Aus SBB wird SSB. Die Schweizerischen Bundesbahnen könnte man auch in Schweizerische Schnecken-Bahnen umtaufen. Denn unsere Züge sind zwar extrem pünktlich, aber auch extrem langsam. Wir sind Europameister, wenn es um die langsamste Durchschnittsgeschwindigkeit der Züge geht.
Auf manchen wichtigen Strecken liegt die durchschnittliche Geschwindigkeit bei 100 Kilometern pro Stunde – oder weniger:
In vielen Ländern Europas ist derweil Tempo 200 oder 300 längst normal. Doch es geht noch mehr: Der schnellste kommerziell genutzte Zug fährt in China mit Höchstgeschwindigkeiten von 430 Kilometern pro Stunde zwischen dem Zentrum von Shanghai zum Flughafen.
In der Schweiz haben Hochgeschwindigkeitsstrecken aber weder für SBB-CEO Vincent Ducrot Priorität, wie er in diesem Interview sagte, noch für das Bundesamt für Verkehr.
Unter Hochgeschwindigkeitsverkehr versteht man in Europa Geschwindigkeiten von über 200 km/h auf Ausbaustrecken und mindestens 250 km/h auf Neubaustrecken. Die Schweiz hätte bei diesen noch viel Potenzial. watson hat deshalb zusammen mit dem Experten Guido Schoch ausgerechnet, wo neue Zuggleise möglich wären und wie viel Zeit man einsparen könnte.
Bei einem Ausbau der Ost-West-Achse zwischen Genf und St. Gallen auf 200 km/h würden auch viele andere daran anschliessende Linien, welche nicht ausgebaut werden, von massiven Fahrzeitverkürzungen profitieren.
So beträgt momentan die Fahrzeit zwischen Genf und Chur satte 250 Minuten. Würde man dort, wo es möglich ist, eine Hochgeschwindigkeitsstrecke bauen, würde sich die Fahrzeit um 60 Minuten reduzieren auf 190 Minuten, also knapp über 3 Stunden anstatt über 4 Stunden.
Auch auf der Strecke zwischen Biel und Zürich wäre eine Hochgeschwindigkeitsstrecke möglich, dort würde sich die Fahrzeit von 70 Minuten auf 53 Minuten reduzieren.
Zum Vergleich: Mit dem Auto dauert dieselbe Strecke je nach Verkehrslage 90 Minuten.
Auch von Zürich nach Basel könnten Zugreisende Zeit einsparen, und zwar rund 11 Minuten.
Somit wären Zugfahrende sogar noch schneller als Autofahrer, als sie es heute bereits sind. Denn mit dem Auto dauert die 80 Kilometer lange Fahrt aktuell etwa 70 Minuten.
Deutlich wäre auch der Unterschied zwischen St.Gallen und Genf, wenn schnellere Zugstrecken zur Normalität werden würde: Statt wie bisher 228 Minuten würde eine Zugfahrt noch 150 Minuten (2,5 Stunden) dauern. Mit dem Auto dauert die Fahrt 3 Stunden und 50 Minuten.
Bei einem Ausbau einiger Strecken auf eine Höchstgeschwindigkeit von 300 km/h – wie von Prof. D. Mange von der EPFL in Lausanne und Ulrich Gygi, ehemaliger Präsident der SBB, im Buch «Bahn-Plan 2050» vorgeschlagen – wären noch grössere Fahrzeitreduktionen möglich: von Zürich nach Genf in 1 Stunde und 20 Minuten, statt wie bisher in 2 Stunden und 40 Minuten.
Ein Drittel der Fahrminuten könnten Zugreisende einsparen, würde es zwischen Genf und Lausanne eine Hochgeschwindigkeitsstrecke geben. Statt wie bisher 35 Minuten würde eine Fahrt noch 20 Minuten dauern.
Gegenüber dem Auto ist die Strecke aber bereits jetzt konkurrenzfähig: Eine Autofahrt dauert je nach Verkehrslage rund 50 Minuten.
Um einiges kürzer wäre auch die Fahrt zwischen Lausanne und Bern. Aktuell benötigt die schnellste Verbindung 67 Minuten. Mit der Hochgeschwindigkeitsstrecke würde es noch 45 Minuten dauern. Dann würde der Zug dem Auto gegenüber um einiges attraktiver, denn eine Autofahrt dauert rund 70 Minuten.
Der Betrieb der Züge muss im Fernverkehr kostendeckend sein. «Hochgeschwindigkeitszüge sind zwar in Anschaffung und Unterhalt teurer als Regionalzüge. Mit der halben Fahrzeit werden aber nur halb so viele Züge und halb so viel Personal benötigt. Zudem bringt eine verkürzte Fahrzeit mehr Passagiere und dadurch höhere Einnahmen», sagt Guido Schoch.
