Als 200-m-Sieger Tommie Smith (USA), Landsmann John Carlos (Bronze) und der Australier Peter Norman (Silber) zur Siegerehrung das Olympiastadion von Mexiko City betreten ist allen klar: Das wird keine gewöhnliche Siegerehrung.
Smith und Carlos tragen je einen schwarzen Handschuh und laufen mit den Schuhen in der Hand ein. Smith trägt einen schwarzen Schal, Carlos lässt die Jacke weit offen, was ein herber Verstoss gegen die olympischen Regeln ist. Und alle drei – auch der weisse Norman – haben einen Anstecker des «Olympischen Projekts für Menschenrechte» (OPHR) an der Brust.
Nachdem die Medaillen verteilt wurden und als die Nationalhymne läuft, senken Smith und Carlos ihren Kopf. Sie strecken den Arm mit dem Handschuh, die Hand zur Faust geballt, zum «Black Power»-Gruss in die Luft.
Smith bezeichnet seine Aktion später in seiner Autobiographie als «stille Geste», allerdings auch als «Aktion für die Menschenrechte». Er und Carlos wollten auf die Ungerechtigkeit in den USA aufmerksam machen: «Wenn ich siege, bin ich Amerikaner, kein schwarzer Amerikaner. Aber wenn ich etwas Schlechtes mache, sagen sie, ich sei ein ‹Neger›. Wir sind schwarz und wir sind stolz darauf. Das schwarze Amerika versteht, was wir heute gemacht haben.»
Dass sie ohne Schuhe einliefen, sollte ihre Armut in der Kindheit symbolisieren, die schwarzen Socken, Handschuhe und Smiths Schal stehen für den «Black Pride» (schwarzen Stolz), die offene Jacke Carlos' ist ein Zeichen der Solidarität mit den «Blue Collar Workers», den Arbeitnehmern in der Heimat.
Während die zwei bei der schwarzen Bevölkerung sofort Heldenstatus erlangen, rauchen beim IOC die Köpfe. Präsident Avery Brundage – ebenfalls ein Amerikaner und schon vor den Spielen grosser Gegner des OPHR – fordert den sofortigen Teamausschluss. Die beiden Athleten müssen das olympische Dorf verlassen.
Erst wehrt sich das US-Team gegen die Massnahme. Doch als das IOC droht, die gesamte Delegation auszuschliessen, geben die Amerikaner nach.
Dass es in Mexiko zur Protestaktion kam, war absehbar. 1968 schwelten nicht nur in den USA Rassenkonflikte. In Südafrika herrschte die Apartheid und im Jahr zuvor weigerte sich Muhammad Ali, in den Vietnam-Krieg zu ziehen, weil ihn «nie ein Vietnamese Nigger nannte».
Ebenfalls 1967 gründete der Soziologe Harry Edwards unter anderem mit Tommie Smith und John Carlos das «Olympische Projekt für Menschenrechte» (OPHR) und wollte damit erst einen Boykott der Olympischen Spiele erzwingen. Dies war nicht durchsetzbar. So forderte er die Athleten auf, sich irgendwie bemerkbar zu machen und auf die Probleme hinzuweisen.
Dafür waren Siege nötig. Dass es bei Smith so weit kam, hing am seidenen Faden – obwohl er Vorlauf und den Halbfinal gewann. Im Vorlauf holte er sich eine leichte Zerrung, im Halbfinal hielt er sich nach dem Zieleinlauf den Oberschenkel und humpelte davon: «Es schmerzte so sehr, dass ich erst dachte, irgendein Idiot hat einen Stein auf mich geschossen.» Smith war wegen seinem politischem Engagement vor den Spielen von diversen Seiten arg kritisiert worden und vermutete einen Racheakt.
Der Schmerz stellte sich allerdings «nur» als Adduktorenzerrung heraus. Smiths Verletzung wurde bis kurz vor dem Start mit Eis gekühlt und er trat – obwohl er «am ganzen Körper fror» – zum Wettkampf an. Denn der Sprinter wusste: «Es ging um alles oder nichts. Ich musste das Rennen gewinnen.» Nur so konnte er seine Protestaktion durchziehen.
Die Proteste – allerdings im kleineren Rahmen – gehen nach dem Ausschluss von Smith und Carlos an den folgenden Tagen weiter. Bei der Weitsprung-Siegerehrung zieht Olympiasieger Bob Beamon seine Hosen hoch, um die schwarzen Socken zu zeigen und Bronzegewinner Ralph Boston steht ohne Schuhe auf dem Podium.
Zum Abschluss tragen die amerikanischen 400m-Medaillengewinner Lee Evans (Gold), Larry James (Silber) und Ron Freeman (Bronze) alle ein schwarzes Beret. Evans, eine der grossen Figuren im OPHR, wurde danach allerdings kritisiert. Von ihm hatte man sich eine grössere Aktion gewünscht. Evans erklärte: «Ich hatte Angst, dass sie mich auf dem Podest erschiessen. Darum lachte ich so gut ich konnte, weil ich mir sagte: Sie werden niemanden erschiessen, der so fröhlich ist.»
Zurück in der Heimat werden Smith und Carlos wie erwähnt von der schwarzen Bevölkerung bejubelt. Die Opposition allerdings kritisiert heftig, dass der Sport als politische Bühne missbraucht wurde und befürchtet, dass die Familien Morddrohungen erhalten werden.
Auch in der Leichtathletik-Szene sind die zwei nicht mehr überall geduldet. Smith tritt zurück, Carlos schnappt sich noch den Weltrekord über 100 Yards, bevor auch er die Nase voll hat.
Beide schlagen Football-Karrieren ein, Smith bei den Cincinnati Bengals, doch der grosse Durchbruch bleibt aus. Mit den Jahren werden die ehemaligen Sprinter immer mehr zu Helden. Smith wird 1978 in die Leichtathletik-Hall-of-Fame aufgenommen, Carlos arbeitet 1984 für die Olympischen Spiele von Los Angeles, wird danach Trainer und erhält 2003 seinen Platz in der nationalen Hall of Fame. 2008 werden beide mit dem «Arthur Ashe Courage Award» geehrt.
Konsequenzen wird die Siegerzeremonie auch für Peter Norman, den weissen Silbermedaillengewinner, haben. Der Gegner der «White Australia Policy» wird in seiner Heimat dafür gerügt, dass er mit Smith und Carlos sympathisiert hatte und vier Jahre später trotz erreichter Limite nicht für die Olympischen Spiele in München nominiert. 2006 stirbt Peter Norman. Tommie Smith und John Carlos sind zwei der Sargträger.