Sag das doch deinen Freunden!
Angela Merkel will die EU um jeden Preis zusammenhalten, Wladimir Putin setzt alles daran, sie zu zerstören. So kann man die aktuelle geopolitische Situation auf dem alten Kontinent zusammenfassen. Bisher hatte die deutsche Kanzlerin bessere Karten als der russische Präsident.
Putin hat sich bei seiner Invasion in die Ukraine und der Annexion der Krim verzockt, denn er hatte nicht mit der Entschlossenheit von Merkel gerechnet. Die Kanzlerin setzte in der EU eine harte Linie gegen Russland durch und verhängte zusammen mit den USA Wirtschaftssanktionen. Zusammen mit dem Kollaps des Ölpreises führte das zu einer schweren Rezession in Russland.
Syrien scheint – zumindest vorläufig – Putins Weg aus der Sackgasse zu sein. Er setzt dabei auf die gleiche Taktik wie einst in Tschetschenien: Aleppo wird zu Grosny, will heissen: Die Stadt wird ohne Rücksicht auf Verluste auch der Zivilbevölkerung dem Erdboden gleich gemacht.
Putins Kalkül scheint aufzugehen. Das schon erledigte Assad-Regime erlebt einen zweiten Frühling. Gleichzeitig haben die russischen Bomben eine neue Flüchtlingswelle ausgelöst. Damit trifft Putin Merkel dort, wo es ihr derzeit am meisten wehtut, bei ihrer «Willkommens-Kultur».
Nicht nur im eigenen Land, sondern auch in Europa hat Angela Merkel sich damit wenig Freunde geschaffen. Wenn sie am Donnerstag nach Brüssel an den EU-Gipfel der Staatsoberhäupter fährt, muss sie mit einer veränderten Konstellation rechnen. Im Kampf gegen Griechenland im letzten Jahr konnte sie mehr oder weniger mit der bedingungslosen Unterstützung der anderen Länder rechnen. Die stärkste Wirtschaftsmacht Deutschland war unbestritten die Führungsmacht in Europa geworden und die Kanzlerin zur ungekrönten Königin.
Diesmal sieht es ganz anders aus. Merkels «Willkommens-Kultur» stösst auf heftigen Widerstand, nicht nur bei den renitenten Ostländern. Auch Frankreichs Ministerpräsident Manuel Valls hat an der Sicherheitskonferenz in München unmissverständlich erklärt, dass sein Land keine weiteren Flüchtlinge mehr aufnehmen will.
Italiens Premierminister Matteo Renzi befindet sich seit Wochen in einem Kleinkrieg mit Berlin und beklagt, dass seine Regierung wesentliche Entscheidungen der EU aus der Presse erfahren muss. Selbst Schweden und Österreich – bisher Merkels verlässlichste Partner – machen nicht mehr mit und haben Obergrenzen beschlossen.
Wer solche Freunde hat, wer braucht da noch Feinde? Merkel befindet sich in einer ungemütlichen Position. «Mit Moral können wir unsere Partner nicht überzeugen» klagt ein hoher deutscher Diplomat in der «Financial Times». Aus Washington kommt diesmal auch keine Unterstützung. Die USA haben bloss eine symbolische Zahl von Flüchtlingen aufgenommen.
Nicht nur die «Willkommens-Kultur» ist zu einem schweren Handicap für Merkel geworden, es rächen sich auch die Sünden der Vergangenheit. Die Züchtigung Griechenlands im vergangenen Jahr war damals ein wirtschaftspolitischer Fehler. Jetzt zeigt sich, dass es auch eine sicherheitspolitische Dummheit war.
Griechenland ist nach wie vor das «Einfalltor» der Flüchtlinge aus dem Nahen Osten. Jetzt wird von Alexis Tsipras verlangt, dass er gleichzeitig eine verhasste und hauptsächlich von Deutschland diktiere Austeritätspolitik umsetzt und Auffanglager für die Flüchtlinge im grossen Stil aufbaut. Das wird nicht ganz einfach werden, und die Option, Griechenland aus dem Schengenraum auszuschliessen, ist eine Illusion.
Spiel, Satz und Match für Putin also? Nicht ganz. Angela Merkel ist angeschlagen, aber nicht am Boden. Trotz eines massiven Verlusts in der Wählergunst ist die Kanzlerin nach wie vor unbestritten die Nummer eins in Deutschland, und Deutschland ebenso unbestritten die Führungsmacht in Europa. In der Eurokrise hat Merkel zudem gezeigt, dass sie nicht nur die Kunst des Durchwurstelns beherrscht, sondern – wenn nötig –, auch hart ihren Standpunkt verteidigen kann.
Wie weit Putins Vorgehen sich auszahlen wird, muss sich weisen. Mit seinem zynisch-grausamen Vorgehen hat der russische Präsident der Welt einmal mehr bewiesen, dass er vor nichts zurückschreckt. Er legt sich dabei immer gefährlicher mit der Türkei an, einem NATO-Land und riskiert so, dass der Konflikt in Syrien ausser Kontrolle geraten könnte.