Die Baukosten einer Hochgeschwindigkeitsstrecke sind jedoch stark von der Topographie abhängig und allfälligen Enteignungen. Strecken in Tunneln seien zudem deutlich teurer als Strecken in offenem Gelände und mehrere kürzere Tunnel günstiger als ein langer. Schoch betont jedoch: «Eine Neubaustrecke kann deutlich billiger sein als der Ausbau einer bestehenden Strecke, wo auch alle Bahnhöfe komplett umgebaut und unter Betrieb gearbeitet werden muss.»
Die vom Komitee Bahn 2000 plus geforderte Neubaustrecke von Zürich-Altstetten nach Roggwil in Richtung Bern, wie sie auch von Schochs Verein SwissRailvolution unterstützt wird, hätte eine Gesamtlänge von 55 Kilometern und würde gemäss Kostenbasis von 2011 rund 4,6 Milliarden Franken kosten. Sie wäre rund 17 Prozent kürzer als die heutige Strecke, welche das BAV plant.
«Für die Kostenschätzung der übrigen Abschnitte sind weitere Studien notwendig», sagt Schoch. Die Motion der ständerätlichen Verkehrskommission «Perspektive Bahn 2050. Fokus auch auf die Realisierung und Vollendung des Verkehrskreuzes Schweiz» habe das Parlament letztes Jahr angenommen. Damit wurde der Bundesrat veranlasst, bis 2025 genauere Kostenschätzungen vorzulegen.
Auf Anfrage von watson teilt das Bundesamt für Verkehr (BAV) mit, dass man sich auf den Ausbau von Fernverkehrsstrecken fokussiere, wo die «Bahn gegenüber der Strasse in Bezug auf die Reisezeit noch nicht wettbewerbsfähig» sei.
Und: «Neue Schnellfahrstrecken, wie sie Herr Schoch vorschlägt, sind dagegen kein Thema. Sie würden zu zusätzlichem Mehrverkehr, zunehmender Zersiedlung und starkem Boden- und Energieverbrauch führen. Entsprechend hat das BAV auch keine Machbarkeitsstudien für solche Strecken in Auftrag gegeben.»
Somit bleiben die SBB vorerst wohl die SSB.
Rund um die Schweiz herum sind Hochgeschwindigkeitsstrecken in Betrieb oder im Bau. Beispiele sind der Brennerbasistunnel zwischen Österreich und Italien oder der Mont-Cenis-Tunnel zwischen Italien und Frankreich. Nur in die Schweiz führen diese Strecken nicht.
Dabei könnte man einiges an Zeit einsparen, würde sich die Schweiz direkt ans europäische Netz anschliessen. Folgende theoretische Reisezeiten gäbe es dann von der Schweiz ins Ausland:
Aktuelle Fahrzeit: 3,5 Stunden
Fahrzeit mit Hochgeschwindigkeiten: 2 Stunden
Aktuelle Fahrzeit: 5.5 Stunden
Fahrzeit mit Hochgeschwindigkeiten: 4 Stunden
Aktuelle Fahrzeit: 4 Stunden
Fahrzeit mit Hochgeschwindigkeiten: rund 2 Stunden
Aktuelle Fahrzeit: 9.5 Stunden
Fahrzeit mit Hochgeschwindigkeiten: 6.5 Stunden
1. Fahrzeitverkürzungen haben erst einen Nutzen, wenn man sie sauber in den CH-Taktfahrplan einfügen kann. Eine Ertüchtigung um 10 Minuten bringt wenig, wenn man schon saubere Taktspinnen an den beiden Bahnhöfen hat.
2. Schnelles Netz nicht immer gleich gute Bahn. Z.B. hat Frankreich zwar schnelle Züge. Neben den Schnellstrecken ist der ÖV jedoch kaum da. TGV-Bahnhöfe stehen irgendwo im Juhee & der Vor-/Nachlauf findet auf der Strasse statt.
3. Der Nutzen der Schiene ist den Verkehr von der Strasse zu holen. Regelmässigkeit ist oftmals wichtiger als Tempo.
Zudem fährt er schon lange nicht mehr 430, sondern noch mit etwa 350. Man hat nämlich eingesehen, dass die Zeitersparnis von einer Minute in keinem Verhältnis zum Mehrverbrauch an Energie steht. 430 war sowieso von Anfang an nur ein Propaganda-Projekt.
Ich finde, der Maglev in Shanghai zeigt gerade, wieso hohe Geschwindigkeiten nicht zwingend viel bringen und wir uns gut überlegen sollten, in was wir investieren wollen.