
Demonstranten erhängen eine Puppe des türkischen Predigers und neuen Staatsfeindes Gülen.Bild: SEDAT SUNA/EPA/KEYSTONE
Die
groteske Ungleichheit schürt den Hass auf Eliten und die Globalisierung.
Trotzdem wollen die neoliberalen Hardliner keinen Kurswechsel.
24.07.2016, 12:0425.07.2016, 13:53

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Auch Paranoide werden gelegentlich verfolgt,
heisst es. Doch derzeit muss man nicht paranoid sein, um ein mulmiges Bauchgefühl zu haben. Die Welt gerät aus den Fugen. Rund um den Globus sind Krisenherde
entstanden, und jeder kann fatale Folgen haben:

Donald Trump triumphiert.Bild: TAMI CHAPPELL/REUTERS
In den USA haben die Republikaner nach einem
chaotischen Parteitag einen Soziopathen zum Präsidentschaftskandidaten gekürt. Donald
Trump spielt nicht nur immer offener auf der rassistischen Klaviatur – Muslims
ist bei ihm auch ein Codewort für schwarz –, er ist auch im Begriff, die
Grundpfeiler der westlichen Sicherheitsarchitektur zu demontieren.
Das Ende der Nato?
In einem Interview mit der «New York Times»
hat Trump erklärt, die USA würden anderen Nato-Staaten nur dann zu Hilfe eilen,
wenn diese «ihre Verpflichtungen gegenüber uns» erfüllen würden, will heissen: mehr zahlen. Im gleichen Interview fordert Trump Japan und Südkorea auf, sich
atomar aufzurüsten und so die US-Streitkräfte zu entlasten.
Nach dem missglückten Putsch – wenn es denn
überhaupt ein Putsch war – ist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan im
Begriff, das Land in eine Diktatur zu verwandeln. All das erinnert an das Vorgehen
Stalins gegen die Trotzkisten. Dazu kommt, dass sich möglicherweise auch am
Bosporus ein geopolitischer Wandel abzeichnet.

Überschäumender Nationalismus in der Türkei.
Bild: DENIZ TOPRAK/EPA/KEYSTONE
Eine plausible Spekulation will
nämlich wissen, dass der türkische Präsident den Putsch auch dazu benützen
will, sich vom Westen ab- und Russland zuzuwenden. Putin und Erdogan im selben Boot – und in den USA ein Putin-Bewunderer im Weissen Haus: ein Albtraum.
Sind in Rom bald die Europagegner an der Macht?
Der Brexit hat auch die zweite wichtige Säule
des Westens ins Wanken gebracht, die europäische Einheit. Dass ausgerechnet die
als besonnen geltenden Briten dieses Wagnis eingegangen sind, ist ein
schlechtes Omen. Der Unmut über die EU wächst generell, derzeit vor allem in Italien.
Kann die italienische Bankenkrise nicht gelöst werden, ohne die Kleinsparer zur
Kasse zu bitten, dann ist es sehr wohl möglich, dass schon in diesem Herbst
eine europafeindliche Regierung in Rom an die Macht kommt.
Ein Zerfall der EU
ist denkbar geworden, und seit dem Brexit wissen wir auch, dass die
Europagegner nicht einmal einen Anflug eines Planes haben, was danach kommen
soll.

Der belgische «IS»-Kämpfer Abdelhamid Abaaoud. Der Terror der Fundamentalisten schürt den Hass auf den Islam.Bild: AP Militant Website
Der «IS» ist weniger eine militärische, denn
eine psychologische Bedrohung. Die nicht enden wollenden Attentate schaffen ein
Klima der Angst, das den Rechtspopulisten in die Karten spielt. Wann werden Muslime
Opfer von Racheakten?
Generell ist das politische Klima im Westen unterirdisch
geworden. Am Parteitag der Republikaner wurde Hillary Clinton nicht als
politische Gegnerin hart angegangen. Sie wurde im wahrsten Sinne des Wortes
verteufelt. Der ehemalige Präsidentschaftskandidat Ben Carson verglich sie mit
Luzifer. Ein Delegierter fragte unter dem Gejohle des Saales, ob man sie hängen
oder erschiessen soll – und alle grölten gemeinsam: «Sperrt sie ein! Sperrt sie
ein!»

Aufgehetzte Delegierte am Parteikongress der Republikaner.
Bild: MIKE SEGAR/REUTERS
Im Zeitalter des Wohlstandsfaschismus darf
ungeniert gelogen, polemisiert und gehetzt werden, und zwar nicht nur anonym in
den Kommentarspalten, sondern ganz offiziell. Das Motto:
«Mein Gott! Es ist doch nicht so schlimm, dass es eine Falschmeldung war», gilt
nicht nur für den SVP-Hardliner Andreas Glarner. Es ist bei Rechtspopulisten inzwischen
gängige Praxis. Wissen und Fakten sind bloss noch hinderlich. Der ehemalige
englische Justizminister Michael Gove brachte es auf den Punkt: «Das Volk hat
genug von Experten.»
Die Ungleichheit ist unhaltbar geworden
Es gibt keine Patentlösung, um die Welt wieder
ins Lot zu bringen. Doch es ist unbestritten, dass die extreme Ungleichheit
innerhalb der und zwischen den Staaten ein entscheidender Faktor ist. Martin
Wolf, der Chefökonom der «Financial Times», schlägt deshalb folgendes Massnahmenpaket vor:
- Es braucht einen globalen Steuerungsapparat, der die nationalen Interessen ausbalanciert. «Das bedeutet, dass der Kampf gegen die Klimaerwärmung wichtiger ist, als ein neues Handelsabkommen.»
- Der Kapitalismus muss reformiert, die Finanzinteressen gestutzt werden. «Die Interessen der Aktionäre werden zu stark gewichtet.»
- Es braucht ein weltumspannendes Steuerabkommen, das Steuerflucht wirksam unterbindet. «Eigentümer von hohen Vermögen, die auf die Sicherheit von Demokratie und Rechtsstaat angewiesen sind, dürfen sich nicht mehr länger vor der Steuerpflicht drücken.»
- Die Binnennachfrage muss gestärkt werden, vor allem in der Eurozone. «Höhere Mindestlöhne und grosszügige Steuererleichterungen für die Erwerbstätigen sind effektive Werkzeuge.»
Unsere Zivilisation ist in Gefahr
Martin Wolf ist ein
erfahrener Mann und der wohl bedeutendste Wirtschaftsjournalist der Gegenwart.
Er kommt zu einem Schluss, der bis vor kurzem noch als hoffnungslos pathetisch
belächelt worden wäre: «Ein Scheitern können wir uns nicht erlauben. Unsere
Zivilisation steht auf dem Spiel.»
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