Am Ende eines Dopingverfahrens wird es stets ein wenig kompliziert. Definitiv für vier Jahre gesperrt wurde der Schweizer Rekordhalter über 100 m von der Disziplinarkammer des Schweizer Sports nämlich bereits am 28. Juni 2022. Rekurs beim Sport-Schiedsgericht CAS in Lausanne einlegen kann der verurteilte Sportler aber erst, wenn er die Urteilsbegründung erhalten hat.
Dies geschah bei Alex Wilson erst Mitte September 2023. Doch die lange Dauer für die Ausformulierung, wieso genau Wilson für seine positive Dopingprobe vom 15. März 2021 auf die anabole Substanz Trenbolon die maximale Strafe erhielt, hat sich aus Sicht des Gerichts gelohnt. Offensichtlich war die sehr ausführliche Begründung des Urteils derart hieb- und stichfest, dass sie keinen Ansatz für einen Rekurs offen liess.
Zumindest ging beim CAS von Wilsons Anwälten definitiv kein Einspruch ein. Der Athlet selbst hatte einen solchen mehrmals angekündigt und bezeichnete sich stets als unschuldig. «Es ist mir persönlich – und für alle, die mich auf meinem bisherigen Weg unterstützt haben – ein grosses Anliegen, meine Unschuld zu beweisen», erklärte Wilson anlässlich der verhängten Sperre.
Doch die 21-tägige Frist zum Rekurs liess er nun ungenutzt verstreichen. Ob aufgrund der Aussichtslosigkeit oder aus Geldmangel, bleibt offen. Wilsons Rechtsvertreter Gabriel Nigon will mit Verweis auf das Anwaltsgeheimnis nichts sagen. Wilsons selbst ist nicht erreichbar, die zwei Handynummern des Athleten sind inzwischen ausser Betrieb und der genaue Aufenthaltsort nicht bekannt.
Neben dem Athleten selbst kann auch die Welt-Antidoping-Agentur (WADA) oder die Antidoping-Abteilung des internationalen Leichtathletik-Verbandes (Athletics Integrity Unit, kurz AIU) ein Urteil anfechten. Grundsätzlich passiert dies, wenn diese zwei Organisationen einen Entscheid als zu milde halten oder wenn sie die Begründung für die spätere Rechtssprechung für problematisch erachten.
Die Rekursfrist dieser zwei Parteien dauert länger. Sie haben zuerst 15 Tage Zeit, um die Fallakten in englischer Sprache einzufordern. Erst, wenn sie diese erhalten haben, beginnt die 21-tägige Frist für WADA und AIU. Doch bei Wilson hat – im Gegensatz zu vielen anderen Dopingurteilen – niemand Akteneinsicht verlangt. Der Entscheid der Disziplinarkammer ist also rechtskräftig.
Dieser Meilenstein löst im Fall von Alex Wilson nicht nur ein zweites Verfahren wegen des möglichen Erwerbs von Anabolika, EPO und Wachstumshormonen aus, sondern hilft der anklagenden Behörde auch argumentativ. Schliesslich richten sich die Anschuldigungen ab sofort gegen einen verurteilten Dopingtäter.
Wie schnell es bei einem zweiten Verfahren gehen kann, zeigt das Beispiel der nigerianischen Sprinterin Blessing Okagbare. Sie wurde während den Olympischen Spielen von Tokio wegen einer positiven Trainingskontrolle am 19. Juli 2021 auf ein Wachstumshormon suspendiert. Weil sie – wie mutmasslich auch Alex Wilson – vom US-Naturheilpraktiker Eric Lira mit unerlaubten Substanzen beliefert worden ist, wurde sie im Juli 2022 zu einer Sperre von insgesamt elf Jahren verurteilt.
Die Machenschaften des Texaners Eric Lira wurden vom FBI aufgedeckt. Seit einer Gesetzesänderung vor zwei Jahren kann in den USA auch die staatliche Strafverfolgung gegen Dopingvergehen aktiv werden. Das Beispiel von Lira, der geständig ist, zeigt, dass die US-Behörden primär Interesse an den Hintermännern haben. Auch der Schweizer Leichtathlet taucht in den Ermittlungen des FBI prominent auf.
Wenn die Beweise gegen Alex Wilson, welche die Ankläger als umfassend bezeichnen, die Disziplinarkammer überzeugen, droht dem Schweizer Sprinter jamaikanischen Ursprungs eine Höchststrafe von insgesamt zwölf Jahren. Ein zweites Dopingvergehen kann mit einer doppelt so langen Sperre wie das Erstvergehen sanktioniert werden.
Strafmildernd könnte ein umfassendes Geständnis und eine Kooperation von Wilson mit den Behörden sein. Diese hat bisher nicht stattgefunden. Noch gibt es keine Anzeichen, dass sich das jetzt ändert. Umgekehrt hat der gefallene Leichtathletik-Star jetzt nichts mehr zu verlieren, höchstens etwas zu gewinnen.
Er ist 33 jährig!
Diese Karriere ist so oder so zu ende.
Schade!