«Mein ganzes Leben wird auf zehn Sekunden reduziert.» David Ginola hadert noch heute mit einer einzigen Szene seiner langen Karriere. Am 17. November 1993, einem kühlen Mittwochabend, steht Frankreich unmittelbar vor der Qualifikation für die WM 1994 in den USA.
Nur noch Sekunden sind gegen Bulgarien zu spielen. Es steht 1:1 und dieser eine Punkt würde den Franzosen reichen.
Was dann geschieht, verfolgt Ginola, die ganze Mannschaft, Trainer Gérard Houiller, die 48'402 Zuschauer im Parc des Princes und Millionen vor dem TV-Gerät noch Jahre später. Frankreich kann beim rechten Cornerfähnli einen Freistoss treten. Vincent Guérin schiebt den Ball zu David Ginola. Man ahnt, was kommen wird: Die beiden Franzosen werden sich nun den Ball zuschieben, um wertvolle Zeit verstreichen zu lassen. Weit gefehlt!
«Der Schiedsrichter hatte den Abpfiff faktisch schon auf den Lippen», schimpft Houiller. «Doch statt den Ball zu halten, schlägt Ginola eine sinnlose Flanke … Damit hat er den alles entscheidenden Konter der Bulgaren erst ermöglicht.»
Tatsächlich entscheidet sich der PSG-Flügel Ginola fatalerweise, in den Sechzehner zu flanken, anstatt den Ball zurück zu Guérin zu passen. Dort ist kein Teamkollege, dort sind nur Bulgaren. Und die wittern ihre letzte Chance. Ein Tor – und statt den Franzosen fliegen sie in die USA.
Dass es so weit kommt, daran sind die Franzosen selber schuld. Zwei Runden vor Schluss sind sie Leader. Aus den Heimspielen gegen Israel und Bulgarien benötigen sie zur WM-Teilnahme noch einen einzigen Punkt. Eine Formsache, scheint es. Gegen Israel führen die Franzosen lange Zeit mit 2:1 und verlieren trotzdem noch: Eyal Berkovic (83.) und Reuven Atar (93.) spucken ihnen in die Suppe, Israel siegt mit 3:2.
Nun also noch eine letzte Chance für die Bulgaren. Blitzschnell kontern sie, schon taucht Emil Kostadinow im französischen Strafraum auf, und mit einem Kunstschuss hämmert er den Ball an Goalie Bernard Lama vorbei ins Tor. Mon dieu!
Bulgarien siegt, Bulgarien jubelt, den Franzosen bleibt nur der Frust. «Wir sind richtige Esel», schüttelt Mittelfeldstratege Didier Deschamps den Kopf. Dabei hätte Kostadinow gar nicht in Frankreich sein dürfen: Sein Visum war ungültig. In einem Auto sei er aus Deutschland über die grüne Grenze geschmuggelt worden, verrät Mitspieler Zlatko Yankov viele Jahre später.
Gérard Houiller verliert seinen Job – und glaubt, den Schuldigen dafür gefunden zu haben. David Ginola hat in den Augen des Trainers «ein Verbrechen gegen die Mannschaft begangen.» Noch zwanzig Jahre später tritt Houiller in seiner Biographie nach. Er nennt Ginola dort einen Drecksack und schreibt: «Mein Anteil an diesem Scheitern war, dass ich Ginola eingewechselt habe.»
Weil er sich öffentlich beleidigt fühlt, verklagt Ginola seinen ehemaligen Nationaltrainer auf 5000 Euro Schadenersatz. «Ich bereue höchstens eine Sache», reagiert Houiller darauf cool, «dass ich ihm ein Verbrechen und nicht ein schwerwiegendes Verbrechen vorgeworfen habe.» Am 4. April 2012 weist ein Gericht in Toulon Ginolas Klage ab.
Nach dem Scheitern in der WM-Qualifikation flüchtet Ginola auf die Insel. Bei Newcastle und Tottenham begeistert er die Fans, die Krönung ist die Auszeichnung zu Englands Fussballer des Jahres 1999.
Im eigenen Land gilt der Prophet dagegen nicht mehr viel. «Wie damals Ginola …», hört man die Fans in französischen Stadien noch heute ab und zu jammern, wenn einem Spieler eine Flanke misslungen ist.
Wie bei Tsubasa😂.
Sieht so aus, als ob auch sonst noch ein Gegenangriff hätte stattfinden können.
Hätten sie den Ball beim Zeitspiel an der Eckfahne dumm verloren, wäre die Häme vermutlich noch viel grösser.