Vor exakt einem Jahr erhielt Antidoping Schweiz die Mitteilung, Sprinter Alex Wilson habe eine Urinprobe mit Spuren des anabolen Steroids Trenbolon abgeliefert. Einer der spektakulärsten Dopingfälle der Schweizer Sportgeschichte nahm seinen Anfang.
Es folgte ein dreimonatiges Hin und Her mit provisorischer Sperre durch die Antidoping-Behörde, Aufhebung durch die Disziplinarkammer von Swiss Olympic und Wiedereinsetzung durch den Internationalen Sportgerichtshof CAS unmittelbar vor Olympia in Tokio.
Im Sommer ging der Fall zur Bearbeitung und zum Aussprechen eines definitiven Urteils an die Disziplinarkammer. Normalerweise sind Dopingfälle nach neun Monaten abgeschlossen. Nicht aber der Fall Wilson. Dieser bringt die Möglichkeiten der nebenberuflichen Justiz im Schweizer Sport mit seiner Komplexität an ihre Grenzen.
Denn Wilson sagt, er sei unschuldig, argumentiert mit kontaminiertem Fleisch und untermauert seine These mit der Analyse einer Haarprobe. Wie aber ist der aktuelle Stand des Verfahrens? Betretenes Schweigen. «Kein Kommentar, laufendes Verfahren!» heisst es bei Antidoping Schweiz, inzwischen unter dem Namen Swiss Sport Integrity unterwegs. Die gleiche Antwort bei der DK.
«Kein Kommentar» auch bei Alex Wilsons Juristen – mit Verweis auf das Anwaltsgeheimnis. Und der Athlet selber? Reagiert nicht auf wiederholte Kontaktanfragen.
Wo keine Fakten erhältlich sind, muss man mit Gerüchten vorlieb nehmen. Gerüchte, für die es durchaus Indizien gibt. Man muss davon ausgehen, dass es bis zum Richterspruch noch eine Weile dauern wird. Eben erst wurde der äusserst umfangreiche Schriftwechsel mit den Stellungnahmen nach mehreren Fristerstreckungen abgeschlossen. Nun folgt die Verhandlung. Theoretisch kann die Disziplinarkammer eine Entscheidung auch ohne Ortstermin fällen.
Aus dem Umfeld von Wilson ist zu erfahren, dass der Rekordhalter über 100 m und 200 m seine Erklärung für die positive Probe mit dem zweimaligen Fleischverzehr in grossen Mengen in einem jamaikanischen Restaurant in Las Vegas, wo er im Frühjahr 2021 während mehrerer Wochen im Trainingslager war, angepasst hat. Offenbar nicht ganz freiwillig, sondern weil die Gegenseite die Verunreinigungs-Theorie wissenschaftlich entkräften konnte.
Eine zweite Spekulation besagt, dass Wilsons Fall mit jenem der nigerianischen Starsprinterin Blessing Okagbare zusammenhängt. Diese wurde während der Spiele in Tokio aus dem Verkehr gezogen. Erstmals ermittelte in den USA das FBI – autorisiert durch den Rodchenkov Act, ein an den berühmten russischen Whistleblower angelehntes Gesetz.
Die Spur führte zum texanischen Naturheilpraktiker Eric Lira, der mehrere namentlich noch nicht bekannte Kunden aus der Leichtathletik belieferte. Ende März tauchte in Leichtathletik-Foren ein Video auf, das Wilson in Verbindung mit dem Texaner bringt. Nach wenigen Tagen verschwand das Bildmaterial, das angebliche Beweise zeigen soll, wieder aus den sozialen Kanälen.
Es ist nicht das erste Video, das Wilson in die Bredouille bringt. Bereits kurz vor Bekanntwerden seiner Dopingsperre tauchte im Juli 2021 auf Instagram ein Video auf, das ihn im April in Las Vegas angeblich beim Training mit dem wegen Dopings lebenslang gesperrten jamaikanischen Trainer Raymond Stewart zeigt. Wilson erklärte damals, er habe Stewart nicht gekannt und ihn nur ein einziges Mal für wenige Minuten getroffen.
Zurück zur FBI-Untersuchung, die von der Leichtathletik-Dopingbehörde des Weltverbands sowie von Antidoping USA mit Argusaugen begleitet wird. Der texanische Doping-Dealer Eric Lira selbst reagiert nicht auf eine Kontaktaufnahme via soziale Medien zum Thema Alex Wilson. Nur Stunden danach besuchen jedoch US-Ermittler das Profil des anfragenden Journalisten.
Zufall? Oder nur passend zur Aussage eines Insiders, der sagt: «Der Fall Wilson wird noch für ganz dicke Schlagzeilen sorgen.» Dem 31-jährigen Basler Sprinter mit jamaikanischen Wurzeln soll es dem Vernehmen nach mental und finanziell ziemlich schlecht gehen.
naja, das sehe ich etwas anders. man könnte auch warten bis der sachverhalt aufgeklärt ist und dann einen bericht verfassen