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WM-Final 2006: Zinédine Zidanes Kopfstoss gegen Marco Materazzi

Berlin, GERMANY: A photo taken 09 July 2006 shows French midfielder Zinedine Zidane (L) gesturing after head-butting Italian defender Marco Materazzi during the World Cup 2006 final football match bet ...
Eine der berühmtesten Szenen der Fussballgeschichte: Zidane fällt Materazzi.Bild: AFP
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«Oh Zinédine, pas ça!» Zidanes Kopfstoss im WM-Final gegen Materazzi erschüttert die Welt

9. Juli 2006: Der WM-Final gegen Italien ist Zinédine Zidanes letzter grosser Auftritt. Dem Franzosen winkt der dritte grosse Titel. Doch nach einer Provokation von Marco Materazzi brennen bei «Zizou» sämtliche Sicherungen durch. Es kommt zum berühmtesten Kopfstoss der Geschichte.
09.07.2023, 00:0506.07.2023, 16:52
Philipp Reich
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Die Fussball-Welt ist geschockt. Was ist bloss in Zinédine Zidane gefahren, dass er so ausrastet? Zu diesem Zeitpunkt. Beim Stand von 1:1, in der 110. Minute des WM-Finals. In seinem allerletzten Spiel! Unverständnis allenthalben. Doch die Wiederholung lügt nicht. Er hat es tatsächlich getan.

Die Szene wirkt harmlos. Nach einem Freistoss in den Strafraum der Italiener hält Marco Materazzi Zidane leicht am Trikot fest. Es kommt zu einem Wortgefecht, von dem Frankreichs Nummer 10 bald einmal genug hat. Er trabt in Richtung Mittellinie. Doch plötzlich macht «Zizou» kehrt und streckt Materazzi abseits des Spielgeschehens mit einem Kopfstoss gegen die Brust nieder.

Der Kopfstoss, der die Welt empörte.Video: YouTube/hitman2440

Erste Anwendung des Videobeweises?

Auf dem Platz brechen sofort Diskussionen aus, nur wenige haben die Tätlichkeit gesehen. Einer davon ist Italiens Torhüter Gianluigi Buffon. Er sprintet zu Schiedsrichter Horacio Elizondo und fordert einen Platzverweis. Doch der Argentinier zögert, er hat die Szene offenbar nicht gesehen. Erst nach einigen Minuten und nach Rücksprache mit dem vierten Offiziellen zeigt er Zidane die Rote Karte. Es ist bereits die 15. seiner Karriere.

In Frankreich ist man noch heute der Ansicht, dass erst die Videobetrachtung durch den vierten Referee dazu geführt habe, dass Zidane überführt wurde. Sein Kopfstoss gilt deshalb inoffiziell als erste Anwendung des Videobeweises. Die FIFA bestreitet diese Theorie jedoch und gibt an, der vierte Offizielle habe die Szene mit eigenen Augen gesehen.

Ob mit oder ohne Videobeweis: Zidane muss unter die Dusche und so endet seine grosse Karriere unrühmlich. Statt den WM-Pokal ein zweites Mal in die Höhe zu stemmen, läuft er mit gesenktem Kopf daran vorbei. Dabei hat doch alles so gut angefangen.

Ein ikonisches Foto: Zidane läuft am Pokal vorbei in die Katakomben.
Ein ikonisches Foto: Zidane läuft am Pokal vorbei in die Katakomben.imago/Pressefoto

Schon vor dem Final zum MVP gewählt

Im Spätherbst seiner Karriere blüht der 1,85 Meter grosse Mittelfeldspieler noch einmal auf. 34-jährig ist der Sohn algerischer Einwanderer mittlerweile und am Ball noch immer ein Genie. Er verkündet bereits im Vorfeld, dass er nach der WM zurücktreten werde. In der Vorrunde bleibt «Zizou» allerdings blass und Frankreich qualifiziert sich nach dem 0:0 gegen die Schweiz nur als Gruppenzweiter für die K.o.-Runde.

Dort zeigt Zidane aber sein wahres Gesicht. Im Achtelfinal erzielt er den letzten Treffer beim 3:1 gegen Spanien, im Viertelfinal gegen Brasilien bereitet er den 1:0-Siegtreffer magistral vor und im Halbfinal gegen Portugal trifft er selbst zum siegbringenden 1:0. Schon vor dem Final wird Zidane zum MVP, dem wertvollsten Spieler des Turniers, gewählt.

A picture combo of TV grabs shows the foul Zinedine Zidane of France to Italy's Marco Materazzi and the red card shown to Zidane by referee Horacio Elizondo of Argentina during the final of the 2 ...
Der Kopfstoss und seine Folgen.Bild: EPA

Frankreich hat den zweiten WM-Finaleinzug nach 1998 dem unglaublichen «Zizou» zu verdanken. Und wie damals, als es bei der Heim-WM zum ersten Weltmeistertitel reicht, eröffnet die Nummer 10 das Skore. Nach sieben Minuten trifft Zidane mittels Panenka-Penalty via Lattenunterkante, doch Materazzi gelingt zwölf Minuten später der Ausgleich.

