Der Druck auf die deutschen Skispringer vor dem ersten Wettkampf der 50. Vierschanzentournee ist immens: Nachdem die 49. Edition des Springens klar an den Polen Adam Malysz ging, soll die Jubiläumstournee wieder an einen Deutschen gehen. Die Hoffnungen liegen dabei voll und ganz auf Superstar Martin Schmitt. Er allein soll den polnischen Störenfried in die Schranken weisen.
Doch Schmitt kommt mit den Erwartungen nicht zurecht, er landet in Oberstdorf auf dem enttäuschenden 19. Rang. Grund für eine Staatstrauer ist das aber nicht. Denn Sven Hannawald – welcher eigentlich auch schon zu den Top-Springern der Welt gehört, in der teaminternen Hackordnung aber klar hinter Schmitt liegt – springt dank zwei Sätzen auf 122 Metern auf Platz 1 und sorgt trotz Schmitt-Blackout für einen Heimsieg. Martin Höllwarth wird Zweiter, Simon Amman landet auf Rang 3.
Nach dem Auftaktsieg hält das Publikum für Hannawald bereits einen neuen Spitznamen bereit: «Hannyboy der Sunnyboy.» So gelassen, wie es der neue Spitzname impliziert, antwortet Hannawald auf die Frage, ob er denn jetzt zu den Tournee-Favoriten gehöre: «Ich nehme Springen für Springen. Abgerechnet wird erst am 6. Januar in Bischofshofen.»
Auch in Garmisch-Partenkirchen ist Sven Hannawald der Mann der Stunde. Während Favorit Martin Schmitt nur auf den achten Rang springt, überflügelt «Hannyboy» seine Konkurrenz erneut und verweist Andreas Widhölzl und Adam Malysz auf die Plätze zwei und drei. «Es war für mich ein Riesengefühl, vor dieser Kulisse anzutreten», sagt der Schwarzwälder, der vor dem Springen sehr aufgeregt war.
Obschon Hannawald nach dem Wettkampf in Garmisch auf Malysz 19,9 Punkte und auf Ammann 22,1 Punkte Vorsprung hat, sieht er sich noch nicht als Favorit auf den Gesamtsieg. «In diese Rolle drängen mich höchstens die Medien. Der Käse ist noch nicht gegessen.»
Mit 134,5 Metern stellt Sven Hannawald im ersten Durchgang beim Springen von Innsbruck einen neuen Schanzenrekord auf. Und da auch sein zweiter Sprung eine Klasse für sich ist, entscheidet er das dritte Springen mit 23 Punkten Vorsprung deutlich für sich. Seit Jens Weissflog (1984) ist er der erste Deutsche, welcher an der Bergisel-Schanze gewinnen kann.
Nach dem Springen meint Hannawald zu seiner Machtdemonstration: «Ich weiss nicht mehr, was ich sagen soll. Es wird mir selber langsam unheimlich.» Vom Tournee-Gesamtsieg oder gar vom Tournee-Grand-Slam will der Überflieger aber noch nichts wissen. «Es kann noch so viel passieren. Ich weiss überhaupt nicht mehr, wie ich das Ganze überhaupt durchstehe.»
Sven Hannawald packt in Bischofshofen nochmals sein ganzes Können aus. Bereits im ersten Durchgang deklassiert er die Konkurrenz. Mit 139 Metern stellt er nach Innsbruck auch in Bischofshofen einen neuen Schanzenrekord auf und schafft es dabei sogar noch, einen Telemark zu setzen, welcher in der Endabrechnung entscheidend sein sollte.
Denn im zweiten Durchgang springt Hannawald zwar erneut klasse, doch der Vorsprung auf den zweitklassierten Matti Hautamäki beträgt lediglich 2,5 Punkte. Hätte er im ersten Durchgang den Telemark nicht gestanden, wäre es nichts geworden mit dem Tournee-Grand-Slam. Doch so springt Hannawald in Bischofshofen tatsächlich zum vierten Mal in Serie zuoberst auf das Treppchen und schafft es in der 50. Ausgabe der Vierschanzentournee als erster Athlet alle vier Konkurrenzen für sich zu entscheiden. Vor Hannawald hatten es insgesamt schon sieben Springer verpasst, nach Siegen in den ersten drei Springen in Bischofshofen den Grand-Slam zu holen. Erst 2017/18 gelang es dem Polen Kamil Stoch, das Kunststück des Deutschen zu wiederholen. Im Folgejahr gewann auch der Japaner Ryoyu Kobayashi alle vier Springen.
«Ich weiss überhaupt nicht, wie ich das schaffen konnte. Auf jeden Fall werde ich heute und morgen noch nicht begreifen, was ich da erreicht habe», meint ein komplett überwältigter Hannawald nach dem Springen. Wie gross die Anspannung gewesen sein muss, beweist folgende Aussage: «In Oberstdorf lag die Last auf Adam Malysz, in Garmisch bin ich nach dem zweiten Sieg dann fast zusammengebrochen, und in Innsbruck hat es mir das Dach weggezogen.»
Zufrieden mit der Tournee darf auch Simon Ammann sein, welcher nach den Rängen 3, 5, 11, und 15 den sechsten Gesamtrang belegt. Für den 20-jährigen Toggenburger ist dies ein Topresultat. Für Adam Malysz ist die Tournee hingegen eine einzige Enttäuschung, der Pole landet auf dem vierten Platz. Und Martin Schmitt? Der landet auf Rang 7 und ist sogar noch einen Platz hinter Ammann klassiert. Doch das interessiert in Deutschland keinen mehr. Mann der Stunde ist «Hannyboy der Sunnyboy».