Rekordverdächtige 15 Monate dauerte die Warterei. Am 28. Juni 2022 erhielt der Basler Sprinter Alex Wilson das Verdikt der Disziplinarkammer des Schweizer Sports für seine positive Dopingprobe auf eine anabole Substanz. Der 33-Jährige kassierte mit der vierjährigen Sperre die Höchststrafe für ein Erstvergehen.
450 Tage später wurde Wilson und seinen Anwälten die Begründung des Entscheids zugestellt. Diese soll dem Vernehmen nach so umfangreich und detailliert sein wie kaum ein Urteil in der Geschichte der Schweizer Dopingfälle. In der ersten Wochenhälfte lief nun die Frist für einen Rekurs Wilsons beim Internationalen Sportgerichtshof (CAS) in Lausanne ab.
Alex Wilson hatte mehrmals angekündigt, das Urteil auf jeden Fall anzufechten. Er plädiert auf unschuldig, spricht von einem Sabotage-Akt. Er behauptete anfänglich, die positive Probe sei durch die Konsumation von zweimal 500 Gramm kontaminiertem Rindfleisch innerhalb weniger Stunden in einem jamaikanischen Restaurant in Las Vegas passiert.
Die Anfrage von CH Media am Freitagnachmittag in Lausanne ergab aber nun, dass «bis zum heutigen Tag kein Rekurs von Alex Wilson oder seinen Anwälten beim CAS eingegangen ist». Den Verzicht bestätigen will Wilsons Rechtsvertreter Gabriel Nigon mit Verweis auf das Anwaltsgeheimnis allerdings nicht.
Bis zur definitiven Rechtskraft des Urteils muss man so oder so noch einige wenige Tage zuwarten. Denn sowohl die Welt-Antidoping-Agentur Wada wie auch World Athletics erhalten zusätzlich zur dreiwöchigen Einsprachefrist 15 Tage Zeit, um die Fallakten zu studieren. Allerdings fechten diese Organisationen im Grunde nur aus ihrer Sicht zu milde Urteile an.
Gespannt auf das erwachsen der Rechtskraft wartet die Anklagebehörde Swiss Sport Integrity. Erst dann kann nämlich ein zweites Verfahren gegen Wilson offiziell eingeleitet werden. Untersucht wird gegen ihn seit Monaten, die Akten sind umfangreich. Der Vorwurf lautet, dass Wilson beim texanischen Naturheilpraktiker Eric Lira Abnehmer von illegalen Substanzen gewesen sei.
Alex Wilson bestätigt eine temporäre Zusammenarbeit mit Lira, verneint jedoch irgendwelche illegale Handlungen. Im Gegensatz zum positiven Anabolika-Test, wo der Athlet im Verfahren seine Unschuld beweisen muss, ist eine Überführung in diesem zweiten Fall schwieriger, weil Wilson die zur Last gelegten Vergehen nachgewiesen werden müssen. Swiss Sport Integrity spricht allerdings von einer erdrückenden Beweislast.
Zudem hat sich Eric Lira am 8. Mai vor einem Gericht in New York in mehreren Anklagepunkten gegen ihn betreffend Lieferungen von Dopingmitteln schuldig bekannt. Gegen ihn verwendet wurden ausgetauschte Textnachrichten mit Alex Wilson, in denen es um den Gebrauch von Wachstumshormonen und EPO ging. Sollte Alex Wilson auch im zweiten Prozess ohne strafmildernde Fakten verurteilt werden, droht dem Basler eine zusätzliche Sperre von acht Jahren.
Angefangen hat das Unheil für Alex Wilson mit einer positiven Dopingprobe auf Trenbolon am 15. März 2021, als er für die Geburt seines dritten Kindes aus dem Trainingslager in Las Vegas zwischenzeitlich nach Hause reiste. Die am 28. April ausgesprochene provisorische Sperre wurde zwar kurz darauf durch die DK aufgehoben, doch am 27. Juli 2021, unmittelbar vor den Olympischen Spielen in Tokio, setzte das CAS die provisorische Sperre wieder in Kraft.
Seinen letzten Wettkampf in der Schweiz bestritt Wilson im Rahmen des Meetings von Luzern am 29. Juni 2021. Am 18. Juli 2021 – zu diesem Zeitpunkt war sein Dopingvergehen noch nicht öffentlich bekannt – sorgte der Basler ein letztes Mal sportlich für Aufregung. Ein fabelhafter Schweizer Rekord von 9,84 Sekunden über 100 m an einem unbedeutenden Meeting in Atlanta erwies sich im Nachhinein wegen einer Fehlfunktion der Zeitmessung als ungültig.
Seit wann Alex Wilson mutmasslich zu unerlaubten Mitteln griff, ist nicht bekannt. Den SMS-Austausch mit Lira hatte der Dritte der EM 2018 über 200 m im Juni 2021. Bereits im April des selben Jahres sorgte ein Trainingsvideo für Konfusion, auf welchem er gemeinsam mit dem wegen Dopingvergehen lebenslang gesperrten Coach Raymond Stewart zu sehen ist. Der aus Jamaika stammende Wilson sagte damals, er habe seinen Landsmann und früheren Rekordhalter nicht gekannt .
Eine ehemalige Weggefährtin von Wilson sagte, dieser habe bereits im Jahr 2019 von Mitteln gesprochen, die helfen würden, schneller zu sprinten. Die ganze Wahrheit kennt nur eine Person: Alex Wilson. Nur deckt sich dessen Realität nicht mit der Ansicht der Richter.