Man hätte es ahnen müssen. An einem Tag, an dem der Fleisch gewordene Chancentod Demba Touré zwei Tore erzielt, da kann alles passieren. Alles.
Tatsächlich reiben sich die 13'000 Zuschauer auf der ausverkauften Luzerner Allmend verwundert – und die meisten enttäuscht – die Augen. 3:0 steht es nach gut einer Stunde, 3:0 für GC. Raul Bobadilla hatte schon in der 7. Minute getroffen und dann eben Touré zweimal (29. und 62.).
Doch Luzern kämpft sich zurück. Mauro Lustrinelli erzielt in der 68. Minute das 1:3, Mario Cantaluppi profitiert in der 88. Minute von einem stümperhaft verursachten Elfmeter und trifft zum 2:3.
Wird GC tatsächlich auch einen 3:0-Vorsprung verspielen? In der Woche zuvor gaben die Hoppers ein 2:0 gegen Aarau in den Schlusssekunden aus der Hand. Goalie Fabio Coltorti faustete dabei in der Nachspielzeit ins Leere und liess so das 2:2 zu.
Der Nati-Goalie steht auch dieses Mal wieder im Mittelpunkt, als die letzten Sekunden anbrechen. Cantaluppi bringt den Ball noch einmal aus dem Mittelfeld in Richtung Gehäuse. Er wird danach seine Verzweiflung so ausdrücken: «Ich wollte einfach noch einmal den Ball in den Strafraum spielen, vielleicht für ein Durcheinander sorgen.»
Chaos richtet er mit seiner Verzweiflungstat aber nicht an. Denn Coltorti stürmt aus dem Kasten, um den Ball beim Elfmeterpunkt unbedrängt aus der Luft zu pflücken. Doch der Goalie springt nicht ab, er lässt den Ball über sich ins Tor fliegen. 3:3! Niemand kann glauben, was passiert ist. GC-Trainer Hanspeter Latour sagt erst: «Er ist gestolpert.» Doch gestolpert ist sein Schützling nicht. Torschütze Cantaluppi schildert: «… und plötzlich sehe ich, wie Coltorti am Ball vorbeiläuft und dieser zum 3:3 ins Netz rollt.»
Für Aufklärung sorgt der Unglücksrabe selbst – mit einer legendären Aussage: «Es war ein weiter Ball, der eigentlich für mich bestimmt war. Beim Absprung ging mir die Energie weg. Deshalb knickte ich ein, statt aufzuspringen.» GC liegt nach dem Patzer nur auf Rang 8 in der Tabelle. Dabei «würde man in die Spitzengruppe gehören», ereifert sich die lokale Presse.
Der «Blick» dagegen freut sich über das Malheur und titelt in gewohnt grossen Lettern und mit dem Wortspiel: «Festhütte dank ‹Floptorti›».
Schadenfreude kennt man auch bei TeleZüri. Oder vielleicht ist es ja wirklich nur eine gut gemeinte Aktion, als der VJ wenige Tage danach dem Keeper einen Isostar-Energieriegel schenkt. Coltorti nimmt's gelassen und bedankt sich artig.
Ob die Bilder des Flops bis an die spanische Nordküste gekommen sind, ist offen – aber unwahrscheinlich. Denn keine drei Wochen nach dem Fehlgriff zahlt Racing Santander 1,5 Millionen Franken, um den Schweizer Goalie zu verpflichten.
Coltorti hofft auf die Nummer 1, wird aber in seiner ersten Saison nur zu sieben Einsätzen kommen. Bis zum Liga-Debüt vergehen fast vier Monate. Dann darf er zwei Tage vor Weihnachten gegen Sevilla in den Kasten. 15 Gegentore kassierte Santander bis dahin in 16 Partien – mit Fabio Coltorti geht man 1:4 unter. Beim wegweisenden 1:2 lässt er einen harmlosen Freistoss aus 20 Metern passieren.
Vier Jahre lang bleibt Coltorti in Spanien. Dann kommt er für eine Saison zurück in die Schweiz zu Lausanne und führt ab 2012 RB Leipzig als Stammkeeper in die Bundesliga. In der höchsten Liga spielt er in der Debütsaison allerdings nur einmal beim 4:0 gegen Darmstadt im April 2017.
In der Nati kam der Krienser zu acht Einsätzen, an der WM 2006 war er als dritter Keeper mit dabei. Für die EM 2008 war er als Nummer 2 vorgesehen, er musste aber absagen. Nicht weil ihn die Energie verliess, sondern weil er verletzt war.