Es ist eine zweifelhafte Ehre, wenn ein Schweizer Sportler in einem offiziellen Communique eines US-Bundesgerichts erwähnt wird. In diesem Fall handelt es sich zugleich um ein schwerwiegendes Indiz dafür, dass dem wegen einer positiven Dopingprobe für vier Jahre aus dem Verkehr gezogenen Schweizer Leichtathlet Alex Wilson in Kürze eine weitere langjährige Sperre bevorsteht.
Das zweite Verfahren gegen Wilson wird seit längerer Zeit vorbereitet. Gestern Montag erhielten die Ankläger gegen den Schweizer Rekordhalter über 100 m und 200 m eine entscheidende Schützenhilfe. Eric Lira, ein 43-jähriger texanischer Naturheilpraktiker, bekannte sich vor einem Bundesgericht in Manhattan schuldig, mehrere Athletinnen und Athleten mit verbotenen Wachstumshormonen und EPO beliefert zu haben.
Liras prominenteste Kundin war die nigerianische Weltklasse-Sprinterin Blessing Okagbare, die inzwischen für elf Jahre gesperrt wurde.
In der Eric Liras Schuldeingeständnis zugrunde liegender Anklageschrift ist explizit auch ein «über verschlüsselte elektronische Kommunikation» erfolgter Austausch mit einem Schweizer Leichtathleten – unzweifelhaft Alex Wilson – aufgeführt.
Darin besprachen Lira und Wilson die Anwendung von EPO und Wachstumshormonen. Zudem riet der Texaner aus El Paso dem Schweizer Sprinter im Juni 2021, dessen positive Dopingprobe vom 15. März 2021 auf das anabole Steroid Trenbolon mit dem Verzehr von kontaminiertem Fleisch zu erklären, was Alex Wilson vor der Schweizer Disziplinarkammer dann auch tat.
Lira entgeht mit seinem Geständnis einem öffentlichen Prozess, welcher am 5. Juni 2023 hätte beginnen sollen. Ihm droht als erstem Angeklagten des neuen staatlichen US-Antidopinggesetzes «Rodchenkov Act» eine Gefängnisstrafe von maximal 10 Jahren. Falls der Texaner nun mit der Staatsanwaltschaft kooperiert, kann er damit das Strafmass massiv reduzieren. Lira bezog die Dopingmittel von Quellen aus Mittel- und Südamerika.
Bei Alex Wilson seinerseits wird Swiss Sport Integrity neben der bereits ausgesprochenen Sperre von 4 Jahren wegen der Einnahme von Anabolika wohl bald eine weitere Strafe von maximal 8 Jahren beantragen. Der Basler mit Wurzeln in Jamaika hat bei der Einvernahme zwar zugegeben, mit Eric Lira in Kontakt gestanden zu sein.
Er führte allerdings aus, dabei habe es sich um eine legale Behandlung seines lädierten Rückens sowie eine Sauerstoff-Anreicherung seines Blutes in einer Unterdruck-Kammer im Vorfeld der Olympischen Spiele 2021 in Tokio gehandelt.
Besonders dreist erscheint das Vorgehen von Wilson, da der Kontakt mit Lira im Juni 2021 zu einem Zeitpunkt stattfand, als er selbst bereits über die positive Anabolika-Probe informiert war, die provisorische Sperre von der Disziplinarkammer des Schweizer Sports jedoch vorübergehend - und nachträglich betrachtet zu Unrecht - aufgehoben war.
Bis zu einer weiteren Verurteilung Wilsons in einem zweiten Verfahren kann es noch mehrere Monate dauern. Denn aktuell ist selbst die 4-Jahres-Sperre gegen den 32-Jährigen von Ende Juni 2022 noch nicht rechtskräftig. Denn bis heute hat Wilson keine Urteilsbegründung erhalten. Und erst mit der Rechtskraft kann Swiss Sport Integrity das zweite Verfahren überhaupt erst bei der DK beantragen.
Und erst mit der Urteilsbegründung kann Alex Wilson den Entscheid der DK theoretisch vor dem Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne anfechten. Diesen Schritt hat er unmittelbar nach der Urteilsverkündung zwar angekündigt. Ob es angesichts der neusten Entwicklung tatsächlich dazu kommen wird, ist zumindest fraglich. (aargauerzeitung.ch)