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Syrien

Das ist Captagon – die Droge, die Assad reich gemacht hat

Das ist Captagon – die Droge, die Assad reich gemacht hat

Das syrische Regime hat sich jahrelang am Handel mit Captagon, einem im Nahen Osten weit verbreiteten Amphetamin, bereichert. Nach dem Sturz von Baschar al-Assad ging die Produktion zurück – doch sie könnte bald wieder ansteigen.
13.12.2024, 10:0113.12.2024, 10:20
Alberto Silini
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Als der Anführer der islamistischen Rebellengruppe HTS nach der Einnahme von Damaskus am 8. Dezember das Wort ergriff, warf er Baschar al-Assad nicht nur vor, «Syrien dem Iran überlassen» zu haben. Er behauptete auch, dass der ehemalige Präsident Captagon im Land «gesät» habe.

Le captagon, la Syrie et le clan Assad
Baschar al-Assad wurde durch Captagon reich.bild: watson

Damit gemeint ist eine Droge, die in der Region weit verbreitet ist. «Captagon galt ursprünglich als Medikament», schildert Frank Zobel, stellvertretender Direktor von Sucht Schweiz. «Heute ist es laut den Quellen, die wir haben, nichts anderes als Amphetamin.»

Der Rebellenführer erwähnte die Droge in seiner Rede, weil Captagon eng mit der Region verbunden ist. Laut einer im März 2023 verbreiteten Schätzung der britischen Regierung produziert Syrien 80 Prozent der Droge. Von dort aus wird sie dann in andere Staaten in der Region geliefert. «Auf der arabische Halbinsel ist sie am meisten verbreitet», ergänzt Zobel.

«Captagon ist eine Droge aus dem Nahen Osten, die hauptsächlich in dieser Region bleibt. Meines Wissens hatte die Produktion in Syrien bislang keine Auswirkungen auf den Schweizer Markt.»
Frank Zobel, Sucht Schweiz

Bis in die 2000er-Jahre wurde Captagon hauptsächlich in Bulgarien hergestellt, bevor sich die Produktion in den Libanon und nach Syrien verlagerte. Vor allem in Syrien nahm die Problematik ab 2011 neue Dimensionen an. Denn nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs geriet der Captagon-Handel unter die Kontrolle des al-Assad-Clans.

Der «Captagon-Baron»

Das syrische Regime sei «eng» in diesen Handel involviert gewesen, berichtet die britische Regierung. «Es ist bekannt, dass es in der Umgebung von Damaskus und vor allem in Latakia viele Produktionsstätten für Captagon gab», erklärt Amélie Myriam Chelly, eine auf den Iran spezialisierte Forscherin. «Diese Gebiete waren durch Zäune abgegrenzt. Der Staat verweigerte den Zugang ähnlich wie bei Militärbasen.»

Des pilules de captagon produites en Syrie saisie à Naples.
In Syrien hergestellte Captagon-Pillen werden in Neapel beschlagnahmt.bild: www.imago-images.de

Den deutschen Behörden zufolge mussten die organisierten kriminellen Gruppen das Regime für jeden Container Captagon, der Syrien verliess, bezahlen. Die Zahlung wurde von der 4. Division der syrischen Armee organisiert, die von Maher al-Assad, dem jüngeren Bruder Baschars, kontrolliert wurde. Amelie Myriam Chelly sagt:

«Maher al-Assad war der Captagon-Baron in Syrien. Dies ermöglichte es, die Staatsspitze nicht direkt zu belasten.»
Amélie Myriam Chelly

Der Handel war finanziell von grosser Bedeutung, vor allem weil das Land unter westlichen Sanktionen stand (und immer noch steht). Laut London soll das syrische Regime 57 Milliarden US-Dollar durch den Handel mit Captagon eingenommen haben – eine Zahl, die dreimal so hoch ist wie die Einnahmen der mexikanischen Kartelle. Aus diesem Grund wurde Syrien von mehreren Experten als «Narco-Staat» bezeichnet.

Bachar al-Assad (droite) et son frère Maher (gauche), le baron du captagon syrien.
Baschar al-Assad (rechts) und sein Bruder Maher (links), der syrische «Captagon-Baron».bild: www.imago-images.de

Die Produktion und der Handel mit Captagon «bereicherten Assads engste Vertraute, Milizen und Kriegsherren auf Kosten des syrischen Volkes», schrieb die englische Regierung.

Der falsche Mythos der Dschihadisten-Droge

Im Westen wurde Captagon vor etwa zehn Jahren zum Thema, als die Behauptung aufkam, die Dschihadisten des IS würden massenhaft auf diese Substanz zurückgreifen, um sich Mut zu machen. «Es handelt sich um eine Falschmeldung, die dementiert wurde», betont Amélie Myriam Chelly. «Das schliesst nicht aus, dass einige Kämpfer dies individuell getan haben könnten, aber es war keineswegs systematisch», ergänzt sie.

