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Analyse

Was, wenn Marine Le Pen doch gewänne?

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Vor dem TV-Duell: Marine Le Pen und Emmanuel Macron.Bild: IAN LANGSDON/EPA/KEYSTONE
Analyse

Und was, wenn Marine Le Pen doch gewinnt?

Ein Sieg des faschistoiden Front National ist möglich. Der Euro wäre damit gestorben, ein liberales Europa wahrscheinlich auch.
06.05.2017, 10:0106.05.2017, 17:04
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Der Schriftsteller Stefan Zweig beschreibt in seinem Buch «Die Welt von Gestern», wie sich Europa in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg vollkommen verändert hat. Er selbst wuchs in einer gutbürgerlichen jüdischen Familie in Wien auf. Der Gymnasiast Zweig musste deshalb strengen Regeln und Normen gehorchen.  

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann die Industrielle Revolution Wirkung zu zeigen. «Vierzig Jahre Frieden hatten den wirtschaftlichen Organismus der Länder gekräftigt, die wissenschaftlichen Entdeckungen den Geist jener Generation stolz gemacht; ein Aufschwung begann, der in allen Ländern unseres Europas fast gleichmässig zu fühlen war», schreibt Zweig.

Schwärmt vom Europa um die Jahrhundertwende: der Schriftsteller Stefan Zweig.
Schwärmt vom Europa um die Jahrhundertwende: der Schriftsteller Stefan Zweig.

Der wachsende Wohlstand machte die Menschen freier und schöner. Sie begannen Sport zu betreiben, und auch der Mittelstand konnte sich Ferien am Meer oder in den Bergen leisten. Europa war damals der Mittelpunkt der Erde, und innerhalb Europas konnte sich jeder ohne Pass nach Belieben bewegen. Von Wien bis Paris, von London bis Berlin breitete sich ein Gefühl der Toleranz und der Verbundenheit aus.

Der Student Zweig kostete die neue Freiheit in vollen Zügen aus: «Ich bedaure jeden, der nicht jung diese letzten Jahre des Vertrauens in Europa miterlebt hat», schwärmt er. «Denn die Luft um uns ist nicht tot und nicht leer, sie trägt in sich die Schwingungen und den Rhythmus der Stunde. Sie presst ihn unbewusst in unser Blut, bis tief ins Herz und ins Hirn leitet sie ihn fort.»

In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg begann sich der Himmel über Europa einzutrüben. Niemand konnte sich zwar einen Krieg, und schon gar keinen Weltkrieg, vorstellen. Doch Hass und Nationalismus waren unübersehbar auf dem Vormarsch. «Es war noch keine Panik, aber doch eine ständige schwelende Unruhe; immer fühlten wir ein leises Unbehagen, wenn vom Balkan her die Schüsse knatterten. Sollte wirklich der Krieg uns überfallen, ohne dass wir es wussten, warum und wozu?», schreibt Zweig.

Auch in Frankreich: Nationalisten gegen Globalisten

Heute herrscht zwar keine Panik in Europa. Die ständig schwelende Unruhe jedoch ist erneut spürbar geworden. Das gilt ganz speziell im Vorfeld der französischen Wahlen. Emmanuel Macron hat in den Umfragen 20 Prozentpunkte Vorsprung auf Marine Le Pen, und ja, er hat das TV-Duell gegen die Populistin klar für sich entschieden.

In Frankreich wird jedoch das gleiche Drama gespielt wie in fast allen westlichen Ländern: Eine liberale globale Elite wird von rechtspopulistischen Nationalisten herausgefordert. Und in jüngster Zeit waren das immer sehr enge Matches.

Glücklicher Winzer: Auf dem Land ist Frankreich noch in Ordnung.
Glücklicher Winzer: Auf dem Land ist Frankreich noch in Ordnung.

Marine Le Pen kann sich darauf verlassen, dass sie vom «pays réel» gestützt wird. Darunter versteht man das konservative und stockkatholische ländliche Frankreich und die verarmten Industriestädte im Norden. Macron hingegen vertritt das «pays légal», die liberale urbane Elite in Städten wie Paris oder Lyon.

Simon Kuper, der seit Jahrzehnten in Frankreich lebende Kolumnist der «Financial Times», umschreibt diesen Konflikt wie folgt: «Die Vorstellung von ‹zwei Frankreichs› bestimmt die Art und Weise, wie viele Franzosen aus allen politischen Lagern diese Wahl betrachten.»

