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Der verstorbene Politologe Samuel P. Huntington zeigte in seinem Klassiker «American Politics» ein scheinbar allgemein gültiges Prinzip der US-Politik auf: Jede Generation greift auf die Prinzipien der Gründungsväter zurück. Amerikaner sind keine Utopisten, daher konnten sie auch nie wirklich etwas mit dem Sozialismus anfangen.
Die Vision von idealen Vereinigten Staaten von Amerika ist das Umsetzen von dem, was George Washington, Benjamin Franklin, Thomas Jefferson, James Madison, John Adams und Alexander Hamilton gepredigt hatten: Freiheit, Gleichheit und Widerstand gegen Autokraten.
Barack Obamas Rede in Philadephia – der Gründungsstadt der USA – ist ein Bespiel dafür, dass Huntingtons These nach wie vor gültig ist. Es war eine rhetorisch brillant durchdeklinierte Abhandlung des «american creed», der Überzeugung, was es bedeutet, Amerikaner zu sein.
Es war auch ein flammendes Bekenntnis zur Demokratie. Nicht zufällig rief Obama seine schottisch-irischen Grosseltern als Zeugen auf. Sie verbrachten ihr Leben als einfache Leute in einem Kaff im Bundesstaat Kansas, aber sie lebten die gleichen Werte, die heute noch Gültigkeit haben: Fleiss, Bescheidenheit, Aufrichtigkeit, Respekt und Mitgefühl für die anderen. Diese Werte lehrten sie ihren Enkel, unabhängig seiner Hautfarbe, denn die Essenz des «american creed» besteht darin, diese Werte mit allem Fremden zu verschmelzen.
Demokratie ist kein Selbstläufer.
Wie schon der deutsche Soziologe Max Weber erkannt hat ist Demokratie auch das Bohren von dicken Brettern. Das bedeutet: täglich Kompromisse schliessen, Niederlagen verdauen, nie aufgeben. Es bedeutet indes nicht, die Verantwortung an einen Führer wie Donald Trump abzugeben, der vollmundig verspricht: «Ich werde Amerika wieder stark machen.» «Bei Amerika geht es nicht darum: ‹Ja, er will›», führte Obama aus. «Es geht um: ‹Ja, wir können.›»
Bei den Auseinandersetzungen zwischen Republikanern und Demokraten dreht sich in diesem Wahljahr kaum mehr um die klassischen Themen wie Steuern und Sozialausgaben. Es ist ein Kultur- und Wertekrieg geworden. Bei der Grand Old Party in Cleveland dominierten Hass und Demagogie («Sperrt Hillary ein»).
In Philadephia hingegen kommt das optimistische Amerika zu Wort, nicht nur, weil Redner wie das Ehepaar Obama oder Bill Clinton in einer ganz anderen rhetorischen Gewichtsklasse boxen als ihre republikanischen Widersacher. Es ist auch der Ton, der optimistisch und versöhnlich ist, das Gemeinsame betont und nicht das Trennende.
Die Wahl im kommenden November ist die wichtigste seit dem Zweiten Weltkrieg. Michelle Obama hatte zuvor schon in ihrer Rede darauf hingewiesen, dass der Bewohner des Weissen Hauses in den nächsten vier bis acht Jahren nicht nur die amerikanische Politik, sondern auch die Werte der amerikanischen Jugend massgeblich beeinflussen wird. Ein Sieg des Grossmauls Trump wäre daher ein Fehler, möglicherweise ein irreversibler.
Unsere Vorfahren haben 1848 die US-Verfassung mehr oder weniger abgeschrieben – okay, sie haben den Präsidenten durch sieben geteilt. Was sich in den Vereinigten Staaten abspielt, auch für uns grosse Bedeutung. Wie auf der anderen Seite des Atlantiks spitzt sich auch bei uns der Kultur – und Wertekrieg zu. Im Kern geht es dabei ums Gleiche wie in den USA.
Exemplarisch zeigt dies Roger Köppel in der neuesten «Weltwoche» auf. Das Obama-Amerika wird dabei als «Samariter-Supermacht» verspottet, «die vor lauter Gutmenschlichkeit erst gar nicht auf die Idee kommen könnte, so etwas Niedriges wie nationale Interessen zu entwickeln».
Geht es aber um Trump, dann gibt es für Köppel kein Halten mehr. «Er ist laut, grossmäulig, erfolgreich, egozentrisch, tüchtig und bemerkenswert plump. Sein Programm ist die dröhnende Beschwörung eigener Interessen», schreibt Köppel bewundernd und man meint zu spüren, wie er sich dabei physisch nass macht. Wer mag da noch über die anscheinend dummen und unzivilisierten Amerikaner schimpfen?