In ähnlicher Weise wurden auch die Attentäter der Anschläge vom 13. November 2015 in Paris verdächtigt, unter dem Einfluss dieser Substanz gehandelt zu haben. Dies brachte Captagon den Spitznamen «Droge der Terroristen» ein, obwohl diese Behauptungen später widerlegt wurden. In einem im letzten Jahr veröffentlichten Bericht betonte die Drogenagentur der Europäischen Union (EUDA), dass bei den Autopsien der Terroristen keine Spuren dieser Substanz gefunden worden seien.

«Es wurde keine Verbindung zwischen dem Konsum von Captagon und dem Anschlag gefunden.»
EUDA

In jüngerer Zeit behaupteten israelische Behörden und Medien, dass die Angreifer vom 7. Oktober ebenfalls unter dem Einfluss dieser Droge gehandelt hätten.

Captagon wird in weiten Teilen der Gesellschaft konsumiert, von Studenten über Taxifahrer bis hin zu Partygängern und Opfern von Ernährungsproblemen, die es als Appetitzügler verwenden, wie Euronews berichtet. In dieser Hinsicht unterscheidet sich sein Konsum im Nahen Osten nicht wesentlich von dem in unseren Breitengraden. «Amphetamin ist ein Stimulans. Es wird, auch in der Schweiz konsumiert, zum Feiern oder um wach zu bleiben», erklärt Frank Zobel.

«In der Praxis ist Captagon identisch mit dem Amphetamin, das in der Schweiz erhältlich ist», fährt er fort. «Das Molekül ist das gleiche. Die Droge wird in den Niederlanden und in Belgien hergestellt, wo auch Ecstasy hergestellt wird.»

Abnahme von 90 Prozent

Seit dem Sturz des Regimes von Baschar al-Assad ist die Captagon-Produktion um 90 Prozent zurückgegangen, wie ein an die syrische Grenze entsandter europäischer Beobachter dem emiratischen Medium The National berichtete. In der letzten Woche hätten die mit dem Regime verbundenen kriminellen Gruppen die wichtigsten Produktionsstätten aufgegeben, fügte er hinzu.

«Es sind nur noch kleine, verstreute Produktionsstätten übrig.»

Die grosse Frage ist nun, wie sich die Lage unter der Führung der Rebellen entwickeln wird. Für Amélie Myriam Chelly steht das ausser Frage: «Für HTS wäre das ein Segen», sagt sie. Und schloss:

«Wenn diese Werkstätten nicht alle durch israelische oder US-amerikanische Luftangriffe zerstört werden, wird es unter der neuen Macht sicherlich wieder zu einer Zunahme des Produktion kommen.»
Amélie Myriam Chelly
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31 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Magnum
13.12.2024 11:15registriert Februar 2015
Je mehr nach dem Fall über das Assad-Regime bekannt wird, desto mehr gleicht es einer Karikatur eines Bond-Bösewichts und dessen Hofstaates: Sagenhafter Luxus im Palast, Produktion und Distribution einer Designerdroge als Haupteinnahmequelle, dazu riesige, alptraumhafte Gefängniskomplexe, in denen unzählige Menschen auf bestialische Art gefoltert und umgebracht wurden.

Leider hat kein Bond dem Bösewicht eine Kugel verpasst. Stattdessen hat dieser nun Zugriff auf zwanzig Luxuswohnungen im Herzen des finsteren Reichs seines Kumpels Vlad dem Blutrünstigen.
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sinkflug
13.12.2024 11:12registriert Juli 2020
Fällt Syrien als Lieferant aus, werden andere Länder im Goldenen Halbmond, wie der Iran oder Jemen, die Lücken rasch füllen. Saudi-Arabien, das den Alkoholkonsum bekanntlich streng verbietet, ist laut einer Recherche von Cicero von 2022 der drittgrösste Drogenkonsument der Welt. Organisiert wird der Handel dort von Saudi-Prinzen, die vor jeglicher Strafverfolgung geschützt sind. Wahrscheinlich sind die gerade in diesem Moment unter Hochdruck dran, ihre Lieferketten neu zu organisieren.
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Der Micha
13.12.2024 11:04registriert Februar 2021
"Laut London soll das syrische Regime 57 Milliarden US-Dollar durch den Handel mit Captagon eingenommen haben"

Dies ist eigentlich der Grund, warum man ernsthaft glauben muss, dass es unter den "Rebellen" nicht anders laufen wird.

Captagon hat einen riesigen Absatzmarkt und das wird sich niemand entgehen lassen.
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