Niemand soll mir sagen, dass die Modewelt ganz bei Trost ist. Die Modewelt spinnt. Ganz grundsätzlich. Und zwar alle. Heidi Klum, die Zuhälterin televisionärer Mega-Trash-Monster, spinnt. Aber auch Heidi Klums Erzfeind Karl Lagerfeld – «Heidi Klum, nie gehört, wer ist das?» – von dem ich bis jetzt eigentlich dachte, er sei ein Intellektueller, ein Künstler, ein weiser, weisshaariger Mann, quasi der Gandalf der Fashion-Szene, spinnt. Leider.
Vor wenigen Tagen hat er eine 16-Jährige zur neuen Chanel-Botschafterin gemacht. Nicht irgendeine 16-Jährige natürlich, sondern DIE 16-Jährige of the moment. Die seit gut einem Jahr in der Frisch-und-Käfigfleisch-Auslage des Internets mit allen Rafinessen präsentiert wird. Mit den schönsten, teuersten Kleidern. Mit den schönsten Showbiz-Eltern neben Brangelina. Mit den wahrscheinlich auch reichsten Showbiz-Eltern neben Brangelina. Mit den Eltern mit dem ganz sicher grossartigsten südfranzösischen Landgut neben Brangelina.
Ihr Name: Depp. Lily-Rose Melody Depp. Tochter der Vanessa Paradis und des Johnny Depp. Das Scheidungskind, das jetzt beim Vater in Amerika lebt. Ihr Gesicht: Alles von beiden. Ihr Instagram-Account: Nun, das böse Wort dazu könnte mit W beginnen. Rein theoretisch. People- und Mode-Journalisten sabbern sich einen ab. Ihr Job bei Chanel: Sie soll ein «Baby-Doll» spielen «in einer Welt, durchtränkt von Süsse und Weiblichkeit».
Baby-Dolls sind jene tendenziell durchsichtigen, überall zu kurzen, lose sitzenden Teile, die man bestenfalls als Sommerpyjamas bezeichnen kann. Oder auch einfach «Baby-Puppen». Kindfrauen. Und das dann noch extra süss und weiblich. Geradezu durchtränkt. Aber Werbung ist nun einmal die Branche, die noch immer denkt, dass Sexismus très chic sei. Wirf mal das Hirn an, Werbung!
Und dann dieser Quatsch, dass heute jedes Werbegesicht «Botschafterin» heisst. Ist Chanel ein Staat? Ein Königreich? Ganz offensichtlich.
Die Dinge, die Lily-Rose bei Chanel mit ihrer Schönheit verkaufen soll, sind vorwiegend Perlen. Ausgerechnet. Gibt es ein typischeres Altfrauen-Accessoire als Perlen? Aber wahrscheinlich ist die Zielgruppe von Lily-Roses Kampagne gar nicht in Lily-Roses Alter, sondern eher in dem ihrer Mutter. Frauen also, die Lily-Roses Anblick wahrscheinlich sofort frustriert zum Schönheitschirurgen treibt.
Auch Vanessa Paradis war mal Chanel-Botschafterin, als sie noch ein gutes Vierteljahrhundert jünger war. Etwa 18, 19 Jahre alt. Mit 14 hatte sie den Lolita-Hit «Joe le Taxi» gehaucht, und alle Männer hatten pädophile Wallungen. Man kann also nicht wirklich sagen, dass die Sache mit dem öffentlich erlaubten Sabbern über die «jungen Mädchenblüten», wie Proust sie einmal nannte, schlechter geworden sei in all den Jahren. Aber besser wäre, sie wäre besser geworden.
(sme)