Investmentbanker bei Rothschild

Für Le Pen ist Macron so gesehen der ideale Gegner. Er ist ein klassischer Linksliberaler, der von offenen Grenzen und Europa schwärmt. Er war nicht nur Banker, er war Investmentbanker bei Rothschild! Dass diese Bank heute eher unbedeutend geworden ist, spielt keine Rolle. Der Name steht nach wie vor für mächtige jüdische Bankiers.

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Banker im schicken Anzug: Emmanuel ist das perfekte Feindbild für die Nationalisten.Bild: IAN LANGSDON/EPA/KEYSTONE

Gegen Le Pen spricht die Tatsache, dass auf ihrem «realen Frankreich» der Makel von Vichy haftet. Darunter versteht man die französische Regierung, die mit Hitler kooperiert hat. Selbst für viele konservative Franzosen war der Front National deshalb bisher unwählbar. Doch die jüngere Generation kann sich kaum noch an Vichy erinnern, und Le Pen hat selbst ihren Vater aus der Partei geschmissen, um jeden Nazi-Verdacht im Keim zu ersticken.

Einen weissen Mittelstand, der sich von der Globalisierung benachteiligt, vom wirtschaftlichen Abstieg bedroht und von einer liberalen Elite verspottet fühlt, gibt es auch in Frankreich. Das sind gefährliche Voraussetzungen: In den USA hat dieser Mittelstand Donald Trump ins Weisse Haus gehievt, in Polen und Ungarn faschistoide Nationalisten an die Macht gebracht. In England war dieser Mittelstand die treibende Kraft hinter dem Brexit, und in Italien wird er zum Rückgrat der Fünf-Sterne-Bewegung.

Ein friedliches Europa der Nationen wird es nie geben

Ein Sieg Le Pens ist daher nicht auszuschliessen. Er hätte fatale Folgen. Le Pen will, dass Frankreich den Euro verlässt oder zumindest den Franc als Parallelwährung wieder einführt. Das ist ein Rezept für Streit der übelsten Sorte. Die immer gehässiger werdende Stimmung im Vorfeld des Brexit zeigt, wie sensibel die Menschen auf das Thema Geld reagieren.

Dabei ist der Brexit im Vergleich zu einem Frexit bloss ein Kindergeburtstag. Sollte es dazu kommen, dann würden die nur oberflächlich verheilten Wunden des Zweiten Weltkrieges mit unabsehbaren Folgen aufbrechen.

Die neuen Nationalisten geben sich gerne als fromme Pazifisten und stellen ein Europa in Aussicht, in dem die einzelnen Nationen selbstbestimmt und friedlich koexistieren. Nur, ein solches Europa hat es nie gegeben – und wird es auch nie geben. Auch wenn Europa nicht mehr der Nabel der Welt ist, hatte trotzdem Glück, wer nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde. Er konnte wie Stefan Zweig eine insgesamt glückliche und tolerante Zeit verbringen. Ein Wahlsieg Le Pens würde dies alles in Frage stellen. Die Luft um uns würde «tot und leer» werden.

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80 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Karl33
06.05.2017 14:04registriert April 2015
Bleibt noch zu erwähnen, dass Macron TTIP unterstützt und gut findet. Also dieses neoliberale Konstrukt, das demokratische Prozesse aushebelt und anstattdessen Entscheidungen und Richtbarkeit privaten ausländischen Gremien überträgt, welche über dem Souverän jedes Landes stehen.
Macron und linksliberal? Was für eine perfide Lüge.
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Entenmann
06.05.2017 13:04registriert April 2015
Meines Erachtens widerspricht sich der Autor, wenn er mit Stefan Zweig vom Europa um 1900 schwärmt und später behauptet, ein friedliches Europa der Vaterländer habe es nie gegeben.
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NWO Schwanzus Longus
06.05.2017 11:54registriert November 2015
Es ist total lächerlich Macron als Linksliberal zu bezeichnen. Er ist ein ungezügelter Neoliberaler. Zudem ist er absolut inkonsequent gegenüber dem Terrorismus er hat kein Rezept. Er würde ausser dem gerade den Terror verstärken mit seiner Befürwortung von sinnlosen Kriegen. Die Kriegsindustrie wird sehr profitieren von ihm und das dumme Volk bleibt auf der Strecke. Nicht das das Le Pen reinwäscht die in gewissen Dingen recht hat aber einen Sozialismus einführen will der nicht tragbar ist, aber man muss Macron genauso betrachten, als Kandidat der Mächtigen gegen das Volk.
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