Einfach nur verrückt ist das. Wenn die Schweiz am Samstag (18 Uhr) im Viertelfinal der Fussball-EM antritt, dann macht sie das in den Augen vieler Experten als Favoritin. Verrückt ist das vor allem auch, wenn man den Gegner kennt: England. Das Mutterland des Fussballs.
Englische Studenten brachten den Fussball einst vor rund 170 Jahren in die Schweiz. Unsere Fussballsprache ist bis heute von ihren Begriffen geprägt, die anders sind als die deutschen. Wir tschutten (to shoot) und erzielen dabei kein Tor, sondern ein Goal, womöglich nach einem Corner (Eckball).
Dieses Mutterland hat uns auf dem Fussballplatz oft vermöbelt. Nie verlor unser Nationalteam ein Länderspiel höher als 1909, als es gegen England analog der Jahreszahl eine 0:9-Niederlage absetzte. Von 31 Vergleichen gewann die Schweiz ganze drei, zuletzt 1981 unter Paul Wolfisberg mit seiner «Abbruch GmbH».
Und nun sagt einer wie Gary Lineker, 48-facher Länderspieltorschütze und längst Englands meistbeachteter Fernseh-Analyst, vor dem Viertelfinal gegen die Schweiz: «Ich glaube jetzt nicht mehr, dass wir die Favoriten sind.»
Natürlich schwingt in solchen Aussagen der Frust darüber mit, wie uninspiriert die Engländer bislang an diesem Turnier aufgetreten sind. Es ist aber auch ganz viel Lob dabei für die Schweizer Spieler, die Murat Yakin zu einem Spitzenteam formte. Die taktisch, spielerisch und kämpferisch glänzen und die im Achtelfinal den (an diesem Tag zugegebenermassen schwachen) Riesen Italien an die Wand spielten.
Natürlich kann man einwenden, dass die Experten auf der Insel versuchen, mit ihren Aussagen ein wenig Druck von den Spielern zu nehmen. Aber die wird es eh nicht gross jucken, was über sie gesagt und geschrieben wird. So wie die Schweizer Spieler die Meinung von Aussenstehenden nicht kümmern muss.
Die Fans hingegen dürfen das geniessen. Es tut der Schweizer Fussball-Seele doch einfach nur gut, wird unsere Nati endlich einmal von allen ernst genommen. Endlich sind mal wir in der Rolle des Underdogs, der alle überrascht und manch einen gar das Fürchten lehrt. Und das alles noch mit einer attraktiven Spielweise, nicht mit destruktivem Rumpel-Fussball. Das geht runter wie Honig. So muss es sich wohl als Brasilianer anfühlen.
Die Engländer haben keine Schweizer Ausdrücke in ihren Fussball übernommen. Vielleicht lernen sie bald eine unserer Redewendungen kennen. Wenn die Nati so auftritt wie an dieser EM gegen Ungarn, Deutschland und Italien, kann sie auch die Engländer schlagen. Wenn sie sich daran hält, weiterhin alles für den Erfolg zu tun: «Nöd lugg loh gwünnt.»