Sie hätten unterschiedlicher nicht sein können: Everybody's Darling auf der einen, eifersüchtige Erzrivalin auf der anderen Seite. Vor den Olympischen Spielen in Lillehammer 1994 spitzt sich der Konkurrenzkampf im US-amerikanischen Eiskunstlaufteam zwischen Nancy Kerrigan und Tonya Harding immer mehr zu. Schliesslich endet er in einem Drama, das sich selbst Hollywoods Filmemacher nicht besser hätten ausdenken können.
Nancy Kerrigan ist zu Beginn der 90er-Jahre Amerikas Vorzeige-Eisballerina. Aus bescheidenen Verhältnissen kämpft sich die Tochter eines Schweissers nach ganz oben. Sie versprüht den Glamour, den die Amerikaner so lieben.
Tonya Harding ist zweifellos das grössere sportliche Talent. Schon als Zwölfjährige steht sie den dreifachen Lutz. Mit knapp 17 Jahren ist sie 1987 weltweit die erste Läuferin, die in einem internationalen Wettkampf den dreifachen Axel steht. Doch bei Harding, die aus einem zerrütteten Elternhaus kommt und die Schule abbricht, fehlt in den Darbietungen das gewisse Etwas. Der Glamour, den Kerrigan versprüht.
Die Trainingsweltmeisterin muss nach der WM-Silbermedaille 1991 zusehen, wie ihr Kerrigan mehr und mehr den Rang abläuft. Bei den US-Meisterschaften 1993 holt die «Schöne» Gold, dem «Biest» bleibt nur der undankbare vierte Rang. Das grosse Ziel, Olympiagold in Lillehammer und der damit verbundene soziale Aufstieg, scheint in weite Ferne gerückt.
So schmiedet Hardings Ehemann Jeff Gilloly einen perfiden Plan. Zusammen mit Hardings Bodyguard Shawn Eckardt heuert er einen Schläger an, der ein Attentat auf Kerrigan verüben soll. Am 6. Januar 1994 passiert es: Vor den US-Meisterschaften wird Kerrigan nach dem Training von Shane Stant mit einer Eisenstange am Knie verletzt.
«Warum? Warum ich?», schreit das am Boden liegende Opfer mit schmerzverzerrtem Gesicht. Die Bilder gehen um die Welt.
Kerrigan kann nicht zu den US-Meisterschaften antreten. Harding holt den Titel, der ihr später jedoch aberkannt wird. Statt das zweite Olympia-Ticket direkt an die zweitplatzierte Michelle Kwan zu vergeben, lässt der Verband die Tür für Nancy Kerrigan offen.
Noch weiss die Welt nicht, wer für das Attentat verantwortlich ist. Doch nach gut einer Woche verhaftet die Polizei drei Männer. Einer von ihnen ist Hardings Ehemann. Seine Schuld lässt sich schnell beweisen. Ob seine Ehefrau vom Attentat wusste, jedoch nicht. Harding erkämpft sich ihre Olympia-Teilnahme vor Gericht, die Öffentlichkeit hat sich ihre Meinung aber längst gebildet.
So kommt es bei Olympia zum viel beachteten «Krieg der Eisprinzessinnen», zum Kampf «Gut» gegen «Böse», den Kerrigan klar für sich entscheidet. 49 Prozent aller Amerikaner sitzen vor dem TV, als sie sich mit den «zwei besten Vorführungen» ihres Lebens die Silbermedaille holt.
Bei Harding, die vom Publikum gnadenlos ausgepfiffen wird, bricht während ihrer Kür nach 45 Sekunden die Kufe. Sie darf noch einmal neu beginnen, doch die Nerven halten nicht. Tränenüberströmt verlässt sie nach ihrem Debakel und Rang 8 das Eis.
Doch für Harding geht der Albtraum weiter. Mitte März bekennt sie sich im Prozess um das Attentat schuldig. Sie wird zu drei Jahren Haft auf Bewährung, zu einer Busse von 160'000 Dollar und 500 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Ausserdem darf sie nie mehr an Amateur-Wettkämpfen teilnehmen.
Es folgt der endgültige soziale Abstieg. Sie versucht sich als Schauspielerin, Sängerin, Profiboxerin, Rennfahrerin und Wrestlerin. Der Erfolg bleibt überall aus.
Kerrigan dagegen ist noch immer Amerikas Darling. Nach ihrem Rücktritt nach den Spielen von Lillehammer verdiente sie Millionen, auch weil sich Disney die Rechte am Kerrigan-Drama sicherte.
Mit ihrer damaligen Konkurrentin hat die «Eisprinzessin» seit über 25 Jahren nicht mehr gesprochen. Harding lebt mittlerweile zurückgezogen auf dem Land. In einer TV-Dokumentation von ESPN, die im Rahmen des 20. Jahrestages des Attentats ausgestrahlt wurde, gab sie sich nach wie vor verbittert. «Nancy ist eine Prinzessin, so sieht sie jeder. Sie ist eine Prinzessin und ich bin ein Haufen Scheisse.»