Materazzis Schrein bei sich zu Hause

Es sollen die einzigen Tore aus dem Spiel bleiben. Zehn Minuten nach der für Zidane fatalen 110. Minute kommt es zum Elfmeterschiessen. Frankreich verliert 3:5, weil Trezeguet nur die Torumrandung trifft. Der Schuldige ist jedoch ein anderer. «Der Platzverweis für Zidane hat das Spiel gedreht. Es war eine total sinnlose Aktion, es war der Schlüsselmoment des Spiels», ärgert sich der Trainer der «Bleus», Raymond Domenech, nach der Partie.

Provokation mit der Mutter? Nein, es war die Schwester

Zidane schweigt. Und so bleibt auch das Rätsel, was Materazzi zum Franzosen gesagt hat, vorerst ungelöst. Einer Lippenleserin zufolge soll er Zidane als «Sohn einer Terroristen-Hure» beschimpft haben. Materazzi dementiert. «Ich bin ein Ignorant, ich weiss nicht Mal, was ein islamischer Terrorist ist» und «Für mich ist die Mutter heilig». Die Mama des damaligen Inter-Spielers starb, als der kleine Marco 14 Jahre alt war.

Die ganze Szenerie mit dem französischem Originalkommentar.Video: YouTube/Patanok

Erst zweieinhalb Wochen nach dem Vorfall wird das Geheimnis gelüftet. Die französische Illustrierte «Paris Match» beauftragt Mariella Balsamo, Dozentin am Nationalen Institut für Gehörlose in Messina (Sizilien), das Gespräch zu rekonstruieren.

Der 11-sekündige Dialog im Wortlaut
Materazzi zerrt Zidane im Strafraum am Trikot.
Zidane: «Wenn du es haben willst, schenke ich's dir nachher.»
Materazzi: «Lass mich, du Schwuchtel. Du, mit deiner Nutten-Schwester. Scheisse.»
Zidane dreht sich um.
Materazzi: «Deine Schwester, diese Nutte.»
Zidane geht auf Materazzi zu.
Materazzi: «Ich spalte dir den Arsch.»
Zwei Sekunden später rammt Zidane seinen Kopf gegen Materazzis Brust.

Zidane: Lieber sterben, als Materazzi verzeihen

Ein Jahr später bestätigt Materazzi in einem Interview mit der «Gazzetta dello Sport» den Ablauf des Dialogs. «Ich habe an seinem Trikot gezogen. Da hat er gesagt, wenn ich sein Trikot unbedingt haben wolle, könne ich es ja nach dem Abpfiff haben. Ich habe darauf geantwortet, dass mir seine Schwester lieber wäre.»

Zu einer öffentlichen Aussöhnung zwischen Zidane und Materazzi kommt es übrigens nie. «Ich bitte den Fussball, seine Fans und die Mannschaft um Verzeihung, aber niemals Materazzi. Das würde mich entehren. Lieber würde ich sterben», sagt «Zizou» im März 2010 der spanischen Zeitung «El Pais».

Ein Grosser verlässt die Weltbühne.
Ein Grosser verlässt die Weltbühne.bild: keystone

Kopfstoss wird Pop-Kultur

Zidanes Kopfstoss wird nach der WM auf mannigfaltigste Weise, vor allem aber humoristisch verarbeitet: Der Song «Coup de Boule» erreicht in den französischen und belgischen Charts die Spitze, in der Schweiz immerhin Platz 2.

«Zizou» wird ausserdem zur Spielfigur von Flash-Games mit dem Ziel, möglichst viele Gegner per Kopfstoss niederzustrecken. Keine Verulkung, die durch Video-Editing und Photoshop nicht realisiert wird.

Der Zidane-Song «Coup de boule» stürmt die Hitparaden.Video: YouTube/nikwakwa

Statue zweimal weggeräumt

Im September 2012 wird in Paris auf dem Platz vor dem Museum Centre Pompidou eine fünf Meter hohe Statue des berühmtesten Kopfstosses der Sport-Geschichte aufgestellt. Nur wenige Wochen nach der Enthüllung wird sie aber schon wieder entfernt. Sie sei «wider die Sportethik», so die Begründung.

Auch in Doha steht das Denkmal nicht lange. Die Beseitigung der Skulptur erfolgt im Herbst 2013 aufgrund der islamischen Rechtsprechung, nach der «Heldenkult» durch öffentliche Darstellungen verhindert werden soll.

epa03412192 Visitors take pictures of a sculpture entitled 'coup de tete' (headbutt) by French artist Adel Abdessemed that represents former French soccer player Zinedine Zidane headbutting  ...
Bild: EPA
epa03895867 Workers install a five-meter-tall bronze statue of former French soccer international Zinedine Zidane's famous head-butt at the corniche of Doha, Qatar, 04 October 2013. The sculpture ...
Bild: EPA

Trotz seines Kopfstosses – Zidanes nationale und internationale Beliebtheit erleidet keinen bleibenden Schaden. Der 108-fache französische Nationalspieler wurde Trainer bei Real Madrid und hat mit den Königlichen von 2016 bis 2018 drei Mal in Folge die Champions League gewonnen.

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