Als der Anführer der islamistischen Rebellengruppe HTS nach der Einnahme von Damaskus am 8. Dezember das Wort ergriff, warf er Baschar al-Assad nicht nur vor, «Syrien dem Iran überlassen» zu haben. Er behauptete auch, dass der ehemalige Präsident Captagon im Land «gesät» habe.
Damit gemeint ist eine Droge, die in der Region weit verbreitet ist. «Captagon galt ursprünglich als Medikament», schildert Frank Zobel, stellvertretender Direktor von Sucht Schweiz. «Heute ist es laut den Quellen, die wir haben, nichts anderes als Amphetamin.»
Der Rebellenführer erwähnte die Droge in seiner Rede, weil Captagon eng mit der Region verbunden ist. Laut einer im März 2023 verbreiteten Schätzung der britischen Regierung produziert Syrien 80 Prozent der Droge. Von dort aus wird sie dann in andere Staaten in der Region geliefert. «Auf der arabische Halbinsel ist sie am meisten verbreitet», ergänzt Zobel.
Bis in die 2000er-Jahre wurde Captagon hauptsächlich in Bulgarien hergestellt, bevor sich die Produktion in den Libanon und nach Syrien verlagerte. Vor allem in Syrien nahm die Problematik ab 2011 neue Dimensionen an. Denn nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs geriet der Captagon-Handel unter die Kontrolle des al-Assad-Clans.
Das syrische Regime sei «eng» in diesen Handel involviert gewesen, berichtet die britische Regierung. «Es ist bekannt, dass es in der Umgebung von Damaskus und vor allem in Latakia viele Produktionsstätten für Captagon gab», erklärt Amélie Myriam Chelly, eine auf den Iran spezialisierte Forscherin. «Diese Gebiete waren durch Zäune abgegrenzt. Der Staat verweigerte den Zugang ähnlich wie bei Militärbasen.»
Den deutschen Behörden zufolge mussten die organisierten kriminellen Gruppen das Regime für jeden Container Captagon, der Syrien verliess, bezahlen. Die Zahlung wurde von der 4. Division der syrischen Armee organisiert, die von Maher al-Assad, dem jüngeren Bruder Baschars, kontrolliert wurde. Amelie Myriam Chelly sagt:
Der Handel war finanziell von grosser Bedeutung, vor allem weil das Land unter westlichen Sanktionen stand (und immer noch steht). Laut London soll das syrische Regime 57 Milliarden US-Dollar durch den Handel mit Captagon eingenommen haben – eine Zahl, die dreimal so hoch ist wie die Einnahmen der mexikanischen Kartelle. Aus diesem Grund wurde Syrien von mehreren Experten als «Narco-Staat» bezeichnet.
Die Produktion und der Handel mit Captagon «bereicherten Assads engste Vertraute, Milizen und Kriegsherren auf Kosten des syrischen Volkes», schrieb die englische Regierung.
Im Westen wurde Captagon vor etwa zehn Jahren zum Thema, als die Behauptung aufkam, die Dschihadisten des IS würden massenhaft auf diese Substanz zurückgreifen, um sich Mut zu machen. «Es handelt sich um eine Falschmeldung, die dementiert wurde», betont Amélie Myriam Chelly. «Das schliesst nicht aus, dass einige Kämpfer dies individuell getan haben könnten, aber es war keineswegs systematisch», ergänzt sie.
In ähnlicher Weise wurden auch die Attentäter der Anschläge vom 13. November 2015 in Paris verdächtigt, unter dem Einfluss dieser Substanz gehandelt zu haben. Dies brachte Captagon den Spitznamen «Droge der Terroristen» ein, obwohl diese Behauptungen später widerlegt wurden. In einem im letzten Jahr veröffentlichten Bericht betonte die Drogenagentur der Europäischen Union (EUDA), dass bei den Autopsien der Terroristen keine Spuren dieser Substanz gefunden worden seien.
In jüngerer Zeit behaupteten israelische Behörden und Medien, dass die Angreifer vom 7. Oktober ebenfalls unter dem Einfluss dieser Droge gehandelt hätten.
Captagon wird in weiten Teilen der Gesellschaft konsumiert, von Studenten über Taxifahrer bis hin zu Partygängern und Opfern von Ernährungsproblemen, die es als Appetitzügler verwenden, wie Euronews berichtet. In dieser Hinsicht unterscheidet sich sein Konsum im Nahen Osten nicht wesentlich von dem in unseren Breitengraden. «Amphetamin ist ein Stimulans. Es wird, auch in der Schweiz konsumiert, zum Feiern oder um wach zu bleiben», erklärt Frank Zobel.
«In der Praxis ist Captagon identisch mit dem Amphetamin, das in der Schweiz erhältlich ist», fährt er fort. «Das Molekül ist das gleiche. Die Droge wird in den Niederlanden und in Belgien hergestellt, wo auch Ecstasy hergestellt wird.»
Seit dem Sturz des Regimes von Baschar al-Assad ist die Captagon-Produktion um 90 Prozent zurückgegangen, wie ein an die syrische Grenze entsandter europäischer Beobachter dem emiratischen Medium The National berichtete. In der letzten Woche hätten die mit dem Regime verbundenen kriminellen Gruppen die wichtigsten Produktionsstätten aufgegeben, fügte er hinzu.
Die grosse Frage ist nun, wie sich die Lage unter der Führung der Rebellen entwickeln wird. Für Amélie Myriam Chelly steht das ausser Frage: «Für HTS wäre das ein Segen», sagt sie. Und schloss:
Leider hat kein Bond dem Bösewicht eine Kugel verpasst. Stattdessen hat dieser nun Zugriff auf zwanzig Luxuswohnungen im Herzen des finsteren Reichs seines Kumpels Vlad dem Blutrünstigen.
Dies ist eigentlich der Grund, warum man ernsthaft glauben muss, dass es unter den "Rebellen" nicht anders laufen wird.
Captagon hat einen riesigen Absatzmarkt und das wird sich niemand entgehen lassen.