Vor dem Schicksalsspiel gegen Nigeria kämpft Argentinien gegen Unruhe an allen Fronten an. Die Mannschaft funktioniert nicht, der Trainer ist der Sündenbock. Verbandsboss Claudio Tapia bemühte sich um Normalität: «Das meiste, was geschrieben wird, ist gelogen.»
Man weiss gerade nicht mehr, was Sache ist und was überzeichnet oder vielleicht gar nicht wahr ist. Die Medien berichten von gröberen Unstimmigkeiten im Team. Doch ob Trainer Jorge Sampaoli tatsächlich kurz vor seiner Entmachtung noch während der Gruppenphase der WM stand oder ob die Spieler längst nicht mehr nach der Pfeife des Trainers tanzen und dessen Absetzung einforderten, weiss man nicht. Fest steht: Um das argentinische Nationalteam steht es nach einem enttäuschenden 1:1 gegen Island und einem peinlichen 0:3 gegen Kroatien nicht gut.
Kaum etwas spricht noch für die Albiceleste. Der Druck ist maximal, die Leistung bisher minimal. Die Mannschaft ist auf dem Platz augenscheinlich keine Einheit und angeblich auch nicht neben dem Platz. Messis Körpersprache ist miserabel. Er, der die schon länger schwächelnden Argentinier mit einem Hattrick im entscheidenden Spiel der Qualifikation gegen Ecuador fast im Alleingang an die WM geschossen hat, scheint die Lust an der Nationalmannschaft gerade wieder einmal verloren zu haben.
In Russland ist er bisher ein Schatten seiner selbst, trotz den meisten Abschlüssen (12) aller WM-Spieler noch ohne Torerfolg. Bei Willy Caballero traten die schlimmen Befürchtungen ein. Der 36-jährige Ersatzgoalie von Chelsea patzte gegen Kroatien schwer, so schwer, dass gegen Nigeria voraussichtlich nicht mehr er das Tor hüten wird, sondern der Debütant Franco Armani.
Kritik prasselte auf viele ein, auch auf Messi. Das Chaos aber, so der Tenor in der Heimat, hat hauptsächlich Jorge Sampaoli zu verantworten. Dem 58-Jährigen, der Chile 2015 zum Gewinn der Copa America führte, werden fragwürdige Personalentscheide vorgehalten, etwa die Ernennung von Caballero zur Nummer 1, die Nicht-Berücksichtigung grosser Namen wie Gonzalo Higuain oder Paolo Dybala in seinen bisherigen Stammformationen oder die exzessive Rotation in seinen bisherigen 13 Spielen als Nationalcoach Argentiniens.
Im Zuge des Horrorstarts in die WM scheint Sampaoli die Kontrolle über das Team gänzlich verloren zu haben. Mit Messi soll er sich zerstritten haben – oder er macht sich ein Spiel aus den Vorwürfen, das zu diesem Zeitpunkt völlig deplatziert wäre. Jedenfalls antwortete Sampaoli auf die Frage nach dem Zwist mit Messi: «Ich habe ihm meine Hand gereicht. Ich habe ihm bei Whatsapp eine Nachricht geschickt und ihm gesagt, dass er auf mich zählen kann. Er hat es gelesen und nicht geantwortet.»
Die Gerüchte über seine Entmachtung, die Verbandschef Claudio Tapia ins Reich der Lügen verwies, kommentierte er so: «Ich bin in meinen Kompetenzen nicht beschnitten, ausser dass Messi die Aufstellung macht und Mascherano die Anweisungen gibt.»
Es liest wie der Galgenhumor eines Mannes, der sich mit seinem Schicksal abgefunden hat. Oder sind die Berichte über die atmosphärischen Störungen doch nur erfunden? Verband und Spieler versuchten die Wogen zu glätten. Tapia erklärte: «Das meiste, was geschrieben wird, ist gelogen.» Und Javier Mascherano sagte: «Es gibt viele Mythen, die hier erzeugt werden, die wir nicht erklären können. Die Beziehung zum Trainer ist völlig normal.» Normal genug, um am Dienstag noch die Kurve zu kriegen? Die Hoffnung stirbt zuletzt. (sda/qae)
Herumschlurfender Spaziergänger.