Seit Jahren schüren Impfgegner die Angst, der Kombinations-Impfstoff gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) könne Autismus auslösen. Nun zeigt eine umfassende Studie zu diesem Thema: Die Angst ist unbegründet – der behauptete Zusammenhang zwischen Autismus und Impfung gehört definitiv ins Reich der Märchen.
Das Gerücht, die Masern-Mumps-Röteln-Impfung verursache Autismus, wurde 1998 durch eine einzige Veröffentlichung im Fachmagazin «The Lancet» in die Welt gesetzt. 2010 zog das Journal die vom britischen Mediziner Andrew Wakefield präsentierte Studie zurück, weil sie sich als falsch erwiesen hatte und obendrein teilweise auf gefälschten Daten beruhte. Die britische Ärztekammer warf Wakefield «unethische Forschungsmethoden», «unverantwortliche Darstellung der Ergebnisse» und «Fehler in der Studie» vor und erteilte ihm ein Berufsverbot.
Der Schaden allerdings war schon angerichtet: Die Impfrate sank merklich; erstmals nach langer Zeit kam es in westlichen Ländern wieder zu Todesfällen wegen der vermeintlich harmlosen «Kinderkrankheit». Und die Mär von der Masernimpfung, die Autismus auslöse, macht seither unausrottbar die Runde.
Vermutlich wird auch das Ergebnis der bisher umfangreichsten Studie zu diesem Thema daran nicht viel ändern. Im Auftrag der US-Gesundheitsbehörden haben Anjali Jain und ihr Team von der Lewin Group einen riesigen Datensatz durchforstet. Die Mediziner fahndeten in den Daten, die die gesundheitliche Entwicklung von über 95'000 Kindern von der Geburt bis zum Alter von fünf Jahren dokumentieren, nach Korrelationen zwischen der MMR-Impfung und Autismus.
Insgesamt waren 84 Prozent der Kinder gegen MMR geimpft. Bei Kindern, die ältere autistische Geschwister hatten, lag die Impfquote dagegen nur bei 73 Prozent. 994 Kinder erkrankten im Lauf der Untersuchungszeit an Autismus. Das Risiko lag wie zu erwarten höher, wenn eine genetische Vorbelastung vorlag; bei Kindern mit autistischen Geschwistern (1 Prozent von allen untersuchten Kindern) betrug es 6,9 Prozent, in der Vergleichsgruppe nur 0,9 Prozent.
Die MMR-Impfung hatte dagegen keine Auswirkung auf das Risiko, an Autismus zu erkranken: Weder bei den genetisch vorbelasteten noch bei den unbelasteten Kindern führte sie zu höheren Fallzahlen. «In Übereinstimmung mit früheren Studien haben wir keinerlei Korrelation zwischen der MMR-Impfung und einem erhöhten Autismusrisiko entdeckt», erklären die Autoren.
Zudem wirkte sich die Impfung in keinem Alter auf das Autismusrisiko aus, bei den Zwei- ebenso wenig wie bei den Fünfjährigen. Und es spielte auch keine Rolle, ob die Kinder erst ein- oder bereits zweimal geimpft worden waren: Auch hier gab es nicht mehr Fälle von Autismus.
Christoph Hatz überrascht das Ergebnis der Studie nicht. Der Tropenmediziner und ausserordentliche Professor für Epidemiologie an der Uni Zürich weist darauf hin, dass die neue Untersuchung die Resultate von früheren Studien bestätige. Ihm fällt aber auf, dass sich Eltern von autistischen Kindern laut den Ergebnissen beim Impfen stärker zurückhalten. Dies reflektiere Ängste und Unsicherheiten im Zusammenhang mit den Impfungen, die man ernst nehmen müsse.
Natürlich hätten MMR-Impfungen auch Nebenwirkungen, räumt Hatz ein. «Wer sagt, es gebe keine Nebenwirkungen, sagt nicht die Wahrheit.» Bei Erstimpfungen trete in 5 bis 15 Prozent der Fälle nach etwa 7 bis 12 Tagen leichtes Fieber auf, das maximal 3 Tage dauere; auch rote Hautflecken könnten vorkommen.
Schwere Nebenwirkungen seien dagegen sehr selten, betont Hatz: Die Wahrscheinlichkeit, nach einer Impfung an einer Hirnentzündung (Enzephalitis) zu erkranken, belaufe sich nur auf rund 1:2'000'000. Wer dagegen an Masern erkrankt, habe ein ungleich höheres Risiko: 200 bis 2000 pro Million Masernkranke bekommen eine Enzephalitis.
Obwohl Hatz Verständnis für die Ängste der Impfgegner hat, ist es für ihn dennoch klar, dass die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, zur Verantwortung gegenüber der Gesellschaft gehört. Es gebe schliesslich auch Personen, die sich nicht impfen lassen könnten – zum Beispiel wegen einer Immunschwäche. Solche gefährdete Personen würden durch die sogenannte Herdenimmunität geschützt, weil der Erreger dann nicht mehr zirkuliert. Bei Masern besteht Herdenimmunität ab einem Durchimpfungsgrad von 95 Prozent.
In den gleichen impfkritischen Kreisen, in denen das Gerücht zirkuliert, die Masernimpfung könne Autismus verursachen, wird oft auch behauptet, eine überstandene Masernerkrankung löse bei Kindern einen Entwicklungsschub aus. Dafür fehle jedoch der Nachweis, sagt Hatz. «Es gibt dazu keine harten Daten.» Er würde seinem Kind aber auf keinen Fall eine potentiell gefährliche Krankheit zumuten, damit es einen Entwicklungssprung machen könne.