anschaulichste.
Es geht natürlich um das Ego, aber nicht nur. Constantin mochte schon immer unartige Jungs. Noch viel mehr, wenn sie ein wenig von der Rolle waren. Vor einem Cupfinal schlief er im Bett von Ahmed Ouattara, weil der Torjäger von der Elfenbeinküste Lampenfieber hatte. Aber abgesehen von dieser berüchtigten Anekdote baute er weitaus diskretere Beziehungen zu Spielern aus den unterschiedlichsten Verhältnissen auf – aus persönlichem und aufrichtigem Interesse.
«Meine Beziehung zu Italien begann, als ich etwa vier oder fünf Jahre alt war», erklärte Constantin einst gegenüber watson. «Ich ging auf die Baustellen meines Vaters und schnitt mit den italienischen Arbeitern während ihrer Pause Mortadella, ich teilte viele Momente mit ihnen. Diese menschliche Kultur des Südens war mir sofort ans Herz gewachsen.»
Von aussen betrachtet verkörpert Balotelli all das: den Süden und starken Kaffee, Klasse pur, ein wenig Wärme und Chaos in einer Welt voller Tore. Angeberei: Christian Constantin ist ein grosser Verführer, dessen Verführungskraft sich auch aus seinen attraktiven Unternehmen speist – ein sogenannter Tugendkreis (oder Teufelskreis, je nachdem, wie sich die Dinge entwickeln).
Er stand mit Depardieu und Jugnot auf der Bühne, mit Pelé und Zico auf dem Spielfeld und mit dem Hubschrauber auf dem Matterhorn; jede Gelegenheit wird genutzt, um sich grösser erscheinen zu lassen. Die Verhandlungen mit Mario Balotelli haben ihm schon vor ihrem Abschluss einen kleinen internationalen Bekanntheitsgrad verschafft, und diese Medienpräsenz wird ihm vielleicht helfen, den FC Sion bei potenziellen Käufern zu vermarkten und eine gewisse provinzielle Lahmheit abzulegen. Aber sie wird ihm zumindest ein paar Minuten in den Nachrichten, der Tagesschau, einbringen, «seinem absoluten Traum», wie ein ehemaliger Westschweizer Politiker, der an der Sittener Olympiabewerbung für 2026 mitgearbeitet hat, sagt.
Wenn wir undankbar wären, würden wir sagen, dass es sich um Aufregung und Geld handelt, das aus dem Cabrio-Dach geworfen wird. Ein kleines Ablenkungsmanöver für müssige Millionäre. Aber das würde ignorieren, dass wir uns auch ein wenig langweilen, in dieser sehr ruhigen Meisterschaft, ohne viele Spieler, die man bewundern oder hassen kann.
Und eines Tages, eines schrecklichen Tages, ohne Christian Constantin selbst, den letzten Kaiser, den einzigen Präsidenten in der Schweiz, der in der Lage ist, zwei bis vier läppische Millionen für einen Spieler auszugeben, der ihm «wertvolle Probleme» bereiten wird.
Danke CC für diese Attraktion und die ganze Unterhaltung!