Die Bombe platzt, als die Olympischen Sommerspiele in Tokio bereits laufen. Der Schweizer Sprinter Alex Wilson wird am 27. Juli 2021 vom Internationalen Gerichtshof CAS in Lausanne wegen Dopings provisorisch gesperrt und darf nicht bei Olympia starten.
Diesem Entscheid geht ein mehrmonatiges Hin und Her abseits der Öffentlichkeit voraus. Bei seiner Rückkehr aus dem mehrwöchigen Trainingslager in Las Vegas am 14. März 2021, um die Geburt seines dritten Kindes mitzuerleben, wird der Schweizer Rekordhalter über 100 m und 200 m am Morgen darauf von Swiss Sport Integrity (SSI) zuhause unangemeldet getestet. Der Test fällt positiv aus, das Labor weist im Urin des Baslers mit jamaikanischen Wurzeln die anabole Substanz Trenbolon nach. Wilson wird am 28. April von SSI provisorisch gesperrt.
Die Anwälte von Alex Wilson unter der Führung des Baslers Gabriel Nigon fechten diese provisorische Sperre mit Verweis auf wahrscheinliche Kontamination durch behandeltes Rindfleisch in den USA bei der Disziplinarkammer (DK) erfolgreich an. Wilson darf ab dem 18. Mai 2021 wieder starten, reist zurück in die USA ins Training und brilliert dort mit angeblichem Europarekord über 100 m (9,84 Sekunden). Erst Stunden vor seinem geplanten Abflug nach Tokio setzt das CAS diesem Spiel ein Ende. Im Juni 2022 endet dann auch das ordentliche Verfahren vor der DK mit der Maximalstrafe eines vierjährigen Wettkampfverbots.
Inzwischen ist Alex Wilson 34 Jahre alt. Am Sonntag, 27. April, läuft seine Sperre ab. Es gibt genügend Beispiele von Sprintern, die in diesem Alter noch Weltklasse-Leistungen ablieferten – auch nach eigenen Dopingsperren. Plant der schnellste Mann der Schweiz also ein Comeback?
Wilson, der seine Schuld nie eingesteht und stattdessen von einer Verschwörung gegen sich spricht, will nicht auf die Bahn zurückkehren. Der Grund liegt allerdings nicht bei seiner mangelnden Fitness, sondern beim Umstand, dass der 34-Jährige wohl trotz aller Unschuldsbeteuerungen genau weiss, dass es sportrechtlich in den kommenden Tagen noch viel schlimmer kommen wird.
Seit geraumer Zeit läuft gegen Alex Wilson ein zweites Dopingverfahren. Dieses beruht zwar nicht auf einem positiven Befund und ein Fehlverhalten ist daher schwieriger nachzuweisen, trotzdem ist die Beweislage derart erdrückend, dass Swiss Sport Integrity wohl am Freitag verkünden wird, dass Wilson maximal für acht weitere Jahre gesperrt bleibt.
Inhaltlich geht es darum, dass Wilson im Jahr 2021 vom angeblichen texanischen Kinesiologen und Naturheilpraktiker Eric Lira für mehrere tausend Franken verbotene Wachstumshormone und EPO bezogen hat. Weil das Strafmass bei einem Wiederholungstäter verdoppelt werden kann, geht es nun eben um acht und nicht mehr nur um vier Jahre.
Die Faktenlage ist spätestens seit dem Geständnis von Lira vor einem Gericht in den USA und seiner rechtskräftigen Verurteilung zu drei Monaten Gefängnis und einem weiteren Jahr auf Bewährung klar. Neben Wilson beschuldigte der texanische Dopingdealer, der seine Ware in Mittel- und Südamerika bezog, eine weitere Athletin namentlich. Und die nigerianische Sprinterin Blessing Okagbare ist längst wegen organisierten Dopings und fehlender Mitwirkung bei der Aufklärung für insgesamt elf Jahre gesperrt worden.
Sie ist der Gradmesser dafür, was SSI noch diese Woche im Fall Wilson offiziell verkünden wird. Zumal auch der Basler Sprinter seiner Verhandlung unentschuldigt fernblieb und es entsprechend keine für ihn entlastenden Fakten in diesem Verfahren gibt. Den Athleten Alex Wilson wird es definitiv nie mehr geben.
Als CH Media die Verbindung zwischen Wilson und Lira vor drei Jahren bekannt machte, gab der Sprinter diese selbst freimütig zu. Allerdings betonte er damals, dass er aufgrund seiner Rückenschmerzen beim Kinesiologen in Behandlung war. Später begab sich der Schweizer an den Wohnort von Eric Lira nach El Paso in Texas, um sich angeblich mit einem Aufenthalt in einer Unterdruck-Kammer auf seine Olympiaeinsätze in Tokio vorzubereiten.
Die Gerichtsakten aus den USA sagen etwas anderes aus. Demnach lieferte Eric Lira am 14. Juni 2021 Wachstumshormone und EPO an Alex Wilson. Also zu einem Zeitpunkt, wo der Basler bereits im laufenden Dopingverfahren wegen der Trenbolon-Probe steckte und entsprechend unter besonderer Beobachtung stand. Eine besondere Abgebrühtheit oder schlicht Naivität?
Wie und seit wann Alex Wilson tatsächlich in illegalen Machenschaften involviert war, bleibt mangels eigenen Geständnisses unklar. Es gibt Aussagen von Bekannten Wilsons, er habe bereits 2019 vom Zugang zu speziellen Hilfsmitteln gesprochen. Andere Insider sagen, dass erst der Tod seines Mentors und langjährigen Trainers Lloyd Cowan im Januar 2021 wegen Corona Wilson auf die schiefe Bahn gebracht habe.
Der Schweizer zählte fortan beim Coaching auf die Dienste des Jamaikaners O'Neil Wright. Im Juni 2022 wurde die jamaikanische Dreispringerin Sabina Allen, ebenfalls Athletin bei Trainer Wright, zu vier Jahren Sperre verurteilt – offenbar auch aufgrund von Informationen aus dem Netzwerk von Eric Lira.
Im Dezember 2023 erhob die Staatsanwaltschaft von New York schliesslich Anklage gegen Wright und warf ihm und Landsmann Dewayne Barrett vor, die Dopinglieferungen an Wilson organisiert zu haben. Die beiden sind nicht geständig. In der Anklageschrift wird ein Whatsapp-Chat zwischen den Trainern und Eric Lira zitiert, in welchem es um die Lieferung von Dopingmitteln an Alex Wilson geht: «Er will von allem!», heisst es dort.
Gemäss Gerichtsakten liess sich der Schweizer diese Behandlung 4590 Dollar kosten. Nicht erst mit der neuen Verurteilung ein teurer Spass.