In einem anderen Leben wäre er wohl Abenteurer geworden. Er wäre um die Welt gesegelt, wie ein zweiter James Cook oder Ferdinand Magellan – «obwohl, beide sind ermordet worden» – Alt Bundesrat Joseph Deiss landet zurück auf dem harten Boden der Tatsachen. Der liegt heute – passend für einen CVPler – auf der Terrasse der «Auberge de l'Ange» in der Freiburger Unterstadt.
Deiss, 74, hat sich für die Karriere an Land entschieden. Statt der Südsee hat er die Politik entdeckt. Grenzen hat er auch überschritten. Allen voran jene der Sprache: Er ist der wohl bekannteste Bilingue der Schweiz. Der Freiburger hat es von der 500-Seelen-Gemeinde Barberêche auf den höchsten Stuhl der Schweiz geschafft; 2010 auf denjenigen der UNO-Generalversammlung in New York. (s. z. Person weiter unten).
Jetzt sitzt Joseph Deiss auf einem Klappstuhl. Es ist zehn Uhr früh, knapp null Grad. Wir trinken Tee. Ein paar hundert Meter von hier liess Deiss vor knapp sechzehn Jahren seine Bundesratskollegen Gummistiefel anziehen und zu Fuss durch die Saane waten. Den Fluss, der die Grenze zwischen den Sprachregionen bildet. Ein starkes Zeichen zum Bundesratsreisli. Sein Credo zur typisch schweizerischen Sprachenvielfalt: «Ein gutes Fondue Moitié-Moitié macht man schliesslich auch nicht nur mit einem Käse.»
Deiss, für viele hier in Freiburg auch einfach der «Seppi», ist inzwischen unter die Geschichtenerzähler gegangen. Sein jüngstes Buch enthält Anekdoten aus seinem politischen Leben – und zu seiner Rolle als Brückenbauer zwischen Romands und Deutschschweizern in der Landesregierung.
Die Memoiren sind nur auf Französisch verfügbar. 475 Seiten gefüllt mit Accent graves, Verben im Passé simple und Cs mit Cedille. Kein Wunder blieben gewisse Aussagen in der Deutschschweiz bis vor kurzem unentdeckt. Deiss spricht sich darin weiterhin für den EU-Beitritt der Schweiz aus – und verschreckte damit seine CVP.
Den Titel des Buches hat Deiss dem Skipper Olivier de Kersauson entliehen: «Wenn der Pottwal von Steuerbord kommt, hat er Vortritt. Wenn er von Backbord kommt, auch.» Sprich: keine Chance gegen ein übermächtiges Tier, wie es die EU ist. Mit Pottwalen musste sich Deiss also auch in der Karriere an Land herumschlagen.
Nicht ganz der Parteilinie entspricht ausserdem seine Haltung zum «C» in CVP. Zur Erinnerung: Parteipräsident Gerhard Pfister stellte das «Christlich» im Akronym kürzlich infrage, weil es bei Jungen und Städtern nicht gut ankommt.
Deiss hingegen verteidigt das «C» in seinem Buch vehement: «Das ‹C› ist das einzigartigste und das grundlegendste Element des Parteinamens (...), und in keiner anderen Regierungspartei enthalten.» Zudem bedeute es nicht, dass die CVP katholisch sei. Die Partei stünde allen Menschen offen, die dieselben christliche Werte wie zum Beispiel die Solidarität vertreten.
Im Juni, wenn sich Pfister sich zur Wiederwahl als Parteipräsident stellt, sollen zur «C»-Frage erste Entscheide fallen. Doch CVP-interne Querelen haben Deiss nicht mehr zu kümmern. Er ist bereits mit seinem nächsten Projekt beschäftigt. Getreu seiner Segelfreunde widmet er sich in seinem kommenden Buch dem Pazifikraum.